Viel Lärm um nichts

Die bevorstehenden Parlamentswahlen im Libanon werden höchstwahrscheinlich die unspektakulärsten seit dem Ende des Bürgerkriegs von 1990 im Zedernstaat sein. Joseph Bahout erklärt, warum.

Von Joseph Bahout

Die für den 6. Mai angesetzten Parlamentswahlen folgen fast zehn Jahre auf die letzten Wahlen im Jahr 2009. Seither durchlief das Land gewaltige Veränderungen. Die Kluft zwischen den beiden rivalisierenden politischen Koalitionen des Libanon – den Allianzen des 8. und des 14. März – ist mittlerweile Geschichte. Das Versprechen auf eine effektivere Führung des Landes wurde jedoch nie erfüllt. Die Libanesen haben weiter mit großen innenpolitischen Problemen zu kämpfen; ob anhaltende Stromausfälle, massive Müllprobleme oder die zunehmend alarmierende Wirtschaftslage.

Die anstehenden Wahlen beruhen auf einem ungewöhnlichen Verhältniswahlrecht, das das historische Wahlverhalten verändern wird. Deshalb müssten die Wahlen dem politischen Leben und den Eliten des Landes zumindest theoretisch einen wichtigen Impuls verleihen und zugleich eine Chance für die Bewältigung der Herausforderungen des Landes eröffnen. Auch hätten sie dazu genutzt werden können, die Auswirkungen des neuen Gesetzes auf die Kontinuität und den Wandel in der libanesischen politischen Landschaft zu untersuchen.

Stattdessen deutet alles darauf hin, dass der Libanon auf eine der ödesten Wahlen seit Kriegsende 1990 zusteuert. Weder zeichnen sich nennenswerte Überraschungen ab, noch gibt es bedeutende politische Weichenstellungen oder Parteienprogramme, die die Aufmerksamkeit der Wähler wecken. Die politischen Differenzen der Vergangenheit sind einem bisweilen surreal anmutenden Netz opportunistischer Allianzen gewichen. In der Wahlkampfphase wurden die neueren alternativen politischen Kräfte aus der libanesischen Zivilgesellschaft den Erwartungen allerdings nicht gerecht.

Das Wahlrecht teilt den Libanon in 15 Wahlkreise auf, die sich in Größe, Anzahl der Sitze und Anzahl der Wähler unterscheiden. Einige dieser Wahlkreise vereinen mehrere der kleineren Verwaltungsbezirke des Libanon (qada'), einige bestehen aus einem einzigen qada', andere aus einem einzigen Gouvernement (muhafaza) oder einem großen Verwaltungsbezirk. Diese Verschiebungen sind ein Ergebnis der wahltaktischen Interessen derjenigen, die das Gesetz entworfen haben.

Fehlende politische Kohärenz der Parteiprogramme

Von den Feinheiten des Gesetzes abgesehen, lassen sich einige allgemeine Rückschlüsse ziehen. Mit Ausnahme der schiitischen Allianz der Hisbollah und der Amal-Bewegung haben es die anderen großen politischen Kräfte des Libanon versäumt, gemeinsame Wahllisten auf nationaler Ebene zu bilden.

So sind manche Kräfte in bestimmten Wahlkreisen miteinander verbündet, während sie in anderen gegeneinander antreten. In mehreren Wahlkreisen werden politische Kräfte, die in ihrem Wesen und ihrer Ausrichtung nahezu identisch sind, nur wegen persönlicher Rivalitäten gegeneinander ausgespielt. All dies geht zulasten eines kohärenten politischen Programms mit entsprechender Verunsicherung der Wähler.

Was gibt es am Wahltag zu beachten, was uns etwas über den Zustand der libanesischen Politik im Allgemeinen sagen könnte? Das Augenmerk liegt hier vor allem auf Ministerpräsident Saad Hariri. Dieser hatte letzten November während eines Besuchs in Saudi-Arabien seinen Rücktritt erklärt, nahm diesen jedoch später wieder zurück. Daraufhin wurde der Ministerpräsident erneut von den Saudis umklammert, was allerdings nicht bedeutete, dass er den politischen Bündnissen mit den Parteien, die der Allianz des 14. März angehörten, Vorrang einräumen würde – was sich die Saudis gewünscht hätten. Die Entscheidung Hariris, sich bei den Wahlen mit der Freien Patriotischen Bewegung von Präsident Michel Aoun und dessen Schwiegersohn Gebran Bassil zu verbünden, hat sich vielmehr als belastbar erwiesen und wurde von Hariri damit begründet, Aoun und Bassil aus dem Bündnis mit der Hisbollah herauszuführen.

Wetteifern um die Führungsrolle der Christen

Für Hariri eröffnet sich in der Beziehung zu Aoun die Möglichkeit, nach den Wahlen als Premierminister zurückzukehren. Hariris Rücktrittsankündigung in Saudi-Arabien und deren Folgen beendeten die innerchristliche Annäherung zwischen Aoun und der zweiten großen christlichen politischen Partei, der Forces Libanaises (FL). Denn aus dieser Affäre entstand der Eindruck, die FL sei gegen die verstärkten politischen Bindungen zwischen Hariri und Aoun, die beiden Männern zur Macht verholfen hatten.

Die Beziehungen zwischen den christlichen Parteien werden sich längerfristig auf die nächsten Präsidentschaftswahlen in fünf Jahren auswirken, da beide Parteien um die Führungsrolle der Christen im Libanon wetteifern.

