Exilant in der Heimat

Rafik Schami ist einer der bedeutendsten Autoren der deutschen Sprache. Als 25-Jähriger kam er nach Deutschland – seine Heimat Syrien trägt er seitdem im Herzen. Sie steht auch im Mittelpunkt vieler seiner Erzählungen. Markus Clauer stellt den Bestseller-Autor vor.

Von Markus Clauer

Eine der jüngsten und zugleich ältesten Geschichten von Rafik Schami dreht sich um einen Friseur, den der Autor im Alter von 15 Jahren in der syrischen Hauptstadt Damaskus aufsuchte, wo Rafik Schami 1946 geboren wurde. Es hieß, der Barbier sei ein Experte für Lebensweisheiten. Und es stimmte. Nur leider hat er seinem jungen Kunden die Frisur verhunzt. Die Haare wuchsen wieder. Die Geschichte blieb dem Schriftsteller. Sie taucht in seinem 2011 im Carl Hanser Verlag erschienenen Buch Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte wieder auf. Rafik Schami erzählt darin, wie er Schriftsteller geworden ist.

Eigentlich heißt Rafik Schami Suheil Fadel. Er ist Bäckersohn, Christ. Mit 16 Jahren gründete er eine Wandzeitung, mit 25 Jahren wanderte er mit einem Koffer Manuskripten nach Heidelberg aus und baute sich dort ein neues Leben auf. Doch bevor Rafik Schami sich als Schriftsteller selbständig machte, promovierte er erst einmal in Chemie.

Die Literatursprache brachte er sich bei, indem er Klassiker von Thomas Mann und Johann Wolfgang von Goethe handschriftlich kopierte. Seit 1982 schreibt der gebürtige Syrer auf Deutsch. Am Anfang seiner Karriere saß er bei Lesungen manchmal vor nur einer Handvoll Zuhörer. Heute werden Rafik Schamis Werke in 24 Sprachen übersetzt. Seine Lesungen füllen große Säle. Mittlerweile ist der Schriftsteller deutscher Staatsbürger. Gleichwohl nennt er sich selbstbewusst den "erfolgreichsten syrischen Autor der Welt". Ein "Damaszener Freund" aber, wie die Übersetzung des Namens Rafik Schami lautet, ist er immer geblieben.

Hommage an die Herkunftswelt

Morgens, wenn er wach werde, denke er an Damaskus, sagt Rafik Schami. Wehmütig. Glücklich, wenn er sich an die Stadt seiner Kindheit erinnere. In Sorge. Die Schwester des Autors lebt in Syrien, immer noch – im Kriegszustand. Er erzählt fast ausschließlich Geschichten, die in der syrischen Hauptstadt spielen. Sein Werk, eine Hommage an seine krisengeschüttelte Herkunftswelt.

In seiner Prosa hat Rafik Schami Damaskus, wo er unerwünscht ist und seit 40 Jahren nicht mehr war, regelrecht konserviert. Dank Google Earth und dem Herzblut des Vertriebenen verfügt er heute noch über genaue Ortskenntnis. Immer wieder gibt er Interviews zur politischen Lage. Rafik Schamis Verein "Schams" unterstützt syrische Kinder und Jugendliche finanziell.

Markt in Syrien vor dem Bürgerkrieg. Foto: R. Hayo
Fern der Heimat, doch in Gedanken stets bei ihr: Obwohl Rafik Schami zuletzt vor fast vierzig Jahren seine Heimatstadt Damaskus in Syrien besuchte, kennt er sie wie seine eigene Westentasche. Aufgrund von Google Earth und den Erzählungen seiner Schwester, die noch heute in der Kriegsstadt lebt, verfügt er über genaue Ortskenntnis und gibt hin und wieder auch Interviews zur politischen Lage des Landes, schreibt Markus Clauer.

Für sein literarisches Werk wurde Rafik Schami mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Im Jahr 1994 etwa erhielt er für Der ehrliche Lügner den Hermann-Hesse-Preis, 1997 den Hans-Erich-Nossack-Preis für sein Gesamtwerk und 2011 den Georg-Glaser-Preis für Literatur. Die Romane des Chemikers sind syrische Synästhesien, allen voran Die dunkle Seite der Liebe aus dem Jahr 2004, ein breit ausgelegter Geschichtenteppich mit dichter Textur. Erzählt wird bei Rafik Schami, der ein begnadeter Vortragskünstler ist, in einem märchenhaften Ton, der die Faszination des Mündlichen ins Schriftliche rettet: Viele Storys, dazu das Orientalische als Bonusmaterial.

Geschichten statt Erklärungen

Wer wissen will, wie Rafik Schami selbst sein Werk sieht, muss den 2011 erschienenen Band Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte zur Hand nehmen. Er liefert so etwas wie den Begründungszusammenhang für sein literarisches Schaffen. Eines der zwölf Kapitel in dieser eingängigen Selbsterklärung beinhaltet den leicht redigierten Vortrag, den Rafik Schami hielt, als ihm 2010 die Brüder-Grimm-Professur der Universität Kassel verliehen wurde.

Zwischendurch geht es um Themen wie das Märchen als "Volkstherapie" oder Sprüche als "Konzentrat von Erfahrungen". Auch philosophiert er darüber, wie die Wüste die beredte, aber bilderarme arabische Kultur geprägt hat – in ihr ruhe das Auge, während sich die Zunge löse.

Das Buch, eine Sammlung von Kurzgeschichten, Episoden und Reden, ist autobiografische Poetologie und ethnografische Erzählung. Rafik Schami würde das allerdings nie so sagen. Sein Gestus ist der der strikten Verständlichkeit. Er zieht das Erzählen dem Wortschwall vor, lieber bringt er noch eine Geschichte, statt alles zu erklären.

Seit Jahrzehnten lebt Rafik Schami in einem Dorf in Rheinland-Pfalz. Mit seinen Gedanken ist er oft in Syrien. In Deutschland fühlt er sich zwar angekommen, nach Syrien will er eines Tages aber zurückkehren. Als Sieger über das Regime. Bis dahin erzählt er weiter über das Deutschsein und das Damaszenerbleiben. Einmal, bei einer Veranstaltung anlässlich seiner Poetik-Dozentur an der Universität Koblenz-Landau, wurde er gefragt, ob er, Rafik Schami, sich nicht eigentlich in einem Paradox befinde. Ob er nicht ein Exilant in der Heimat sei. "Ja", sagte er da, "das stimmt".

Markus Clauer

© Goethe Institut 2015