''Wir spielen mit dem Feuer''

Ari Rath ist Zionist mit österreichischen Wurzeln, langjähriger Chefredakteur der Jerusalem Post. Der Mann, der sich stets für Frieden und Ausgleich einsetzte, sorgt sich vor einem Rechtsruck bei der Knesset-Wahl. Ein Porträt von Birgit Goertz

Wer Ari Rath persönlich erlebt, dem fallen als erstes seine Augen auf: Sie scheinen nämlich höchstens halb so alt wie er selbst mit seinen 87 Jahren, wirken kein bisschen müde oder abgespannt.

Ari Rath ist ein gefragter Gesprächspartner: Während des Interviews im alterwürdigen Café Landtmann in Wien schauen ein junger Literat und ein ehemaliger Top-Diplomat vorbei, eine Wiener Wochenzeitung fragt ein Interview an und in einer deutschen Zeitung steht ein Artikel über Ari Raths kürzlich erschienenes Buch.

Das Interesse kommt nicht von ungefähr, denn seine Lebensgeschichte ist ein Kaleidoskop der israelischen Geschichte von 1938 bis in unsere Tage. Ari Rath verläßt Ende 1938 seine Geburtsstadt Wien und findet in Palästina Zuflucht vor dem NS-Regime. Damals ist er gerade mal 13 Jahre alt. Er wächst in einem Kibbuz auf.

Das harte, entbehrungsreiche Leben und die Werte der Kibbuz-Bewegung prägen ihn, er wird zu einem sozialistischen Zionisten der ersten Stunde. Ari Rath erlebt das Werden des Staates Israel, er kennt die Altvorderen der israelischen Politik und trifft als Journalist die deutsche Politikerriege von Adenauer bis Weizsäcker.

Deutsch-israelische Beziehungen aus der Sicht eines Zeitzeugen

Als er Ende 1989 den Stuhl des Chefredakteurs der englischsprachigen Jerusalem Post räumt, sagt ihm ein Freund: "Ari, jetzt hast Du Zeit alles aufzuschreiben." Er hat sich Zeit gelassen, doch jetzt kann man alles nachlesen. Die erste Begegnung eines deutschen und eines israelischen Regierungschefs 15 Jahre nach Ende des Holocausts: Ari Rath ist als einziger Journalist dabei, als sich Adenauer und Ben Gurion im Waldorf-Astoria in New York begegnen.

Ben Gurion (l.) und Ari Rath; Foto: privat
1957 kam Ari Rath als Redakteur zur "Jerusalem Post", deren Chefredakteur er 1979 wurde. Gemeinsam mit Schimon Peres und Yitzhak Rabin gehörte er zu David Ben Gurions engsten Vertrauten, im Wahlkampf 1965 war er persönlicher Sekretär Ben Gurions.

​​1966 trifft er einen damals international noch recht unbekannten, kettenrauchenden SPD-Politiker: Es ist Helmut Schmidt, der Ari Rath viele Jahre später - damals ist Schmidt Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit - bitten wird, einen Nachruf auf den von einem religiösen Fanatiker ermordeten Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin zu schreiben.

1973 lernt Rath Willy Brandt unter dramatischen Umständen kennen. Rath und andere Journalisten können einen Absturz des Hubschraubers mit Brandt an Bord knapp verhindern: Die Rotorblätter stehen schon still, als der Helikopter von einer Windböe erfasst und hochgehoben wird. Entsetzt eilen die wartenden Journalisten herbei und hängen sich mit aller Kraft an die Kufen. Eine Szene wie aus einem James Bond-Film.

Weitaus angenehmer ist die Begegnung mit Richard von Weizsäcker Anfang der 1980er Jahre, damals Regierender Bürgermeister von Berlin und auf Israel-Besuch. Gemeinsam mit Freunden verbringen sie den Sederabend, den Vorabend des jüdischen Pessah-Festes. Man mag meinen, Ari Rath sei stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen.

In Israel glauben Realisten an Wunder

Der letzte Satz des Buches lautet: "Mein sehnlicher Wunsch ist es, den Aufbruch zum Frieden in meiner Heimat noch zu sehen." Zeit seines Lebens ist Ari Rath ein Optimist gewesen, hat sich stets gehalten an das Motto Ben Gurions, mit dem ihn - obschon 33 Jahre jünger - persönlich und politisch viel verbindet: "Wer in Israel nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."

Doch jetzt ist Ari Rath besorgt und sagt: "Wir spielen mit dem Feuer, denn wir sind nur ein ganz kleiner Punkt inmitten eines steigenden fanatischen und islamistischen Nahen Osten."

