Allen Drohungen zum Trotz

Rund zwölf Millionen Afghanen waren am vergangenen Samstag aufgerufen, einen Nachfolger für Präsident Hamid Karsai zu wählen. Obwohl die Taliban zahlreiche Anschläge am Wahltag angekündigt hatten, ließen sich viele Afghanen von ihrer Stimmabgabe dennoch nicht abhalten. Einzelheiten von Emran Feroz aus Kabul

Von Emran Feroz

Dass die Präsidentschaftswahlen am Hindukusch relativ friedlich verliefen, wird allgemein als großer Erfolg bewertet. Denn Grund zur Sorge gab es im Vorfeld des Urnengangs mehr als genug: In den letzten Wochen kam es landesweit zu zahlreichen Anschlägen, zu denen sich die extremistischen Taliban bekannten. Auch das als sicher geltende Stadtzentrum Kabuls blieb von der Gewalt nicht verschont. Unter anderem wurden mehrere Wahlbüros sowie ein Luxushotel, in dem sich zahlreiche Ausländer aufhielten, angegriffen.

Doch damit nicht genug. Die Extremisten hatten die Bevölkerung mehrfach aufgerufen, die Wahlen zu boykottieren. "Egal wen Ihr wählt, Ihr wählt den Feind!", ließ Taliban-Sprecher Zabiullah Mujahed in einer offiziellen Stellungnahme verlauten. Den Bürgern wurde geraten, alle Wahllokale weiträumig zu umgehen. Doch allem Anschein nach ging der Plan der Taliban nicht auf. Denn bereits im Vorfeld der Wahl wollten sich viele Afghanen von den Drohungen nicht einschüchtern lassen.

Nach Informationen der unabhängigen Wahlkommission (IEC) lag die Wahlbeteiligung bei rund 58 Prozent. Besonders gelobt wurde die Tatsache, dass auch viele Frauen ihre Stimme abgaben. Der starke Andrang wurde in manchen Wahllokalen zu einem Problem, in mehreren Provinzen gingen die Stimmzettel aus. Aus diesem Grund konnten viele Menschen gar nicht wählen. Währenddessen mussten andere Wahllokale ihre Pforten länger geöffnet lassen.

Wahlen im Schatten vereinzelter Gewaltakte

Nach Angaben des afghanischen Verteidigungsministeriums kam es am Wahltag landesweit zu 690 Anschlägen. Dabei sollen 165 Aufständische getötet worden sein. Inwiefern diese Aussage glaubwürdig ist, lässt sich nicht überprüfen. Afghanische Medien wie die renommierte Nachrichtenagentur Pajhwok berichten am Ende des Wahltags von 140 Anschlägen und 89 getöteten Taliban. Die Agentur berief sich ebenfalls auf Quellen des Ministeriums. Wirklich große Anschläge mit hohen Opferzahlen blieben jedoch aus.

Lange Schlange vor einem Wahllokal in Kabul; Foto: Emran Feroz
Lange Schlangen vor den Wahllokalen: Trotz zahlreicher Anschlagsdrohungen der Taliban strömten viele Afghanen in den Städten an die Wahlurnen.

Währenddessen war die Berichterstattung der Taliban eine gänzlich andere. Via Twitter berichteten die Extremisten von über 1.000 Anschlägen, die im ganzen Land stattgefunden haben sollen. Außerdem hieß es, dass die Mehrheit der Wahllokale schon geschlossen habe.

Indizien für Wahlbetrug

Zu Unregelmäßigkeiten kam es jedoch trotzdem. In mehreren Provinzen wollen Zeugen gesehen haben, wie manche Personen mehr als ein Mal ihre Stimme abgegeben haben. Währenddessen erfolgte in den von Milizen kontrollierten Landesteilen die Wahl nach Wunsch des jeweils lokalen Warlords. Zum gleichen Zeitpunkt hatten einige Personen überhaupt keine Wahlkarte und konnten daher nicht wählen.

