Gemeinsamer Kampf um Ost-Jerusalem

In den arabischen Vierteln Ost-Jerusalems wächst die Anspannung. Die Stadtverwaltung plant, weitere Häuser der palästinensischen Einwohner abreißen zu lassen. Dagegen demonstriert die Menschenrechtsorganisation "Rabbiner für Menschenrechte", die sich vehement für die Verteidigung der Rechte der Palästinenser einsetzt. Aus Jerusalem berichtet Daniel Pelz.

Rabbi Yehiel Greniman (l.) und ein palästinensischer Anwohner; Foto: rabbibrian.wordpress.com
"Der Weg, auf dem unser Staat jetzt ist, führt in eine Tragödie." Rabbi Yehiel Grenimann setzt sich für die Rechte der Palästinenser ein.

​​ Rabbi Yehiel Grenimann steuert seinen Wagen durch die Straßen von Ost-Jerusalem. Hinter der Windschutzscheibe schaut er auf die ersten Häuser von Silwan. Silwan ist eines der größten palästinensischen Viertel der Stadt – geschätzte 50.000 Menschen leben hier. Die Jerusalemer Altstadt mit ihren Heiligtümern, dem Felsendom und der Grabeskirche, ist kaum zehn Gehminuten entfernt. Trotzdem verirrt sich kaum ein Tourist hierher – und Israelis noch seltener.

"Wenn, sind es eigentlich nur Soldaten oder Polizisten", sagt Grenimann. Auch er selbst kommt beruflich nach Silwan – aber in einer ganz anderen Mission. Der Rabbiner ist stellvertretender Direktor der israelischen Menschenrechtsorganisation "Rabbiner für Menschenrechte". Sein Ziel ist es, den Palästinensern zu helfen, deren Häuser abgerissen werden sollen.

Eine unsichtbare Mauer

"Da oben verlief die Grenze", sagt Grenimann und zeigt mit dem Finger auf einen Hügelzug in der Ferne. Bis 1967 war Jerusalem eine geteilte Stadt: Israel besaß den Westen, die Altstadt, Silwan und der Rest Ostjerusalems standen unter der Kontrolle Jordaniens. "Auch heute steht hier noch eine Mauer, aber eine unsichtbare", sagt der Rabbi. Denn viele Israelis trauen sich nicht nach Silwan – aus Angst vor den arabischen Einwohnern.

Als er sein Auto abstellt, zieht Grenimann eine Kappe über den Kopf. Nun ist die Kippa – die traditionelle Kopfbedeckung gläubiger Juden – nicht mehr sichtbar. Zielstrebig läuft der Rabbi ins Innere des Viertels.

Der Fußweg ist schmal, links und rechts ragen hohe, weiße Mauern empor. Die Häuser dahinter sind nicht zu sehen. Auf einigen Wänden prangen Graffitis. Auf einem ist die goldene Kuppel des Felsendoms zu sehen – aus der blutrote Tränen laufen. Vor einer Ruine bleibt der Rabbi stehen. Nur noch die Fundamente stehen auf der Erde. Dazwischen ragen Stahlträger in die Höhe, auf dem Boden liegt zerbrochenes Holz. Vor knapp einem Jahr hat die Stadtverwaltung von Jerusalem das Haus abreißen lassen – Grenimann war Zeuge.

Warten auf die Katastrophe

"Ich stand da hinten hinter der Mauer", sagt der Rabbi und seine Stimme zittert ein wenig. "Auf den Dächern der umliegenden Häuser lagen Polizisten und Soldaten, hier unten standen Polizisten mit Pferden und Bulldozern." Als sie das Haus abrissen, kam die Gegenreaktion der Bewohner. "Dann brach die Gewalt los, Steine flogen, Tränengas, Schüsse fielen – das war ein schlimmer Tag."

Graffiti auf einer Mauer in Silwan; Foto: DW
Warten auf die Katastrophe: Viele Anwohner befürchten, dass das Abreißen palästinensischer Häuser zu einem Ausbruch von Gewalt in Ost-Jerusalem führen könnte.

​​ Auch der Mann im Haus gegenüber träumt nachts von solchen Szenen. Sein Haus könnte das nächste sein, das abgerissen wird. Fakri Abu Diab ist ein stämmiger Mann von 48 Jahren. Doch seine schwarzen Haare sind längst ergraut – ohne Probleme geht er auch für Ende fünfzig durch. "Wir warten hier auf die Katastrophe", sagt er mit traurigem Lächeln und bittet auf dem weichen Sofas im Wohnzimmer Platz zu nehmen.

Den Räumungsbefehl der Stadtverwaltung hat er bereits bekommen. "Wenn sie mit ihren Bulldozern kommen, werde ich mich in meinem Haus einschließen", sagt Diab. "Eher lasse ich mich unter den Trümmern begraben, als das ich das Haus freiwillig räume."

Ein archäologischer Park im Wohnviertel

Zweiundzwanzig Häuser will die Stadtverwaltung abreißen lassen. Auch die Zahl 88 Häuser wurde schon diskutiert. An ihrer Stelle soll ein archäologischer Park für Touristen entstehen. Im Rathaus ist es eine klare Sache: Denn kaum einer der Einwohner hat eine Besitzurkunde für das Land, auf dem sein Haus steht, oder gar eine Baugenehmigung für das Haus.

"Ich habe drei Jahre lang versucht, eine zu bekommen", erklärt Fakri Abu Diab mit kaum unterdrückter Wut. "Ich war fast jeden Tag im Rathaus und habe Gutachten von Architekten, Bauingenieuren und andere Dokumente gebracht." Der Buchhalter und fünffache Vater glaubt nicht, dass es hier nur darum ging, die städtischen Bauvorschriften einzuhalten. "Die Stadtverwaltung hat eine politische Agenda. Man will unser Land", sagt Diab.

Ganz so will es Rabbi Grenimann nicht ausdrücken. Aber auch er glaubt, dass die Stadtverwaltung den Bewohnern die Urkunden verweigert.

Gemeinsam gegen die Zerstörung

Abgerissene Häuser in Silwan; Foto: DW
"Die Stadtverwaltung hat eine politische Agenda. Man will unser Land", klagt Fakri Abu Diab, ein Hausbesitzer aus Silwan.

​​ Auch andere Bewohner in Silwan und in anderen Stadtteilen von Jerusalem befürchten, dass die Stadtverwaltung ihnen die Häuser nehmen will. Denn zurzeit ziehen vermehrt jüdische Siedler in die ehemals arabischen Stadtteile. Die "Rabbiner für Menschenrechte" versuchen, zusammen mit den arabischen Bewohnern gegen die Vertreibungen vorzugehen. Sie haben regelmäßig demonstriert, Anwälte eingeschaltet, Journalisten nach Silwan gebracht, um die Zerstörung der Häuser zu verhindern.

Doch es sind nur wenige Israelis, die an den Demonstrationen teilnehmen. "Längst nicht alle Israelis unterstützen die Politik der Stadtverwaltung oder die der aktuellen Regierung", sagt Rabbi Grenimann. "Wir müssen diese Menschen wachrütteln, denn der Weg, auf dem unser Staat jetzt ist, führt in eine Tragödie." Doch bis jetzt haben die Rabbiner für Menschenrechte gerade mal etwas über hundert Mitglieder.

Daniel Pelz

© Deutsche Welle 2010

Redaktion: Lewis Gropp/Qantara.de

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