Imaginärer Orient

Shirin Neshat ist die wohl die bekannteste iranische Künstlerin. In ihren suggestiven, mythologisch aufgeladenen Foto- und Filmarbeiten beschäftigt sie sich häufig mit Geschlechterdifferenzen in der islamischen Welt, was ihr regelmäßig den Vorwurf einbringt, mit Klischees zu arbeiten. Von Amin Farzanefar

Ausstellung von Shirin Neshat; Foto: dpa
Bild aus der fotografischen Serie "Women of Allah" von Shirin Neshat

​​Ihren internationalen Durchbruch hatte Shirin Neshat 1994 mit 37 Jahren. "Women of Allah" / "Guardians of the Revolution" (1993) war eine mit widersprüchlichen Bezügen aufgeladene Filmarbeit:

Jungen iranischen Frauen liefen arabische Schriftzüge über Gesicht, Hände, Füße und erweckten Assoziationen an Henna-Ornamente, die zur Hochzeit aufgelegt werden. Gewehrläufe, die diese Frauen von unergründlichem Ernst (eine davon die Künstlerin selber) hielten oder auf den Betrachter richteten, brachen und ergänzten diesen Eindruck um das Klischee der martialischen Revolutionärin.

"Women of Allah" war zudem über die Kulturgrenzen hinweg verschieden lesbar: Die Schriftzüge erschienen dem westlichen Publikum als rein grafisches Ornament, der Schriftkundige hingegen erkannte darin Texte feministischer Autorinnen.

Tatsächlich entsteht Neshats Kunst genau auf der Grenze zwischen fremd und eigen:

Den Iran verließ die 1957 in Qazvin geborene mit 17 Jahren, lebte seither in den USA, und reiste erst 1990 wieder in die Islamische Republik, um einen Blick auf die postrevolutionären Zustände zu werfen.

Männerräume, Frauenräume

Dort erlebte sie eine komplett veränderte Gesellschaft, geprägt von islamischer Gesetzgebung, Geschlechtertrennung, traumatisiert von den Folgen des achtjährigen Irakkrieges. Fortan sollte das ihre Kunst einschneidend prägen:

Shirin Neshat; Foto: DW
Neshat ist seit den Neunzigern auf allen wichtigen internationalen Art-Events vertreten

​​Diese bezieht ihre Wirkung aus dem Kontrastiven: Hart und unvermittelt setzt sie in ihren Videos, Filmen, Installationen Enge-Weite, schwarz-weiß, hell-dunkel, laut-leise gegeneinander; die klare Trennung der Bildräume – oft bespielen ihre Arbeiten zwei getrennte Leinwände - korrespondiert dabei mit einer Trennung der Geschlechterräume.

In dem Film "Turbulence" (zusammen mit "Rapture" und "Fervor" Teil einer Trilogie) singt ein Mann vor Publikum, aus der Kehle einer Frau dringen nur unartikulierte gutturale Geräusche ...

Deutungsoffen: Pulse, Possessed, Passage

Ihre neueren Filmarbeiten prägen eine strenge Rhythmisierung, hypnotische Kamerafahrten und ein unterschwellig arbeitender Klangteppich:

"Pulse" (2001) zeigt in einer langen Kamerafahrt eine Frau, die sich im Halbdunkel einer nostalgisch eingerichteten Kellerwohnung an ein Radio kauert und eine Melodie mitsummt. Unterlegt mit einem pulsierenden Rauschen, wird dieses Tableau zu einer verstörenden Erfahrung von Häuslichkeit, Nostalgie, Gefangenschaft, Einsamkeit.

Ähnlich deutungsoffen ist "Possessed", gleichfalls in Schwarzweiß. Hier folgt die Kamera einer atemlosen Frau durch die engen Gassen einer namenlosen Altstadt, bis sie sich schließlich auf einem übervölkerten Platz im Zentrum der Aufmerksamkeit und der Blicke findet. Albtraum einer Exilantin von ihrer Heimat? Beschreibung weiblicher Innensicht in einer patriarchalischen Gesellschaft?

"Passage", auch aus demselben Jahr, vermittelt neben Geschlechterkontrasten auch andere Gegensätze: Leben, Tod und Wiedergeburt, Wasser und Erde. Am Meer, aus großer Distanz gefilmt, sieht man eine Gruppe Männer, die einen Sarg landeinwärts tragen, hin zu im Kreise sitzenden Frauen, die ein Loch graben. Zum Schluss wird die Trauergemeinde von einer lodernden Feuerwand umschlossen. "Passage" zeigt eine Initiation, wenn auch eine des Unterganges.

Liebling des internationales Kunstmarkts

Viele von Neshats Arbeiten sind in Marokko und der Türkei gefilmt, und alle handeln sie in einem imaginären Orient, bevölkert von einem undeutlichen, gesichtslosen Kollektiv. Ihre kargen Traumlandschaften sind von archaischer Kraft und Bildgewalt, bewegen sich aber gerade damit oft in gefährlicher Nähe zu Klischees und Stereotypen, die im Iran allerspätestens seit der Ära Chatami einer gründlichen Revision bedürfen.

Der internationale Kunstmarkt jedenfalls liebt Neshat: Die New Yorkerin ist seit den Neunzigern auf allen wichtigen internationalen Art-Events vertreten, ihre Fotoarbeiten zieren bis heute zahlreiche Magazin-Titelblätter.

Damit ist sie Hauptrepräsentantin des Iran; für die trotz aller Widrigkeiten wehrhafte und aktive iranische Frauenszene ist wenig Platz – nicht in Neshats Kunst, und auch nicht neben ihr:

Jüngere Künstlerinnen, die ein realistisches, differenziertes und zeitgemäßes Bild des Iran vermitteln, scheinen es angesichts der Omnipräsenz der 50-Jährigen schwer zu haben. Aber will sie diese Repräsentationshoheit? Liegt der Ausschluss der Jüngeren nicht vor allem an westlichen Erwartungen an östliche Kunst?

Was Shirin Neshats Arbeit trotz solcher Einwände zu einem tiefenwirksamen Erlebnisraum macht, ist eben ihre Unbestimmtheit: Durch Verwendung vager, vieldeutiger Symbole und Archetypen überlagert das Atmosphärische noch immer jede Message.

Amin Farzanefar

© Qantara.de 2007

Qantara.de

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