Diese Situation wurde von anderen ausgenutzt, indem sie ihre Wahlkarten zu teuren Preisen an Dritte verkauften. Auch die mehrfach gelobte afghanische Nationalarmee, deren Aufgabe es war, für Sicherheit zu sorgen, trat an manchen Orten eher negativ in Erscheinung. Unter anderem soll sie Journalisten an der Berichterstattung gehindert und den Wahlvorgang gestört haben.

Mit einem sicheren Wahlergebnis ist erst in den kommenden Wochen zu rechnen. Bis dahin besteht weiterhin Angst vor Wahlmanipulationen wie bereits im Jahr 2009. Damals wurde Hamid Karsai massiver Wahlbetrug vorgeworfen. Und auch beim diesjährigen Urnengang wurden von der Wahlkommission bereits am ersten Wahltag über 160 Klagen wegen Unregelmäßigkeiten registriert.

Bereits der Wahlkampf verlief alles andere als fair: Vor einigen Tagen kam die Kommission zu dem Schluss, dass mehrere Kandidaten während ihres Wahlkampfes mit unlauteren Methoden gearbeitet hätten. Einem der Favoriten, Zalmay Rasoul, wurde vorgeworfen, während seines Wahlkampfauftakts in der Provinz Kandahar Menschen dazu gezwungen zu haben, seine Veranstaltung zu besuchen. Rasoul musste daraufhin ein Strafgeld von umgerechnet 1.200 Euro, bezahlen.

Drei Favoriten und Karsais politische Manöver

Kandidaten der Präsidentschaftswahlen in Afghanistan; Foto: Emran Feroz
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Experten und Beobachter gingen gleich zu Beginn der Stimmenauszählung von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen drei Kandidaten aus. Einer von ihnen ist der erwähnte Rasoul, ein Paschtune, der mit dem letzten König Afghanistans – Mohammad Zahir – lange Zeit im Exil gelebt hatte und unter der Karsai-Regierung Außenminister war.

Ein weiterer Paschtune, der laut Umfragen gegenwärtig führt, ist Ashraf Ghani Ahmadsai. Auch er lebte über einen längeren Zeitraum im Ausland, unter anderem lehrte er in den USA als Professor und war beschäftigt bei der Weltbank. Unter Hamid Karsai war er einst Finanzminister. Das renommierte US-Magazin Time zählte Ghani Ahmadsai zu den bedeutendsten Denkern unserer Zeit.

Der letzte Favorit ist Abdullah Abdullah, der schon bei den Präsidentschaftswahlen 2009 gegen Karsai antrat. Abdullah gehörte einst zu den treuesten Wegbegleitern des tadschikischen Warlords und Nordallianz-Führers Ahmad Schah Massoud. Aufgrund dieser Tatsache hat er vor allem die tadschikische Bevölkerung des Landes hinter sich.

Alle drei Kandidaten haben bereits im Vorfeld der Wahlen deutlich gemacht, das strategische Partnerschaftsabkommen mit den USA zu unterzeichnen. Diese Tatsache erfreut wahrscheinlich vor allem Präsident Karsai. Laut dem bekannten afghanischen Politologen und Publizisten Ahmad Waheed Mozhdah ist sich Karsai bewusst, dass das Abkommen Afghanistan mehr schadet als nützt. "Wer genau hinschaut, wird feststellen, dass der Vertrag einem Kolonialpakt gleicht. Karsai weiß das und will seinen Namen als 'Marionette' reinwaschen", meint Mozhdah.

Der Politologe geht sogar so weit und behauptet, dass Karsais Strategie darauf abzielt, eines Tages als Nationalheld gefeiert zu werden. „Doch egal wer nach Karsai kommt, die Lage im Land wird sich weiter verschlechtern“, prognostiziert Mozdah. Ob dieser Fall tatsächlich eintreten wird, wird sich zeigen. Vorerst darf man allerdings gespannt sein, wer die Mehrheit der Wähler für sich entscheiden konnte.

Emran Feroz

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de