Der Mann hinter den Kulissen

Der Iran kämpft mit Saudi-Arabien um die regionale Vorherrschaft und baut seinen Einfluss stetig aus. Was bisher wenig bekannt ist: Hinter den Kulissen hält Qassem Soleimani, Kommandeur der iranischen „Al-Quds“-Einheit, die Fäden in der Hand. Von Martina Sabra

Von Martina Sabra

Viele Syrer und Iraker sind der Ansicht, dass Baschar Al Assad in Damaskus, Nuri Al Maliki in Bagdad und ihre jeweiligen Machtzirkel nicht mehr selbst entscheiden, sondern dass ein Iraner die Befehle gibt: Qassem Soleimani.

Für die USA ist Qassem Soleimani formal ein Terrorist, allerdings einer, mit dem man sich besser nicht direkt anlegt: John Maguire, ein führender CIA-Mitarbeiter, soll Soleimani als „derzeit mächtigsten Agenten im gesamten Nahen Osten“ bezeichnet haben. Soleimani selbst soll im Jahr 2008 in einer Depesche an den damaligen Oberkommandieren der US-Armee im Irak geschrieben haben: „Sehr geehrter Herr Petraeus, Sie sollen wissen, dass ich die Außenpolitik des Irans in bezug auf Gaza, den Libanon, Irak und Afghanistan kontrolliere.“

Offiziell ist Qassem Soleimani seit 1998 Oberkommandierender der sogenannten „Al-Quds-Einheit“ - eine Division der Iranischen Revolutionsgarde (IRGC), die Spezialeinsätze außerhalb des Iran durchführt. In Bezug auf die iranische Außenpolitik ist er direkt dem obersten Revolutionswächter, Ayatollah Ali Khamenei, zugeordnet. Khamenei soll Soleimani „einen lebenden Märtyrer der Iranischen Revolution“ genannt haben. 

Wer ist der Mann, der von regimetreuen Iranern als Kriegsheld gefeiert wird, während die westliche Öffentlichkeit bis vor kurzem kaum wusste, dass er existierte? Aufschluss geben zwei neuere Veröffentlichungen aus den USA, eine vom Iran-Experten Ali Alfoneh und eine vom Nahostexperten und Journalisten Dexter Filkins.

Der „Schattenkommandeur“

Laut Ali Alfoneh wurde Qassem Soleimani 1957 in Rabord geboren, einem Dorf in der dünnbesiedelten Provinz Kerman im Südosten des Iran.

Ayatollah Ali Khamenei; Foto: dpa
Klares Ziel von Soleimani ist: Der Iran soll nie wieder von auslädischen Kräften angegriffen werden. Er untersteht direkt dem Obersten Revolutionswächter Khamanei. Seine Einheit ist für "spezielle Auslandsoperationen" zuständig.

Nach dem Besuch der Grundschule ging Soleimani in die Stadt Kerman, um dort als Bauarbeiter Geld zu verdienen. Ab 1975 fand der mittlerweile 18-jährige Soleimani Arbeit bei der regionalen Wasserbehörde in Kerman. Ob Soleimani sich an Protesten gegen das Schah-Regime beteiligte, ist nicht klar.

Ali Alfoneh schreibt, dass Soleimani in dieser Zeit bei Moscheebesuchen Bekanntschaft mit Hojja Kamyab machte, einem Wanderprediger aus dem religiösen Umfeld des späteren obersten Revolutionswächters und De-Facto-Staatsoberhauptes Ali Khamenei, und dass Soleimani sich sehr bald nach der Islamischen Revolution im Jahr 1979 von der neu gegründeten Revolutionsgarde rekrutieren ließ, einer Spezialtruppe, die das Regime schützen wollte.

Zwar verfügte Soleimani weder über militärisches Training noch über Kampferfahrung. Doch er war offenbar so talentiert und erfolgreich, dass er nach seiner eigenen Grundausbildung schon bald selbst zum Ausbilder befördert und auf spezielle Missionen im Inland geschickt wurde. Eine wichtige Karriereschleife war für Soleimani die Niederschlagung der Kurdenrebellion von Mahabad (Nordwestiran) in den Jahren 1979/1980. Nach seiner Rückkehr übernahm Soleimani das Kommando über die neu gegründete regionale Quds-Einheit der Revolutionsgarde in Kerman. 

Prägung durch den Iran-Irak-Krieg

Von 1980 bis 1988, während des gesamten Krieges gegen den Irak, kämpfte Soleimani an nahezu allen Fronten und in allen Schlachten. Der Krieg soll ihn tief geprägt haben – nicht nur wegen der hohen Opferzahl, sondern auch weil er mit einem Waffenstillstand endete und nicht mit einem Sieg der Iraner. „Der iranische Klerus wollte kein weiteres Blutbad. Doch viele Militärs aus Soleimanis Generation hatten sich schon in Jerusalem gesehen und fühlten sich betrogen“, schreibt Dexter Filkins unter Berufung auf Ali Alfoneh.

