Trend zur Islamisierung

Die Debatte um Malaysias islamische Identität spitzt sich genauso zu wie der ethnische Konflikt zwischen den Malaien und der chinesischstämmigen Minderheit. Widersprüche in der Verfassung erschweren die Situation zusätzlich. Von Maznah Mohamad

Die Debatte um Malaysias islamische Identität spitzt sich genauso zu wie der ethnische Konflikt zwischen den Malaien und der chinesischstämmigen Minderheit. Widersprüche in der Verfassung erschweren die Situation zusätzlich. Maznah Mohamad berichtet.

Ein malaysischer Muslim ausserhalb einer Moschee in Kuala Lumpur; Foto: AP
Einige radikale Stimmen in Malaysia werben verstärkt für die Islamisierung des Landes, sowie für die strikte Einführung der Scharia nicht nur auf regionaler Ebene

​​Die Gesellschaft Malaysias sieht sich gegenwärtig mit einer entscheidenden Frage konfrontiert: Ist das Land, dessen Bevölkerung zu mehr als einer Hälfte aus Muslimen besteht, ein islamischer Staat?

In der Praxis verleihen verschiedene religiöse und ethnische Gruppen Malaysia einen deutlich multikulturellen Charakter. Die malaysische Verfassung lässt jedoch Raum für Argumente in beide Richtungen, und der relativ säkulare Status Quo steht vor einer ernsten Herausforderung.

Die 1957 von einer Expertengruppe unter der Federführung der ehemaligen britischen Herrscher des Landes formulierte Verfassung enthält zwei scheinbar widersprüchliche Klauseln. Einerseits wird in Artikel 3 erklärt, dass der Islam die Religion der Föderation ist und dass Muslimen ausschließlich der Islam gepredigt werden kann.

Andererseits garantiert Artikel 11 Religionsfreiheit für alle. Infolgedessen existiert in Malaysia sowohl ein allgemeines Zivilgesetzbuch, das universell angewendet wird, als auch islamisches Recht, das ausschließlich auf Muslime in persönlichen und familiären Angelegenheiten angewendet wird.

In der jüngsten Vergangenheit haben einige muslimische Gruppen jedoch Druck auf die Regierung ausgeübt, Malaysia aufgrund des Artikels 3 und der überwiegend muslimischen Bevölkerung zu einem islamischen Staat zu erklären. Letztendlich wünschen sie sich, dass in Malaysia islamisches Recht gilt.

Jahrelang gab es wenig Anlass, diese verfassungsrechtliche Frage zu klären. Wenn etwa ein Muslim beschloss, seinem Glauben abzuschwören, wurde die Angelegenheit außerhalb des Rechtssystems geregelt oder die Übertrittsdokumente wurden versiegelt.

Religion keine Privatsache in Malaysia

Heutzutage jedoch muss jeder Malaysier seine Religionszugehörigkeit erklären, die von der Regierung erfasst wird – eine Maßgabe, die es einem Muslim erschwert, dem Islam den Rücken zu kehren, ohne die Statusänderung über den Rechtsweg zu formalisieren.

Gegenwärtig verfolgt das Land gebannt das Schicksal normaler Bürgerinnen wie das der Verkäuferin Lina Joy und der ehemaligen Religionslehrerin Kamariah Ali, die versuchen, ihre Religionszugehörigkeit auf dem Rechtsweg zu ändern.

Islamische Berufsverbände und die islamische Oppositionspartei sind der Ansicht, dass der Abfall vom Islam mit dem Tod zu bestrafen ist. Gleichermaßen wurde die Verteidigung der Gewissensfreiheit eines Individuums durch bürgerliche Reformbewegungen in Malaysia von einigen religiösen Führern als Angriff auf den Islam verurteilt.

Zurzeit gibt es in Malaysia kein Gesetz, das die Todesstrafe über Apostaten verhängen würde. Es sind jedoch nationale Bewegungen gegründet worden, um diesen islamischen Grundsatz hervorzuheben.

