"Freifahrtschein für polygame Männer"

Irans Frauenrechtlerinnen sind alarmiert: Die Regierung plant ein neues Gesetz zum "Schutz der Familie". Doch das ist alles andere als familienfreundlich, es schränkt die Rechte der Frauen systematisch ein. Unter Irans Frauenrechtlerinnen formiert sich der Protest. Dorna Hatamlooy mit Einzelheiten

Polizei kontrolliert eine Frau wegen ihrer Kleidung; Foto: Mehr
Auch im Alltag werden die Rechte der Frauen oft beschnitten. Sittenwächter dürfen Frauen auf der Straße stoppen, um ihre Kleidung zu kontrollieren.

​​Seit etwa einem Jahr ist die Gesetzesvorlage zum "Schutz der Familie" öffentliches Diskussionsthema im Iran. Der iranische Ministerrat verabschiedete die Gesetzesvorlage im Juni letzten Jahres, seitdem debattiert das iranische Parlament, der "Madschlis", darüber.

Iranische Frauenrechtlerinnen sind empört. Sie kritisieren die Gesetzesvorlage, die ihrer Meinung nach familienfeindlich ist. "Diese Gesetzesvorlage schadet der Institution Familie", sagt Nayere Tavakoli, Lehrbeauftragte für Sozialwissenschaften an der Universität Teheran. "Die Stellung der Frauen innerhalb der Gesellschaft wird weiter geschwächt. Im Falle einer Erbschaft werden die Zweit- oder Drittfrau sowie Frauen aus Zeitehen sowie deren Kinder finanziell benachteiligt."

Die Kritik der zahlreichen Frauenaktivisten richtet sich hauptsächlich gegen Artikel 23 der Gesetzesvorlage. Demnach könnte ein Mann künftig auch ohne die Zustimmung der Erstfrau bis zu vier Frauen ehelichen. Der Mann müsste lediglich für die finanzielle Sicherheit und gerechte Behandlung aller Ehefrauen garantieren.

Die Bedürfnisse der Frauen werden nicht berücksichtigt

Prominente Kritikerinnen wie die Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi warnen davor, dass ein solches Gesetz zur Förderung der Polygamie Frauenrechte in hohem Maße verletze. Der mit Abstand umstrittenste Artikel der Gesetzesvorlage sei eine Art "Freifahrtschein für polygame Männer".

Bild Shirin Ebadi; Foto: GMF
Seit Jahren kämpft die Juristin und Menschenrechtsaktivistin Shirin Ebadi für Frauenrechte in Iran. Sie erhielt 2003 als erste muslimische Frau den Friedensnobelpreis.

​​Der Artikel entbehre jeglicher klarer Definition bezüglich der finanziellen Voraussetzungen und gerechten Behandlung, so die Kritik. Die Bedürfnisse der Frau würden auf finanzielle Belange reduziert. Ihr emotionales und psychisches Wohlbefinden in einer Mehrehe werde nicht berücksichtigt. Bereits bestehende patriarchalische und archaische Gesellschaftsstrukturen würden verstärkt.

Diese Ansicht teilt auch Dr. Nayere Tavakoli. "Nach der aus meiner Sicht falschen Ansicht von Regierungsvertretern ist der Schutz der Familie nur dann gewährleistet, je stärker die Position des Mannes und je schwächer die der Frau innerhalb der Familie ist. Männer werden vermehrt ihrer Lust nachgehen und sich nicht mehr mit einer Partnerin begnügen. Polygame Partnerschaften werden sich zu einer Tradition entwickeln."

Weitere Kritikpunkte sind die geplante Versteuerung des Brautgeldes, Einschränkungen bei der Erwerbstätigkeit der Frau sowie verschärfte Kleidervorschriften. Außerdem soll die Registrierungspflicht für Zeitehen wegfallen.

Eine gemeinsame Offensive

Im letzten Jahr hat sich im Iran eine breite Protestbewegung entwickelt: Frauenrechtlerinnen, ebenso säkulare und sogar religös-konservative Frauengruppen fordern neben der Verhinderung des Gesetzes auch die Verbesserung der rechtlich ohnehin schlechten Situation der Frauen.

Demonstration vom 12. Juni 2006; Foto: DW/Maryam Ansary
In Iran ist es gefährlich für die eigenen Rechte auf die Staße zu gehen. Am 12. Juni 2006 demonstrierten Frauen und Männer in Teheran friedlich für Gleichberechtigung. Mindestens 70 Protestler wurden verhaftet.

​​Im Rahmen der Kampagne "eine Million Unterschriften gegen frauenfeindliche Gesetze in Iran" gehen Frauen von Haustür zu Haustür, informieren die Bevölkerung und sammeln Unterschriften gegen die Gesetzesvorlage.

Zahlreiche Frauenrechtlerinnen wurden bereits festgenommen. Religiöse Fanatiker befürchten eine Gefährdung der nationalen Sicherheit. Die Teheraner Journalistin Sanaz Allahbehdaschti, Mitglied der Kampagne, berichtet regelmäßig über den öffentlichen Kampf gegen die Gesetzesvorlage.

"Diese frauenfeindliche Gesetzesvorlage hat dazu beigetragen, dass sich Frauen trotz unterschiedlicher Ansichten verbünden und eine starke Gegenoffensive bilden", so Sanaz Allahbehdaschti.

Doch die Frauenrechtlerinnen im Iran sind noch lange nicht am Ziel. Ob ihr massiver Druck in der Öffentlichkeit letztlich Früchte tragen wird, bleibt ungewiss.

Dorna Hatamlooy

© Deutsche Welle 2008

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