Träume vom Orient

Als Pierre Loti goss der Franzose Julien Viaud den Zeitgeist des Orientalismus in literarische Form. Seine autobiographisch inspirierten Romane zeichnen das verklärte Bild eines "mysteriösen" Orients. Von Susan Javad

Von Susan Javad

​​"Ein Zauber, von dem ich niemals frei sein werde, hat der Islam über mich gelegt", schreibt der Marineoffizier Julien Viaud alias Pierre Loti 1892 in seinem Roman "Fantômes de l'Orient" (Geister des Orients) und umreißt mit diesen Worten seine lebenslange Faszination für den Orient, wie er ihn sieht: unergründlich, sinnlich und statisch. Das Musée de la Vie Romantique in Paris widmet ihm, eingebettet in den orientalistischen Kontext seiner Zeit, eine stimmungsvolle, überaus gelungene Ausstellung.

Mit der Marine um die Welt

Geboren 1850 in Rochefort an der französischen Atlantikküste, tritt Loti im Alter von 17 Jahren in die Marine ein und bereist in den folgenden 24 Jahren die Welt: Tahiti, Ägypten, Algerien, Marokko, China und Japan sind dabei nur einige Reisestationen. Sein Herz aber hängt in ganz besonderer Weise an einer Stadt, der er in einer ganzen Reihe von Büchern ein literarisches Denkmal gesetzt hat und wo sein Namen heute noch ein Hotel, ein Café und ein Gymnasium schmückt: Istanbul. Seit seiner ersten Reise 1876 in die Hauptstadt des osmanischen Reiches zieht es ihn immer wieder zurück und hier beginnt seine eigentliche Karriere als Schriftsteller.

Leidenschaft als Inspiration

In Istanbul lebt er einige Monate intensiver Leidenschaft mit einer jungen Tscherkessin. Diese dramatische Episode seines Lebens inspiriert ihn zu seinem ersten Roman, "Aziyadeh", der 1879 veröffentlicht wird und vor einigen Jahren im Suhrkamp-Verlag auf Deutsch erschienen ist. Der Schreibstil Lotis ist bereits in diesem ersten Werk klar erkennbar. Gekonnt vermischt er autobiographische und fiktive Elemente zu einem homogenen Romanplot, der die Vorstellungskraft und die Gefühlswelt des Lesers anspricht und mit der Faszination fürs Exotische spielt.

Pierre Loti als Ägypter stilisiert; Quelle: privat

So verliebt sich im Roman ein junger englischer Marineoffizier in die Ehefrau eines osmanischen Würdenträgers, tritt in die osmanische Armee ein, um im Land bleiben und ihr nahe sein zu können und verläßt sie am Ende dann doch aus Pflichtgefühl seiner Familie und dem Vaterland gegenüber. Schließlich fällt er im Krieg gegen Rußland. Seine Geliebte ist zuvor bereits an Kummer und Gram zugrunde gegangen. Auch im wahren Leben verläßt Julien Viaud seine tscherkessische "Aziyadeh", die in Wirklichkeit wahrscheinlich Hakidje hieß.

Als er sie Jahre später sucht, wird er erfahren, daß sie tatsächlich gestorben ist – vor Kummer, besagt die Legende. "Aziyadeh" – auch wenn ihr eine Vielzahl anderer Musen nachfolgten – bleibt dennoch ein unwiderruflicher Teil seiner Phantasie und verkörpert für ihn bis an sein Lebensende die Faszination für "den Orient, wie man ihn sich erträumt", so der Loti-Spezialist Bruno Vercier im Vorwort des Romans.

Exzentrische Persönlichkeit

Diesen Orient holt sich der Weltenbummler Loti auch Stück für Stück nach Hause. Wie sein englischer Romanheld ist er ebenfalls durch familiäre Bande an die Heimat gefesselt und legt zwischen seinen Reisen lange Ruhepausen in Rochefort ein. Sein Elternhaus gleicht er dabei über die Jahre hinweg immer näher an sein Ideal des exotisch-orientalischen Lebens an: ein japanischer Pavillon im Garten, ein chinesisches Zimmer und ein türkisch-osmanische dekorierter Salon im Haus. Sogar eine ganze Moschee aus Syrien wird ins beschauliche Rochefort transportiert und bei ihm wiedererrichtet.

In diesem Dekor läßt er sich, gewandet als Türke, Albaner oder arabischer Beduine, nur zu gerne photographieren und offenbart dem Betrachter dabei seine Eitelkeit, seine Freude am Verkleiden, am Posieren und dem Spiel mit verschiedenen Rollen und Identitäten. Ein Charakterzug, der ihm damals wie heute auch Spott zuzog.

Ruhm und Ehre

Von den über vierzig Büchern, die er im Verlauf seiner äußerst produktiven Schriftstellerkarriere geschrieben hat, ist bis heute nur ein kleiner Teil auf Deutsch erhältlich. In Frankreich dagegen wurde Loti zu seinen Lebszeiten viel Ehre und Aufmerksamkeit zuteil. So wurde er 1891 in die hochangesehene Academie Française aufgenommen, dem Olymp der Literaten Frankreichs. Und der Erfolg seiner Bücher half ihm dabei, seine Familie aus den finanziellen Schwierigkeiten zu befreien, in die sie zwischenzeitlich geraten war. Während des Ersten Weltkriegs wird er dann auch auf politischem Terrain aktiv.

Mittlerweile im fortgeschrittenen Alter, nimmt er an Geheimverhandlungen zwischen Frankreich und der hohen Pforte teil und setzt sich vergeblich gegen die Aufteilung seines geliebten Osmanischen Reiches ein. Mit dem Zerfall des "kranken Mann am Bosporus" nimmt auch Lotis nostalgischer Traum vom bewegungslosen, ewig gleichen, träge-sinnlichen Orient ein jähes Ende.

1923 stirbt Julien Viaud in Frankreich. Pierre Loti jedoch gilt bis heute als einer der größten Stilisten der französischen Sprache und als einer der Hauptvertreter des literarischen Orientalismus.

Susan Javad

© Qantara.de 2006