Botschafter zwischen zwei Welten

Als Botschafter in New York konvertierte der Diplomat Mario Scialoja zum Islam. Heute bekämpft er in Italien den Kampf der Kulturen. Von Stefan Ulrich

Mario Scialoja; www.prom.it
Dialog mit Extremisten, ob im Irak oder in Italien, sei Zeitverschwendung, glaubt Mario Scialoja

​​Wie sich die Umstände gleichen: Es ist März, und eine rechte Regierung sucht bei der anstehenden Parlamentswahl Bestätigung durch die Bürger. Die Regierung hat sich außenpolitisch durch einen Schulterschluss mit den USA im Irak hervorgetan und den Hass von Islamisten auf sich gezogen. Über das Internet werden Drohungen lanciert.

An diesem Punkt enden, bisher, die Parallelen. In Spanien brachten fundamentalistische Attentäter vor zwei Jahren fast 200 Menschen um. In Italien ist, kurz vor dem Urnengang am 9. April, alles ruhig. Doch die Geheimdienste sind alarmiert. Sie beschreiben die Wochen vor der Wahl als "Zeitfenster" der Gefahr.

In dieser Situation gibt es Leute, die die Stimmung anheizen. Reformminister Roberto Calderoli von der Partei Lega Nord musste im Februar zurücktreten, weil er ein T-Shirt mit Islam-Karikaturen trug. Sein Parteifreund, Justizminister Roberto Castelli, steht ihm kaum nach. "Ich glaube nicht, dass es einen moderaten Islam gibt", sagte er. Konsequenterweise nannte er den italienischen Islamrat, den das Innenministerium gerade eingerichtet hat, ein "Monster".

Einige Italiener aber stellen sich den Scharfmachern entgegen. Zu ihnen gehört ein Mann, der mit beiden Beinen fest in zwei Welten steht: Mario Scialoja war einst ein katholischer Spitzendiplomat des tief katholischen Italien. Heute ist er Muslim und Präsident der italienischen Sektion der Welt-Muslim-Liga, einer großen, von Saudi Arabien beeinflussten Organisation.

Diesen doppelten Hintergrund nutzt er, um Brücken zu bauen zwischen den Welten. Von der "Großen Moschee" in Rom aus, wo er sein Büro hat, knüpft er Kontakte in alle Richtungen. Seine Freunde säßen in der Regierung, im Vatikan, in jüdischen Organisationen und in Washington, erzählt er.

Für einen Frieden der Religionen

Wie zum Beweis kommt eine Stunde später Riccardo Di Segni, der römische Oberrabbiner, zu seinem ersten Besuch in der Moschee vorbei, einem historischen Besuch. Di Segni und sein Freund Scialoja stehen strumpfsockig und andächtig vor dem Mihrab, der nach Mekka ausgerichteten Gebetsnische dieser größten Moschee Europas.

Mit ihren grauen Vollbärten erinnern sie unter der gewaltigen Kuppel an alttestamentarische Propheten. Ihre Botschaft zielt auf Religionsfrieden. "Der Kampf gegen die Islamophobie und den Antisemitismus muss parallel geführt werden", sagt der Rabbiner. Für ihn sei es dabei selbstverständlich, gegen Karikaturen zu protestieren, die den Islam beleidigten.

Ein Jude, der die Muslime verteidigt - Scialoja kann das nicht überraschen. Schließlich ist er es gewohnt, über den Rand der Religionen hinauszublicken. 1988, da war er gerade italienischer Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York, ist er zum Islam übergetreten.

"Diese Entscheidung habe ich ganz allein getroffen", erzählt er, während er in einem dicken schwarzen Mantel in seinem mit orientalischen Teppichen ausgelegten Büro neben der Moschee sitzt. "Ich habe viel gelesen und den Koran studiert. Am Islam gefällt mir der direkte Kontakt des Gläubigen zu Gott - ohne all die Vermittler, die Priester und die Heiligen, wie im Katholizismus."

Ein wertvoller Muslim

Freunde und Familie hätten den Schritt akzeptiert, erzählt der pensionierte Diplomat. Zwar sei seine katholische Frau zunächst viel häufiger als vorher in die Kirche gegangen. "Doch das hat sich wieder gegeben." Auch beruflich habe er keine Nachteile gehabt. "Das Außenministerium hat gar nicht reagiert, das hat mich selbst überrascht." Hinter seinem Rücken hätten aber wohl einige Kollegen getuschelt: Jetzt spinnt er, der Scialoja.

Für Italien ist der frühere Botschafter nun gerade als Muslim wertvoll geworden. Er dient als Vermittler in einer Zeit, da einerseits die Zahl der Muslime im Land und andererseits die Bedrohung durch Fundamentalisten wächst.

Scialoja warnt davor, hier Kurzschlüssen zu erliegen. Die meisten muslimischen Einwanderer seien vor Armut oder Verfolgung geflohen, sagt er. Sie wollten in Italien arbeiten, um etwas Wohlstand für sich und ihre Kinder zu erreichen.

Nur etwa sechs Prozent der Muslime im Lande gingen regelmäßig in die Moschee. Und diese Gläubigen wollten in aller Regel beten, nicht Politik machen.

Integration statt Dialog mit Extremisten

Scialoja glaubt denn auch nicht, dass die Integration der 1,2 Millionen Muslime in Italien gerade durch deren Glauben erschwert werde. "Ich kenne viele Jordanier oder Syrer, die unsere Hautfarbe haben, hier erfolgreich arbeiten und keine Probleme haben, italienische Freunde zu finden", erzählt er.

Dann wagt er eine These, die er selbst als "politisch nicht korrekt" bezeichnet: Wenn es Schwierigkeiten mit der Integration gebe, seien das Rassen- und nicht Religionsprobleme. Als Beispiel nennt er die Lage vieler Schwarzer in den USA. Auch in Italien hätten es Afrikaner oft schwer.

Am Wichtigsten sei es da, der Ghettobildung vorzubeugen, wie es sie in Frankreich gebe. Nur wenn die Einwanderer in denselben Vierteln wie die Einheimischen lebten und ihre Kinder in dieselben Schulen gingen, könne Integration gelingen. Und die hält Scialoja für unerlässlich. "Keiner kann sagen, wie stark der muslimische Anteil in Italien in den kommenden 50 Jahren ansteigt. Aber eines ist klar: Er steigt stark an."

Der Frage, wie präsent Islamisten heute im Lande sind, weicht Scialoja spöttisch aus: "Sie wollen die Wahrheit wissen? Ich sage Sie ihnen nicht." In einem Punkt aber ist er ganz offen: Dialog mit Extremisten, ob im Irak oder in Italien, sei Zeitverschwendung.

Der Westen solle lieber versuchen, den Fundamentalisten den Boden zu entziehen - durch Integration. Im geburtenschwachen Italien mit seiner starken Zuwanderung gebe es dazu keine Alternative. "Entweder wir leben zusammen, oder es gibt ein Desaster."

Stefan Ulrich

© Süddeutsche Zeitung 2006

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