"Ich definiere mich als muslimische Französin"

Vor einem halben Jahr wurde erstmals eine Frau zur Präsidentin eines muslimischen Regionalrates gewählt: Hanife Karakus, die Tochter türkischer Einwanderer, amtiert seitdem an der Spitze des Regionalrates der südfranzösischen Region Limousin. Siegfried Forster hat sie dort besucht

Hanife Karakus mit ihrer Tochter; Foto: www.sabah.com tr
Die aus der Türkei stammende Hanife Karakus amtiert an der Spitze des muslimischen Regionalrates der südfranzösischen Region Limousin

​​Präsidentin des Regionalrates der Muslime in der Region Limousin – ein staatstragender Titel für eine junge, fast mädchenhaft erscheinende 24-Jährige. Hanife Karakus empfängt den Besucher am Bahnhof von Limoges zusammen mit ihrem Mann und Begleiter, Mustafa Gursal - gleichzeitig Schatzmeister des Regionalrates der Muslime.

Sie trägt ein schwarzes Kopftuch mit Blumenmuster, das bei der ersten Begegnung als Erkennungs-Zeichen dienen sollte. Sie lächelt scheu und redet bedächtig, beispielsweise über das Phänomen, dass sie zwar bekannt in den nationalen Medien ist, dagegen noch relativ unbekannt in ihrer eigenen Region Limousin.

Pragmatisch und nicht revolutionär

Es klingt wie eine Revolution: Hanife Karakus ist die erste Frau an der Spitze eines Regionalrates der Muslime in Frankreich. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Hanife Karakus fühlt sich weder als Revolutionärin, noch als Speerspitze einer "epochalen Bewegung".

Wie auch? Sie hat als junge Mutter alle Hände voll mit ihrer kleinen Tochter Saliha zu tun, paukt für das Jura-Studium und nimmt sich für das Gespräch zwischen zwei Kursen Zeit – nicht etwa in ihrem (bislang gar nicht existierenden) Büro - sondern im Frühstücksraum des Hôtel de la Paix, den sie vorher noch nie betreten hatte.

Denn hinter dem bedeutsam klingenden Namen "Conseil Regional du Culte Muselman" (CRCM) verbirgt sich eine Einrichtung, die zwar ihren offiziellen Sitz in Limoges hat, aber vorerst nur aus Absichtserklärungen und politischen Versprechen besteht.

"Der Französische Muslimrat wurde durch den politischen Willen des Staates gegründet. Wir im Regionalrat der Muslime in der Region Limousin verfügen bis heute aber über keinen Raum", beklagt sich Karakus. "Wir haben bei der Präfektur, beim Rathaus, einen Antrag auf einen Raum gestellt, bislang allerdings vergeblich. Insofern sitzen wir derzeit auf der Straße!"

Regionalräte als Integrationshilfen

Im Jahr 2003 wurde in Frankreich der "Nationale Rat der Muslime in Frankreich" ins Leben gerufen. Von dieser neu gegründeten Institution erhoffte sich Frankreichs Innenminister Nicolas Sarkozy eine größere Anerkennung der zweitgrößten Religionsgemeinschaft des Landes und eine bessere Integration des Islam in der Französischen Republik. Insgesamt existieren 25 muslimische Regionalräte in Frankreich.

Im vergangenen Juni hatte sich Karakus als Einheits-Kandidatin der in den anderen Regionen zerstrittenen muslimischen Organisationen aufstellen lassen - weil sie Jura studiert. Allerdings sieht sie es selbst als Manko, dass sie keinerlei politische Erfahrung für den Posten mitbringt:

"Ich hatte vorher noch nie in einer Vereinigung gearbeitet. Ich wusste noch nicht einmal, was ich davon erwarten konnte. Ich bin relativ enttäuscht über die Wirklichkeit des Regionalrates, denn anfangs dachte ich, wir hätten mehr Mittel, um auf einigen Gebieten aktiver sein zu können."

Begrenzte Möglichkeiten

Der von ihr geleitete Regionalrat der Muslime lebt von den Mitgliedsbeiträgen der 13 muslimischen Vereinigungen der Region: bescheidene 900 Euro im Jahr. Davon geht noch die Hälfte an den Nationalen Rat der Muslime in Frankreich. Doch auch ohne Geld, ohne Büro und ohne Entscheidungsmacht glaubt und arbeitet Hanife Karakus daran, als Präsidentin das Leben der rund 12.000 Muslime in ihrer Region verbessern zu können.

Sie kämpft dafür, dass bestimmte Flächen in den französischen Friedhöfen für Muslime reserviert werden, schickt Gebetsteppiche und muslimische Seelsorger in die Gefängnisse, verurteilte per Kommuniqué während der jüngsten Vorstadt-Krawalle die Gewalt - auch wenn ihre ländliche Region Limousin davon verschont blieb.

Hanife Karakus ist im elsässischen Mulhouse aufgewachsen, als eine von fünf Töchtern eines türkischen Einwanderers, der als Arbeiter in der Autoindustrie sein Leben verdient. Sie spricht fließend Türkisch und Französisch. Zur Überraschung ihrer Eltern entschied sie sich als Jura-Studentin den Schleier zu tragen, da sie sich als muslimische Französin sieht. Sie ist eine Frau, die vieles in ihrer Persönlichkeit vereinigt: Tradition und Moderne, Emanzipation und Erbe, Mutterdasein und Politikerin, Moschee und Internet, Heimat und Fremde, Muslimin und Französin.

Siegfried Forster

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2006

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