Was die christliche Führungsrolle betrifft, so wird vor allem eine Volksgruppe Einfluss darauf haben, was in Zukunft geschieht. Dies könnte sogar als Vorentscheidung für die Präsidentschaftswahlen betrachtet werden. Im nördlichen Distrikt Bscharre-Zgharta-Koura-Batrun werden drei wichtige maronitisch-christliche Anwärter auf die Präsidentschaft am Ausgang beteiligt sein, auch wenn diese selbst nicht unbedingt Kandidaten sind: Gebran Bassil von der Freien Patriotischen Bewegung, Samir Geagea als Führer der FL und Suleiman II. Frangieh als Führer der Marada-Partei. Wie diese Politiker weiter verfahren, wird deren Attraktivität und Legitimität als Nachfolger von Aoun bestimmen.

Insgesamt hat sich die Allianz des 8. März bei der Vermeidung von Fragmentierungen als viel erfolgreicher als die Allianz des 14. März erwiesen. Das heißt aber nicht, dass es keine potenziellen Probleme gibt. Insbesondere wird es darauf ankommen, was mit den wichtigsten schiitischen Parteien geschieht, also der Hisbollah und der Amal-Bewegung.

Wird die Hisbollah die dominierende Kraft bleiben?

Vieles deutet darauf hin, dass beide in ihrer Wählerschaft an Boden verloren haben. Dies könnte auf die Teilnahme der Hisbollah am Syrienkonflikt zurückzuführen sein, der die schiitische Gemeinschaft ausgelaugt hat.

Libanons Premier Saad Hariri im Gespräch mit Präsident Aun während einer Militärparade in Beirut im November 2017; Foto: Foto: Reuters/M. Azakir
Weichenstellung für eine Rückkehr als Premier: Die Entscheidung Saad Hariris, sich bei den Wahlen mit der Freien Patriotischen Bewegung von Präsident Michel Aoun und dessen Schwiegersohn Gebran Bassil zu verbünden, wurde von Hariri damit begründet, Aoun und Bassil aus dem Bündnis mit der Hisbollah herauszuführen.

Möglicherweise leiden die Schiiten, wie alle anderen libanesischen Gemeinschaften, unter den Defiziten ihrer politischen Vertreter. Oder das neue Wahlrecht führt zu Rissen, durch die rivalisierende Parteien innerhalb der schiitischen Gemeinschaft auf die politische Bühne drängen.

In den beiden schiitischen Mehrheitsgebieten des Südlibanons und des nördlichen Beqaa-Tals sind relativ gut organisierte alternative politische Kräfte entstanden, die Hisbollah und Amal herausfordern; auch wenn ihre Chancen zur Untergrabung der Macht der beiden Parteien begrenzt bleiben dürften.

In ihren Beziehungen zu anderen Verbündeten hatten Hisbollah und Amal auch mit der wachsenden Entschlossenheit dieser Kräfte zu kämpfen, sich politisch zu behaupten. So hat sich die Hisbollah beispielsweise gegenüber Bassil, dem Hauptwahlstrategen der Aounisten, irritiert gezeigt, da dieser versucht hatte, seinen engsten Verbündeten die gemeinsamen Kandidatenlisten zu diktieren. Dies führt zu einer Frage, die sich heute viele Menschen im In- und Ausland stellen: Wird die Hisbollah nach den Wahlen die dominierende Kraft im Libanon bleiben? Und was ist dann zu erwarten?

Wahrscheinlich wird die Hisbollah dank der absehbaren Fragmentierung der politischen Landschaft weiterhin eine dominante nationale Rolle spielen. Dieser Prozess wird vom Verhältniswahlrecht begünstigt. Wegen der Erosion der Allianz des 14. März, der zunehmenden Konkurrenz innerhalb anderer Glaubensrichtungen, neuen sunnitischen Leitfiguren, die Saad Hariri herausfordern, dem Ringen innerhalb der Christen über die Nachfolge von Aoun und der Tatsache, dass Drusenführer Walid Dschumblat die Bühne mit seinen Rivalen teilen muss, sowie einem zunehmend älteren und schwächeren schiitischen Parlamentspräsidenten Nabih Berri kann man davon ausgehen, dass die Hisbollah ihre starke Position auch in den kommenden Jahren verteidigen wird.

Darüber hinaus fehlen im Wahlkampf kontroverse Themen fast vollständig, wie beispielsweise die Bewaffnung der Hisbollah und deren Beteiligung an regionalen Konflikten, was auf eine implizite Akzeptanz der innenpolitischen Hegemonie der Partei hindeutet.

Hoffnungsträger Zivilgesellschaft

Wenn es im Wahlkampf einen Lichtblick zu geben schien, dann war es das Versprechen auf eine Zivilgesellschaft. Nach der herausragenden Rolle zivilgesellschaftlicher Gruppen in der Müllkrise 2015 und bei den Kommunalwahlen 2016 keimten Hoffnungen auf. Diese sollten allerdings enttäuscht werden. Die zivilgesellschaftlichen Gruppen gerieten in die bekannten Fallen der libanesischen Politik, verloren letztlich einige starke Persönlichkeiten an traditionelle politische Kräfte und verbündeten sich in manchen Fällen sogar mit Mitgliedern der politischen Klasse, gegen die sie einst angetreten waren.

Bei der schweigenden Mehrheit wird dies wahrscheinlich einen bitteren Geschmack hinterlassen. Außerdem wird sich damit die Gleichgültigkeit der Wähler und das Gefühl der Entfremdung gegenüber dem politischen System verstärken. Ein System, das durch Vereinnahmung, Bestechung und die Behinderung sinnvoller Debatten eine bemerkenswerte Überlebensfähigkeit zeigt.

Joseph Bahout

© Carnegie Middle East Center 2018

Aus dem Englischen von Peter Lammers