Mehr als nur symbolische Gesten

Nach den Anschlägen von PKK-Splittergruppen scheint eine schnelle Lösung der kurdischen Frage in weite Ferne gerückt zu sein. Dennoch war die jüngste Rede Erdogans in Diyarbakir ein erster Schritt in Richtung kurdisch-türkischer Aussöhnung.

Nach den Anschlägen von PKK-Splittergruppen scheint eine schnelle Lösung der kurdischen Frage in weite Ferne gerückt zu sein. Dennoch war die jüngste Rede von Ministerpräsident Erdogan in Diyarbakir ein erster Schritt in Richtung türkisch-kurdischer Aussöhnung – zum Missfallen der nationalistischen Kräfte. Ömer Erzeren berichtet

Anschlag kurdischer Splittergruppen in Kusadasi, Foto: AP
Anschlag in Kusadasi: Die Mehrheit der Kurden hat für Anschläge in türkischen Badorten kein Verständnis.

​​Mit Sprengsätzen im Westen der Türkei und mit Anschlägen auf Soldaten der türkischen Armee sind Gruppen im Umfeld der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in diesem Sommer hervorgetreten. Im Juli erfolgte ein Bombenanschlag auf einen Kleinbus im westtürkischen Ferienort Kusadasi. Fünf Menschen starben. Im benachbarten Cesme wurden 20 Menschen durch einen Sprengsatz verletzt.

Aufkündigung des Waffenstillstands

Bereits im Sommer 2004 hatte der im Gefängnis einsitzende Führer der PKK, Abdullah Öcalan, den einseitig verkündigten Waffenstillstand aufgekündigt. Mit Bombenterror sollte den Aussagen offensichtlich Nachdruck verliehen werden. Sowohl die türkische Regierung, als auch die türkischen Medien versuchten lange die Vorfälle herunterzuspielen. Terrorismus sei ein globales Problem und kein spezifisches Problem der Türkei. Der Staat werde energisch gegen die Täter vorgehen.

Die "kurdische Frage" in deren Rahmen die Gewalt entstand, wurde weitgehend ausgeklammert. An die neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als die Gewalt zwischen Sicherheitskräften und PKK-Militanten über 30.000 Opfer forderte, wollte niemand erinnert werden. In der Schnelllebigkeit der türkischen Politik wurden die schrecklichen Zeiten einfach verdrängt.

Zwei wesentliche Faktoren trugen dazu bei, dass seit 1999 relativer Friede einkehrte. 1999 wurde der PKK-Chef Öcalan vom türkischen Geheimdienst aus Kenia in die Türkei entführt. In einem Prozess wurde er zum Tod verurteilt, später wandelte man seine Strafe in lebenslange Haft um. Es war ein großer Schlag gegen die stalinistische Organisation, die dem Führerprinzip gehorchte.

Entkrampftes kurdisch-türkisches Verhältnis

Demokratische Verfassungs- und Rechtsreformen sowie politische Liberalisierungen in den vergangenen Jahren trugen ebenfalls erheblich zur Entkrampfung des Verhältnisses zwischen Kurden und türkischem Staat bei. Der Illegalisierung kurdischer Identität und der kurdischen Sprache wurde ein Ende gesetzt.

Die Perspektive von Beitrittsgesprächen mit der EU hat diesen Prozess gefördert. Doch wie die jüngsten Anschläge zeigen, haben weder ein PKK-Führer im Hochsicherheitsgefängnis noch demokratische Reformen den Konflikt gelöst.

Die islamisch-konservative Regierung unter Ministerpräsident Tayyip Erdogan geriet zunehmend unter Druck nationalistischer Kreise, die die Demokratisierung für ein erneutes Aufflammen terroristischer Akte verantwortlich machten.

Auch das Militär beäugte misstrauisch den EU-Kurs der Regierung, der angeblich den "Kampf gegen Terrorismus" behinderte. Erst jüngst sprach der Generalstabschef Hilmi Özkök davon, dass der Armee bei der Terrorismusbekämpfung die Kompetenzen beschnitten seien.