Nach dem Ende des Irak-Iran-Krieges wurde Soleimani in den Ostiran beordert, um afghanisch-iranische Drogenkartelle zu bekämpfen. Das gelang ihm offenbar mit so durchschlagendem Erfolg, dass er 1998 zum Kommandeur der sogenannten Quds-Einheit befördert wurde. Die heute rund 15000 Mann starke Sondereinheit der Revolutionsgarde war für „spezielle Auslandsoperationen“ zuständig.

Kontakte mit den USA

Soleimani hatte ein klares Ziel: Der Iran sollte nie wieder Ziel eines Angriffs werden und das Land sollte die Vormachtstellung im Nahen Osten gewinnen. Bei der Umsetzung dieses Ziels ging er nicht nach einem Masterplan vor, sondern nutzte klug jede sich bietende Gelegenheit. Dabei kam ihm sein Pragmatismus zugute.

Baschar al-Assad; Foto: Reuters
Man weiß heute, dass Qassem Soleimani mehrere zehntausend schitische Milizionäre aus dem Iran, dem Irak, dem Libanon und aus anderen Ländern nach Syrien einfliegen ließ. Sie sollten die brutale Diktatur unter Baschar Al Assad unterstützen und die Revolution bekämpfen sollten.

Soleimani unterstützte nicht nur die schiitische Hisbollah im Libanon und schiitische Milizen im Irak, sondern auch die sunnitische palästinensische Hamas im Gazastreifen und das säkulare Assad-Regime in Damaskus. Entscheidend waren für ihn nicht die Religion oder die konfessionelle Zugehörigkeit, sondern die Interessen des Irans.

Soleimani war auch clever genug, das Gespräch mit den USA zu suchen, wenn er es für opportun hielt – und die Kommunikationskanäle wieder abzuschalten, wenn er sie nicht mehr brauchte. Unmittelbar nach dem 11. September 2001, während des US-geführten Krieges gegen die Taliban in Afghanistan, soll es zahlreiche Kontakte zwischen Soleimani und US-Vertretern gegeben haben.

Doch nach der US-Invasion im Irak und dem Sturz von Saddam Hussein zeigte sich, dass der Iran den mehrheitlich schiitischen Irak nun als eine Art strategischen Vorhof betrachtete und die USA als Vermittler nicht mehr brauchte. Iranisch finanzierte Schiitenmilizen und die Quds-Brigaden aus dem Iran verübten zahlreiche blutige (Vergeltungs-) Attentate gegen US-Militärs und gegen irakische Sunniten im Irak. Laut Dexter Filkins soll Soleimani auch direkt an der Einsetzung Nuri Al Malikis als Ministerpräsident mitgewirkt haben.

Unterstützung für Assad bis zum Ende

Irak, Syrien, Libanon – um die „Widerstandsachse“ stabil zu halten, war das iranische Regime auf das Assad-Regime in Damaskus angewiesen, das seit den 1970er Jahren engster Verbündeter des Irans in der Region war. Die Islamische Republik Iran und das arabische sozialistische Syrien waren zwar sehr unterschiedlich, aber sie hatten einen gemeinsamen Feind: Israel und seine Schutzmacht USA. Hafez Al Assad und nach ihm sein Sohn Baschar Al Assad garantierten, dass der Iran problemlos Waffen und Logistik an die Hisbollah im Libanon liefern konnte.

Als im Frühjahr 2011 der syrische Aufstand gegen das Assad-Regime begann, und die syrische Armee in kürzester Zeit massive Zerfallserscheinungen zeigte, schien ein elementarer Bestandteil der „Widerstandsachse“ in Gefahr. Offiziell forderte der Iran, dass ausländische Kräfte sich in Syrien nicht einmischen sollten. Für den Iran selbst galt das nicht.  

Qassem Soleimani ließ mehrere zehntausend schitische Milizionäre aus dem Iran, dem Irak, dem Libanon und aus anderen Ländern nach Syrien einfliegen, die die brutale Diktatur unter Baschar Al Assad unterstützen und die Revolution bekämpfen sollten. Nach Angaben syrischer Beobachter landen auch weiterhin mehrmals täglich Transportflugzeuge mit Waffen, Munition und anderen wichtigen Gütern aus dem Iran in Syrien.

Das syrische Volk zahlt einen extrem hohen Preis für die iranischen Expansionsbestrebungen. Experten gehen davon aus, dass das Assad-Regime ohne die massive Unterstützung aus Teheran längst gestürzt wäre. Ein frühes Ende des Assad-Regimes hätte möglicherweise das Chaos und den Vormarsch der Dschihadisten in Nordostsyrien und Nordwestirak verhindert.

Doch im Iran setzt man offenbar darauf, mögliche Konkurrenten bzw. Angreifer schwach zu halten. Instabile Nachbarstaaten lassen sich besser kontrolliere und beherrschen. Zudem ist der Iran jetzt für die USA zu einem möglichen Partner bei der Bekämpfung der Dschihadisten und ihres „Islamischen Staates“ avanciert – trotz Sanktionen und Atomstreit. Qassem Soleimani hat klargemacht, dass man das Assad-Regime in Damaskus bis zum Ende unterstützen werde.

Martina Sabra

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Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de