Wenn die Todesstrafe nicht angewendet wird, so die Argumentation, wird es eine massive Abwanderung von Muslimen zu anderen Glaubensrichtungen geben. Unmittelbares Ziel ist es, die Gerichte davon abzuhalten, Lina Joy oder Kamariah Ali die Konvertierung zu gestatten.

Versuche anderer demokratischer Bürgerrechtsgruppen, dieses Thema in friedlichen öffentlichen Foren zu diskutieren, wurden durch Gewaltandrohungen einer Koalition aus muslimischen Nichtregierungsorganisationen vereitelt, die sich selbst BADAI nennt (das malaiische Akronym für Koalition gegen die interreligiöse Kommission).

Ein ethnisches und religiöses Problem

Aus Sorge, einen ethnischen Konflikt auszulösen, hat Premierminister Abdullah Ahmad Badawi eine offene Diskussion dieser Fragen verboten und angedroht, Anbieter von Internetnachrichten und Aktivisten zu inhaftieren, wenn diese weiterhin solche Debatten schüren.

Badawi hat Grund zur Sorge. Seit der Unabhängigkeit hat die nationale Politik in Malaysia die Gruppenidentität verstärkt, insbesondere unter ethnischen Malaien, einer ausschließlich muslimischen Gemeinde. Identitätspolitik hat es ethnischen Malaien ermöglicht, ihre Forderungen, das Land, die Sprache und die Religion zu kontrollieren, geltend zu machen.

Alle Versuche, den malaiischen Einfluss zu verringern, dienen der Mobilisierung dieser Gemeinde – sowohl ethnisch wie religiös. Malaiische Politiker haben gelernt, wie sie diese Karte sehr wirkungsvoll ausspielen können.

Der Sonderstatus der ethnischen Malaien ist seit langem in Förderungsmaßnahmen zu Gunsten von Minderheiten festgeschrieben, die ihnen spezielle wirtschaftliche Vorteile einräumen. Im Zuge der malaysischen Beteiligung an der Weltwirtschaft könnten diese Privilegien jedoch letztlich ausgeräumt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu steigern.

Infolgedessen sind viele malaiische Muslime zunehmend über einen Verlust der gewohnten wirtschaftlichen und politischen Schutzmaßnahmen beunruhigt. Insbesondere die Spannungen zwischen der malaiischen Mehrheit und der großen chinesischen Minderheit des Landes, die schneller von der wirtschaftlichen Öffnung Malaysias der Welt gegenüber profitiert hat, haben zugenommen.

Auswirkungen des Nahost-Konflikts

Hinzu kommt, dass die Bemühungen, den Staat zu islamisieren, zu einer Zeit stattfinden, in der der Konflikt im Nahen Osten die islamischen Bewegungen in Malaysia weiter politisiert hat. Sie betrachten sich selbst als Kräfte, die der kulturellen Dominanz durch den Westen entgegenwirken, und bekräftigen ihre religiöse Identität in Anbetracht dessen, was sie als Imperialismus fördernde Konzepte verstehen, etwa Säkularismus und Menschenrechte.

Kleine Kontroversen werden durch diesen zugrunde liegenden Konflikt verschärft. Meinungsverschiedenheiten werden zunehmend so dargestellt, als seien sie durch eine Kluft zwischen Ost und West begründet, als Kampf zwischen Gläubigen und Abtrünnigen.

Viele Muslime hüten sich vor dieser Art von Identitätspolitik. Ihnen ist klar, dass sich die Intoleranz muslimischer Gruppen leicht gegen gemäßigte Muslime wenden kann. Alle Malaysier müssen jedoch lernen, wie sie mit Spannungen umgehen können, die die einzelnen Gemeinden ihres Landes anscheinend auseinander bringen.

Somit ist die Verteidigung einer multikulturellen nationalen Identität angesichts religiöser Intoleranz die große Herausforderung, mit der der Staat und die Gesellschaft Malaysias konfrontiert sind.

Maznah Mohamad

Aus dem Englischen von Sandra Pontow

© Project Syndicate 2006

Maznah Mohamad ist stellvertretende Dekanin für Graduiertenprogramme an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Sains Malaysia

Qantara.de

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