Die Neuordnung der Welt

Verlauf und Ausgang der Umbruchprozesse in der arabischen Welt sind noch offen. Doch bereits heute zeichnet sich ab, wer in der Region zu den Aufsteigern gehören wird - und wer eher nicht. Vor allem die Türkei dürfte einen Zuwachs an politischem Einfluss erleben. Eine Analyse von Volker Perthes

Auch wenn Verlauf und Ausgang der Umbruchprozesse in den arabischen Staaten oder Iran noch offen sind - bereits heute zeichnet sich ab, wie diese Ereignisse die regionale, geopolitische Gewichtsverteilung beeinflussen werden.

So dürfte Ägypten, dessen innere Stagnation sich zunehmend in außenpolitischem Einflussverlust gespiegelt hatte, seine natürliche Rolle in der arabischen Welt zumindest teilweise zurückgewinnen: nicht unbedingt die einer aktiven oder gar hegemonialen Führung, wohl aber die eines Trendsetters.

Ägypten bildete unter Abdel Nasser in den fünfziger und sechziger Jahren ein Modell für die vom Militär gestützten arabischen Autokratien. Es begann in den siebziger Jahren mit einer von oben gesteuerten wirtschaftlichen Öffnungspolitik und schloss dann als erster arabischer Staat Frieden mit Israel. Als bevölkerungsreichster Staat der Region ist Ägypten gleichzeitig auch Orientierungspunkt für politische und gesellschaftliche Debatten in der arabischen Welt.

Eine neue, demokratisch legitimierte Führung wird eher noch weiter geöffnete Türen in Washington und europäischen Hauptstädten finden als deren Vorgänger, gleichzeitig aber sehr selbstbewusst auftreten - auch gegenüber Europa, den USA und Israel. Zwar wird keine relevante politische Kraft in Ägypten den Friedensvertrag mit Israel aufkündigen wollen. Man wird sich aber auch nicht mehr zum Hilfspolizisten Israels an der Grenze zwischen Ägypten und dem Gaza-Streifen machen lassen.

Bedeutungsverlust für Saudi-Arabien

Saudi-Arabien dagegen wird aller Voraussicht nach an Gewicht verlieren. Riad hatte in den vergangenen zehn Jahren eine immer bedeutendere Rolle in der regionalen Politik gespielt, nicht nur weil Kairo seinen traditionellen Führungsplatz nicht mehr ausfüllte. Wesentlich waren sowohl die von König Abdullah schon als Kronprinz eingeleiteten vorsichtigen inneren Reformen wie auch seine aktivere regionale Politik.

Panzer in Manama, Bahrain; Foto: dapd
"Die Entscheidung, Truppen nach Bahrain zu entsenden, um das dortige Minderheitsregime gegen die Protestbewegung zu unterstützen, hat dem Ansehen Saudi-Arabiens geschadet", meint Volker Perthes.

​​Dazu gehörten nicht zuletzt die von ihm auf dem Arabischen Gipfel von 2002 durchgesetzte Friedensinitiative und wiederholte Ausgleichsbemühungen in innerpalästinensischen oder innerlibanesischen Konflikten. Dass Saudi-Arabien ein privilegierter Ansprechpartner der USA war, wichtigstes Gegengewicht Irans am Persischen Golf wurde und als einziger nah- oder mittelöstlicher Staat Mitglied der G 20 ist, stärkte sein Gewicht zusätzlich.

Ausschlaggebend wird sein, wie sich das Königreich angesichts der politischen Umbrüche in der arabischen Welt positioniert und wer in Riad entscheidet. König Abdullah ist alt und krank, und es scheint so zu sein, als ob Entscheidungen immer mehr von seinem sehr viel konservativeren Halbbruder, Innenminister Naif, beeinflusst werden. Wenn Saudi-Arabien den Reformkurs Abdullahs aufgeben oder sich gar zum Anführer der Gegenrevolution machen würde, wäre seine regionale Legitimität dahin.

Auf der richtigen Seite der Geschichte

Die Entscheidung, Truppen nach Bahrain zu entsenden, um das dortige Minderheitsregime gegen die Protestbewegung zu unterstützen, hat dem Ansehen des Königreichs geschadet. Zudem ist der direkte Draht zwischen Riad und Washington beschädigt: Abdullah nahm es Obama übel, dass dieser den ägyptischen Präsidenten Mubarak fallen ließ.

Demonstration auf dem Tahrir-Platz; Foto: dapd
Politische Gewichtsverteilung zugunsten Ägyptens: Ägyptens Rolle wird "nicht unbedingt die einer aktiven oder gar hegemonialen Führung sein, wohl aber die eines Trendsetters", meint Perthes.

