Widerwillige Umarmung

Syrien ist dabei, sich dem Reformtrend innerhalb der arabischen Staaten anzuschließen - will davon aber so wenig Aufhebens wie möglich machen, schreibt Sami Moubayed aus Damaskus.

Syrien ist dabei, sich dem Reformtrend innerhalb der arabischen Staaten anzuschließen, will davon aber so wenig Aufhebens wie möglich machen, schreibt Sami Moubayed aus Damaskus.

Foto: AP
Will begrenzte Freiräume für Oppositionelle zulassen - Syriens Präsident Baschar el Assad

​​Als Präsident Bashar Al-Assad im Jahr 2000 an die Macht kam, betonte er, dass Reformen in Syrien eher ökonomischer und administrativer als politischer Natur werden würden.

Die Regierung argumentierte, dass der 17 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung persönliche Freiheiten nicht so viel wert seien, so lange ihr Einkommen nicht ausreiche, um sich gut zu ernähren und ihr Leben und ihre Karriere zu sichern. Der durchschnittliche Syrer ist — so wurde behauptet — viel eher an einem guten Einkommen interessiert als daran, seine demokratischen Rechte auszuüben.

Politische Freiheiten als Luxus

Politische Freiheiten seien ein Luxus, meckerten viele Offiziellen, und könnten sowieso nicht genossen werden, solange man nicht einen gewissen Lebensstandard erreicht habe. Das erklärt, warum Lohnerhöhungen, Privatbanken und andere wirtschaftliche Reformen denen des Parteiengesetzes oder dem des Medienrechts vorausgingen.

Wenn Syrien heute, mit dem Truppenabzug aus dem Libanon, eine neue Seite seiner Geschichte aufschlägt, gerät Al-Assad jedoch unter erneuten Druck, sein Reformprogramm sowohl in politischer wie ökonomischer Hinsicht zu beschleunigen, um weitere Auseinandersetzungen mit den USA zu vermeiden.

Viele meinen, dass das durch den Truppenabzug eingesparte Geld nun für öffentliche Aufträge verwendet werden sollte, für Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst und Bauprojekte im ganzen Land.

Andere sagen, dass die Reform der Wirtschaft auf Kosten politischer Reformen nun nicht mehr zu akzeptieren sei und dass die Menschen einen wirklichen und umfassenden Wandel in allen gesellschaftlichen Bereichen verlangten, zu denen auch die Politik gehöre.

Im US-amerikanischen Repräsentantenhaus ist bereits eine Entschließung eingebracht worden, die Syrien die Verweigerung politischer Freiheiten und das Ein-Parteien-System vorwirft.

So scheint der einzige Weg, um den Konflikt mit den USA zu vermeiden für Al-Assad darin zu bestehen, die lange überfälligen Reformen von sich aus in Angriff zu nehmen, ohne darauf zu warten, bis sie ihm von den Vereinigten Staaten diktiert werden.

Gefangenenamnestie

Syrien hat damit begonnen, politische Häftlinge freizulassen: Vier Amnestien wurden 2004 ausgesprochen, zwei bereits in diesem Jahr. Bei der letzten, Mitte März, wurden fünf politische Gefangene entlassen.

Dennoch sitzen noch etwa 500 Häftlinge im Gefängnis, darunter die beiden Parlamentarier, die 2001 unter großer öffentlicher Anteilnahme eingesperrt wurden.

Ein neues Parteiengesetz wird vorbereitet, das vorsieht, auch Parteien, die nicht mit der regierenden Baath-Partei zusammenarbeiten, zu erlauben, sich frei zu entfalten und an den Parlamentswahlen im Jahr 2007 teilzunehmen.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass diesen Parteien auch dann das Recht zur öffentlichen Arbeit eingeräumt wird, wenn sie nicht der Nationalen Progressiven Front (NPF) angehören, der parlamentarischen Koalition sozialistischer Parteien, die vom letzten Präsidenten Hafez Al-Assad gegründet wurde und seit den frühen 1970er Jahren von der Baath-Partei angeführt wird.

Führungsrolle der Baath-Partei auf dem Prüfstand?

Noch wird an einer Formel gearbeitet, die der Baath-Partei trotzdem eine Mehrheit im Parlament garantiert. Dies aber würde sich dann ändern, wenn der Artikel 8 der Verfassung geändert würde, der die Führungsrolle der Baath-Partei in Staat und Gesellschaft festschreibt.

Bereits in den Jahren 2000 und 2001 wurde dies von Mitgliedern der Opposition gefordert, was bei der Regierung auf taube Ohren stieß und zur Verhaftung führender Mitglieder der Anti-Baath-Bewegung wegen Verstoßes gegen die Verfassung führte.

Jetzt aber verlautbart der Informationsminister Mehdi Dakhlallah: "Alles ist Veränderungen unterworfen. Auch Verfassungen sind nicht heilig und können ergänzt werden."

Und er fügt hinzu: "Persönlich bin ich dagegen, dass eine einzelne Partei eine Führungsrolle [innerhalb der Gesellschaft] einnimmt. Ich gehöre zu denen, die sich wünschen, dass die Baath-Partei zu ihrem Wesen zurückkehrt: dem einer demokratischen Partei, als die sie in ihren Grundsätzen angelangt war."

