Neue Wahlen, neue Allianzen

Eine ganze Reihe von Parteien und Wahlbündnissen kämpft im Irak um die Gunst der Wähler. Die religiösen Parteien verlieren an Zuspruch, die säkularen Kräfte sind im Aufwind. Doch viele Konflikte sind geblieben, wie Nagih al-Obaidi berichtet.

Iraks Ministerpräsident Nouri al-Maliki bei einer Wahlkampfrede; Foto: dpa
Ringen um jede Wählerstimme: Neben al-Malikis Dawa-Partei kämpfen fast 300 Parteien und Organisationen um die begehrten 325 Sitze im Parlament. Ein eindeutiges Votum gilt als unwahrscheinlich.

​​Die Iraker erwartet am kommenden Sonntag (07.03.2010) die Qual der Wahl: Fast 300 Parteien und Organisationen kämpfen um die begehrten 325 Sitze des nächsten Parlaments.

Die meisten von ihnen haben sich in zwölf Wahllisten zusammengetan. Schon im vergangenen Herbst wurden die Karten neu gemischt. Alte Koalitionen zerbrachen - neue entstanden und versuchen nun, die Wähler mit ihren Parolen zu überzeugen.

2006 und 2007 erreichte die Spirale der Gewalt zwischen Schiiten und Sunniten ihren Höhepunkt. Sie kostete Tausende das Leben. Religiöse Machtkämpfe stoßen deshalb bei vielen Irakern zunehmend auf Ablehnung. Die Politik hat darauf reagiert. Im Gegensatz zu den Wahlen von 2005 existieren dieses Mal nicht mehr ausschließlich schiitische oder sunnitische Wahllisten. Vielmehr erheben sie den Anspruch, die gesamte Nation zu vertreten.

Umbildungen bei Schiiten und Sunniten

Entscheidender Schritt bei dieser Neuorientierung war das Auseinanderbrechen der schiitischen Allianz. Aus ihr gingen zwei große Wahlbündnisse hervor: die "Irakisch-Nationale Allianz" und die "Allianz des Rechtstaates" unter Ministerpräsident al-Maliki.

Der präsentiert sich gerne als Ministerpräsident aller Iraker. Ihm gelang es auch, liberale Kräfte und Technokraten auf seine Seite zu ziehen. Und er verweist gerne auf die Verbesserung der Sicherheitslage und den bescheidenen Wohlstand der Bevölkerung unter seiner Regierung. Aber jeder neue blutige Anschlag hinterlässt Kratzer an seinem Image.

Iraks Großayatollah Ali Al-Sistani; Foto: dpa
Politische Taktik im Vorfeld der Wahlen: Wird sich Großajatollah Ali Al-Sistani, der bedeutendste schiitische Geistliche im Irak, bei den Parlamentswahlen positionieren?

​​Auch bei den sunnitischen Kräften hat sich viel geändert. Die meisten sind aus der einstigen sunnitischen Einheitspartei "Front des Nationalen Konsenses" ausgeschert. Wichtige sunnitische Politiker sind stattdessen der "Irakischen Liste" unter Führung des früheren Ministerpräsidenten Allawi beigetreten, der vor allem auf eine säkulare Politik setzt.

Viele fragen sich nun, wie sich Großajatollah Ali al-Sistani, der bedeutendste schiitische Geistliche im Irak, bei den Parlamentswahlen positioniert. Vor allem die überwiegend schiitische "Irakisch-Nationale Allianz" wird versuchen, den Namen al-Sistanis für sich zu beanspruchen und Moscheen für die Wahlpropaganda zu nutzen. Diese Wahlliste will vor allem Ministerpräsident al-Maliki schwächen.

Neuer Unterschlupf für die Baath-Partei?

Der lachende Dritte bei diesem schiitischen Zwist könnte Allawi mit seiner "Irakischen Liste" sein. Er versucht, sich als entschiedener Gegner der religiösen Spaltung zu profilieren.

Allawi konnte wichtige sunnitische Akteure für seine Liste gewinnen, allen voran den Vizepräsidenten Tarik al-Hashimi. Er bedient sich auch arabisch-nationalistischer Akzente. Deshalb haftet seiner Partei auch der Vorwurf an, zum Zufluchtsort für Anhänger der aufgelösten Baath-Partei des früheren Diktators Saddam Hussein geworden zu sein.

Iraks früherer Premier Ijad Allawi; Foto: AP
Der lachende Dritte im gegenwärtigen schiitischen Zwist könnte der säkulare Schiit Ijad Allawi mit seiner "Irakischen Liste" sein, meint Nagih al-Obaidi.

​​Tatsächlich haben sich einige Mitglieder der Allawi-Liste durch Verharmlosung der Verbrechen des alten Regimes hervorgetan. Deshalb wurde insbesondere diese Liste zur Zielscheibe der umstrittenen Entbaathifizierungs-Kommission, die hunderte Kandidaten von der Teilnahme an den Wahlen ausschloss.

Für großen Wirbel sorgte vor allem das Wahlverbot für Salih al-Mutlaq, einen der führenden Köpfe der "Irakischen Liste". Etwa 150 Kandidaten haben diesen Beschluss angefochten. Die Berufungsinstanz hat aber das Bewerbungsverbot für die meisten von ihnen, darunter auch al-Mutlaq, bestätigt.

Föderalismus gegen Zentralismus

Laut Verfassung ist der Irak ein Bundesstaat. Aber nur Kurdistan hat sich als autonomes Gebiet etabliert. Das Gerangel um Zuständigkeiten führt oft zu Konflikten. Ministerpräsident al-Maliki pocht auf die Stärkung der Zentralregierung, was auf den Wiederstand der Kurden stößt.

Diese werden in den Wahlen hauptsächlich von der "Kurdischen Allianz" vertreten. Doch deren Dominanz in Kurdistan beginnt zu bröckeln. Trotzdem gilt die "Kurdische Allianz" als einziges großes Wahlbündnis, das Kontinuität aufweist, sodass die Kurden voraussichtlich auch künftig eine wichtige Rolle als stabilisierender Faktor im Irak spielen werden.

Egal, wie die Wahl ausgeht und ob es mehr oder weniger ein Rennen zwischen Al-Maliki und Allawi geben wird, die politische Szene im Irak wird sich grundlegend ändern: Fest steht, dass eine Kraft allein den Irak nicht regieren können wird. Dabei dürfen auch die anderen Parteien nicht außer Acht gelassen werden.

Einige Beobachter räumen etwa der "Allianz Vereinigter Irak" gute Chancen ein. Sie vereinigt eher säkulare Kräfte, die in den Regionalwahlen relativ gute Erfolge erzielt haben.

Die "Irakische Kommunistische Partei" steht dagegen ziemlich alleine da. Nur durch ein Wunder könnte die älteste Partei im heutigen Irak den Sprung ins neue Parlament schaffen.

Nagih Al-Obaidi

© Qantara.de 2010

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