Avigdor Lieberman (l.) und Benjamin Netanjahu; foto: Reuters/Ammar Awad
Unheilige Allianz: Die "Likud"-Partei von Premierminister Netanjahu und Liebermanns Partei "Israel Beitenu" treten mit einer gemeinsamen Kandidaten-Liste an. "Ich glaube, wenn man sich das ganz realistisch anschaut, könnte das viele potentielle Wähler abschrecken", hofft Rath.

​​Auf die Knesset-Wahlen am Dienstag (22.1.) schaut Ari Rath mit Hoffen und Bangen: Der konservative Likud von Premierminister Netanjahu und die - wie Rath sagt - "rassistische" Partei von Liebermann, "Israel Beitenu", treten mit einer gemeinsamen Kandidaten-Liste an. Er hofft, dass diese Strategie nicht aufgeht.

"Ich glaube, wenn man sich das ganz realistisch anschaut, könnte das viele potentielle Wähler abschrecken", spekuliert er. Das sage er nicht nur, weil er ein unverbesserlicher Optimist sei. Andererseits: "Der Moment der Wahrheit findet in der Wahlkabine statt. Oft ist es dann doch so, dass viele die alte Farbe bekennen." Doch was ist, wenn der Likud gewinnt? "Dann ist es ganz schlimm", fürchtet er. Denn beim Likud sieht er nur Lippenbekenntnisse, aber keinen aufrichtigen Willen zum Frieden.

Bei einem Sieg der Arbeitspartei gäbe es sofort Verhandlungen, ist sich Ari Rath sicher. Doch Illusionen über eine Wiederbelebung der Arbeiterbewegung macht er sich nicht.

Verpasste Chancen und späte Einsichten

Im Gegenteil: Er sieht die große Gefahr darin, dass es nicht nur einen Rechtsruck in der Gesellschaft gibt, sondern vor allem in der Armee, wenn nämlich immer mehr junge Leute aus den Siedlungen zu Offizieren aufsteigen. "Dann wäre die Armee nicht mehr unparteiisch, sondern würde ganz klar einen politischen Standpunkt einnehmen."

Buchcover 'Ari heißt Löwe' von Ari Rath, Hanser Verlag 2012
"Ari heißt Löwe": Der in Wien geborene Journalist Ari Rath war oft Zeuge einschneidender Ereignisse in Politik und Zeitgeschichte, die er nun in einem sehr persönlichen Buch aufgeschrieben hat. Er berichtet von der Flucht aus Österreich, vom harten Leben im Kibbuz, von seinen Jahren im Dienst der zionistischen Jugendbewegung und dem mühsamen Aufbau des Staates Israel.

​​Die Geschichte des arabisch-israelischen Konfliktes ist eine Aneinanderreihung von verpassten Chancen und späten - zu späten - Einsichten. Wie und warum das so ist, hat Ari Rath präzise erinnernd und höchst unterhaltsam aufgeschrieben.

Jetzt, im Interview, erzählt er von einem Vortrag von Mahmud Abbas, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, in Wien: "Er war der erste palästinensische und vielleicht auch arabische Politiker, der offen erklärt hat: 'Wir haben einen Fehler begangen, als wir den Teilungsplan vom 1947 nicht akzeptiert haben.'"

"Absurd und traurig"

Damals hatte die Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen, das sogenannte Mandatsgebiet Palästina aufzuteilen. Demzufolge hätten die Palästinenser über 40 Prozent erhalten. "Dann kam es zum Krieg. Es gibt zwei Narrative: Die Palästinenser nennen das die Nakba, die Katastrophe, in Israel spricht man vom Unabhängigkeits- oder Befreiungskrieg."

Heute würden den Palästinensern für einen potentiellen eigenen Staat nur rund 15 Prozent bleiben, doch davon sei rund ein Drittel mit israelischen Siedlungen bebaut. "Das ist absurd. Die Palästinenser sagen: 'Das ist unsere Buße. Aber lasst uns doch wenigstens das.' Es ist traurig, wirklich traurig", sagt Ari Rath kopfschüttelnd. "Die Hamas im Gaza-Streifen, die Hisbollah im Südlibanon haben genug Raketen, um ganz Israel zu bombardieren und zu gefährden. Wir müssen vernünftig sein!" - und es klingt, als flehe er Politiker wie Wahlberechtigte gleichermaßen an.

Sein ganzes bisheriges Leben hat sich Ari Rath beruflich und persönlich für Dialog und Ausgleich eingesetzt - mit Deutschland und mit den arabischen Nachbarn insbesondere. Doch heute ist Ari Rath jemand, dem es zunehmend schwer fällt, sich in Israel zuhause zu fühlen.

Birgit Goertz

© Deutsche Welle 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de