Freiräume für die Medien

Unterdessen nimmt die Toleranz gegenüber der Berichterstattung in den Medien zu. Material, das normalerweise zensiert wurde, ist nun an den Zeitungsständen frei erhältlich.

Das Beiruter Massenblatt An-Nahar bleibt in Syrien zwar verboten, doch ist die Online-Ausgabe der Zeitung im Internet zugänglich, was es ermöglicht auch die Kommentare zu lesen, die der syrischen Rolle im Libanon meist sehr kritisch gegenüberstehen. Gleiches gilt für die in London ansässige Zeitung Al-Quds Al-Arabi und die in Paris herausgegebene Al-Watan Al-Arabi.

Das Online-Nachrichtenportal All4syria.org, um ein weiteres Beispiel zu nennen, bleibt ebenfalls verboten, doch ist seinem Gründer Ayman Abdul-Nour möglich, die Meldungen per E-Mail an Abonnenten in Syrien zu verschicken, und das, obwohl auch diese die syrische Politik häufig scharf kritisieren.

Die syrische Regierung hat eine hochrangige Kommission ins Leben gerufen, die untersuchen soll, warum es den Medien nicht gelungen ist, den Erwartungen der Bevölkerung gerecht zu werden und Syrien positiver nach außen darzustellen, insbesondere nach den jüngsten Angriffen gegen das Land in Folge der Ermordung des libanesischen Ex-Premierministers Rafiq Al-Hariri.

Auch wenn Syrien von einer wahrhaft freien Presse noch weit entfernt ist, haben Nachrichten hungrige Syrer mehr Möglichkeiten, sich zu informieren, nachdem das seit 1963 bestehende staatliche Medienmonopol mit der Gründung einiger neuer Zeitungen und Magazine gebrochen wurde.

Natürlich gibt es noch immer eine Reihe von Widersprüchen, was das politische Leben im Allgemeinen und die Reformen im Besonderen anbelangt.

So wurde am 19. März verkündet, dass die Reisepässe aller Syrer, also auch derjenigen, die zuvor wegen ihrer politischen Ansichten ins Ausland gehen mussten, erneuert würden, was ihnen eine Rückkehr ermöglichen würde. So jedenfalls hatte es der syrische Botschafter bei den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ryad Naasan Agha, erklärt.

Am 21. März aber brachte die in London erscheinende Zeitung Al-Hayat die Klarstellung des syrischen Außenministeriums, dass dies keineswegs das Fallenlassen etwaiger Anklagen gegen Syrer im Exil bedeutete. Nur dann sei ihnen eine Rückkehr gestattet, wenn ihre Unschuld in bezug auf politische (oder andere kriminelle) Vergehen erwiesen sei.

Diese Klarstellung zerstörte alle Hoffnungen, dass Syrien denen, die sich mit dem Baath-Regime überworfen hatten, die Hand zur Versöhnung reichen würde.

Interne Kritik und Hunger nach politischen Freiheiten

Zu einem weiteren widersprüchlichen Ereignis kam es am 8. März 2005, als Ibrahim Al-Ali, ein altgedienter Offizieller der Baath-Partei, im syrischen Fernsehen auftrat und seine Partei offen kritisierte. So forderte er von ihr eine Reformierung von innen, um den Herausforderungen, denen sich das Land gegenübersieht, gewachsen zu sein.

Insbesondere verlangte er die Abschaffung des regionalen Befehlssystems, das sich überlebt hätte und unnütz geworden sei. Während seine Worte im Land wohlwollend aufgenommen wurden, wurde von Seiten der Regierung umgehend ein Tribunal — unter der Leitung des Generals Mustafa Tlas, Vorsitzender des Militärkomitees der Baath-Partei — geschaffen, das ihn zu seinen Ansichten befragen sollte.

Die Bevölkerung Syriens, und insbesondere die ältere Generation, erinnert sich nur zu gut daran, dass das Land einst, vor der Machtübernahme der Baath-Partei im Jahr 1963, zu den gesündesten Demokratien im Mittleren Osten gehörte, über ein funktionierendes parlamentarisches System verfügte, zahlreiche Parteien um die Gunst der Wähler buhlten und es auch eine freie Presse gab.

Jeder in Syrien erinnert sich an die Worte des Präsidenten Shukri Al-Quwatli, der, als er 1958 den Unionsvertrag mit dem ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel-Nasser unterschrieb, sagte: "Herr Präsident, Sie haben ein Volk hinzugewonnen, von dem jeder einzelne Bürger denkt, er sei Politiker, jeder zweite glaubt, ein geborener Führer zu sein und sich jeder vierte für einen Propheten hält. Und mindestens jeder zehnte handelt, als sei er ein Gott."

Genau deshalb sind die Menschen in Syrien heute so hungrig nach politischen Freiheiten, weil sie es, wenn man es ihnen erlaubt, lieben, Politik zu betreiben, darüber zu diskutieren und sich zu engagieren.

Auch erklärt es, warum die Konservativen so wenig dafür unternehmen, ihnen diese Rechte zu geben. Sie fürchten damit die Büchse der Pandora zu öffnen. Ein Land von Politikern, geborenen Führern, Möchtegernpropheten und Göttern lässt sich nur schwer regieren.

Sami Moubayed

© Al-Ahram weekly

Übersetzung aus dem Englischen: Daniel Kiecol

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