Ministerpräsident Erdogan, der es bislang mied in der Kurdenfrage Stellung zu beziehen, hat sich nun offensichtlich entschlossen in die Offensive zu gehen.

Völlig überraschend lud er türkische Intellektuelle, die weitgehend der politischen Linken zuzurechnen sind und die zu scharfen Kritikern der staatlichen Kurdenpolitik gehören, zu einem Treffen ein. Sie hatten in einem Manifest zum Ende der Gewalt aufgerufen. Ein "wichtiger, mutiger Schritt" kommentierte die kurdische Politikerin Leyla Zana, die lange im Gefängnis einsaß.

Neuer Verständigungskurs

Einen Tag später reiste Erdogan in die kurdische Stadt Diyarbakir. Es waren ungewohnte Töne die der türkische Ministerpräsident bei seinem ersten Amtsbesuch in der bevölkerungsreichsten, kurdischen Stadt anschlug. Der Staat müsse Fehler der Vergangenheit einräumen. Er sprach offen von der "kurdischen Frage" und lieferte auch seine Lösungsrezepte: "mehr Demokratie, mehr Bürgerrechte, mehr Wohlstand".

Die Rede war eine Absage an die nationalistischen Kritiker, die den Reformprozess umkehren wollen. Typisch sind die Reaktionen des Vorsitzenden der "Nationalistischen Aktionspartei" (MHP), Devlet Bahceli auf die Rede Erdogans: "Wer von der kurdischen Frage spricht, nährt ethnische Provokation und blutigen Terror."

Doch angesichts von Terroranschlägen und Widerstand im Militärapparat hat Erdogan einen schweren Stand. Hinzu kommt, dass sowohl die USA, als auch die irakische Regierung der türkischen Forderung zur Auflösung der PKK-Lager im kurdischen Nordirak, wo sich mehrere Tausend Bewaffnete aufhalten, nicht nachkommt.

Angesichts innenpolitischer Widerstände in der Türkei sind politisch vernünftige Forderungen, wie die nach einer Generalamnestie für die die PKK-Militanten in den Bergen, die Aufhebung der undemokratischen 10 Prozent-Hürde für Parteien bei Nationalwahlen, die kurdische Parteien benachteiligt oder die Stärkung föderaler Momente im politischen System kaum durchsetzbar.

Doch als symbolische Geste war die Rede von Diyarbakir von großer Bedeutung. Die Regierung brachte einen Stein ins Rollen, der es ermöglicht, erneut über die kurdische Frage zu debattieren.

Kurdenpolitik am Scheideweg

Auch die kurdische Politik in der Türkei steht an einem Scheideweg. Lange Zeit galt die PKK unter Kurden als Symbol gegen die Repression des türkischen Staates. Doch für Terrorakte an türkischen Badestränden gibt es kein Verständnis, zumal die friedlichen Zeiten auch in den kurdischen Regionen den Boden für einen bescheidenen, wirtschaftlichen Aufschwung bereitet haben.

Auch der Mord an dem kurdischen Politiker Hikmet Fidan, der wahrscheinlich Opfer eines PKK-Kommandos wurde, wurde von den politischen Kurden registriert. Fidan, der einst zehn Jahre im türkischen Gefängnis verbrachte, hatte sich dafür stark gemacht, dass die kurdische Bewegung sich von Öcalans politischem Fahrplan, der über seine Anwälte aus dem Gefängnis politische Richtlinien erteilt, abkoppelt und die Organisation sich demokratisiert.

Eine schnelle Lösung der kurdischen Frage ist nicht in Sicht. Sie wird nicht nur von der Reformwilligkeit der türkischen Regierung abhängen, sondern auch davon, ob sich unter den Kurden abseits der PKK demokratische Strömungen formieren.

Ömer Erzeren

© Qantara.de 2005

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