​​Amerikanischen Rat für den Umgang mit Bahrain verbat man sich, machte stattdessen deutlich, dass man demokratische Herausforderungen im eigenen Vorhof nicht dulden werde und dafür sogar bereit sei, den US-Verteidigungsminister zu düpieren. Dies dokumentierte zwar die Grenzen amerikanischen Einflusses, dürfte gleichzeitig aber die Stellung Riads in Washington beschädigt haben.

Nervosität des iranischen Regimes

Auch Iran wird, entgegen der eigenen Propaganda, kaum zu den Gewinnern gehören. Zwar versucht man in Teheran, sich selbst und andere davon zu überzeugen, dass die arabischen Revolten einen islamischen Charakter hätten. Man übersieht dabei nicht nur, dass selbst die mehrheitlich, nicht ausschließlich, schiitische Protestbewegung in Bahrain nach Demokratie, Würde und angemessener Partizipation ruft, nicht nach einer islamischen Republik.

Iranische Oppositionelle Mirhosein Mussawi und Mehdi Karrubi bei einer Pressekonferenz; Foto: sahamnews/DW
Iran: Der nächste Dominostein? "Die Verhaftung der Oppositionsführer Mussawi und Karrubi zeigte die Nervosität an der Spitze des iranischen Regimes überdeutlich", kommentiert Perthes.

​​Hier zeigt sich ein durchaus charakteristisches Problem der iranischen Führung: Nicht Realitätsverweigerung, sondern eher mangelnde Kenntnis der Realitäten in der Welt führt oft zu eigenartigen Interpretationen von Entwicklungen im internationalen Umfeld, die doch irgendwie in das eigene Selbst- und Weltbild passen müssen. Gleichwohl ahnt man, dass auch das eigene System herausgefordert ist: Die Verhaftung der Oppositionsführer Mussawi und Karrubi zeigte die Nervosität an der Spitze des Regimes überdeutlich.

Modellcharakter - in zweifacher Hinsicht

Einen Zuwachs an politischem Einfluss in der Region dürfte vor allem die Türkei erleben. Die türkische Regierungs- und Staatsspitze hat sich angesichts der arabischen Revolutionen von Beginn an richtig positioniert. Sie erkannte früh, dass die alten Regime ans Ende gekommen waren, mahnte Reformen an oder stellte sich sogar vergleichsweise deutlich auf die Seite der Protestbewegungen.

Türkischer Ministerpräsident Erdogan; Foto: AP
"Die EU sollte überlegen, wie sie die 'soft power' der Türkei für ihre Bemühungen nutzbar machen könnte, die Transformationsprozesse in der arabischen Welt zu unterstützen", meint Volker Perthes.

​​Angesichts der engen Bindungen der Erdogan-Regierung an einige der alten arabischen Regime lässt sich hier von Opportunismus sprechen. Letztlich zählt aber, sich rechtzeitig auf der richtigen Seite der Geschichte platziert zu haben.

Die Türkei hat bereits in den vergangenen Jahren ihr Engagement in der arabischen Welt spürbar ausgebaut - nicht zuletzt durch eine Nachbarschaftspolitik, die, wie ihr EU-Pendant, auf Handel und Investitionen sowie auf Visa-Erleichterungen gegenüber den arabischen Partnerländern setzt. Dazu kommt nun, dass die Türkei viele der neuen politischen Akteure in den arabischen Ländern in zweifacher Hinsicht Modellcharakter hat: Da ist zum einen die AKP, Erdogans Partei, die zeigt, dass eine aus dem islamistischen Spektrum entstandene Partei sehr wohl zu einer konservativen demokratischen Volkspartei werden kann.

Nicht von ungefähr orientieren sich die Reformer innerhalb des politisch-islamischen Spektrums in Ägypten und anderen arabischen Ländern am AKP-Modell, bis hin zur Namensgebung. Zum anderen ist der Staat Türkei für viele das Vorbild, wie eine "sanfte Landung", sprich: ein geordneter Übergang von einer Diktatur zu einem demokratischen System, stattfinden kann.

Die EU sollte dies nicht übersehen, sondern überlegen, wie sie die "soft power" der Türkei für ihre Bemühungen nutzbar machen könnte, die Transformationsprozesse in der arabischen Welt zu unterstützen.

Volker Perthes

© Qantara.de 2011

Volker Perthes ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin und ausgewiesener Experte für den Nahen Osten.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de