Musik und kulturelle Selbstbehauptung

Für die Palästinenser ist sie seit Jahren ein Idol, international hingegen noch kaum bekannt: die palästinensische Sängerin Rim Banna aus Nazareth. Jetzt hat sie ihr erstes internationales Solo-Album veröffentlicht. Martina Sabra stellt die Musikerin vor.

Von Martina Sabra

 ​​Sie hat alles, was eine arabische Diva braucht: Stimme, Persönlichkeit, Schönheit. Doch Allüren sind der palästinensischen Sängerin fremd. Bei ihren eher sporadischen öffentlichen Auftritten wirkt Rim Banna absolut natürlich: uneitel, zurückhaltend, musikalisch professionell. Man spürt, dass es ihr nicht um Selbstdarstellung geht, sondern um die Musik, und die "palästinensische Sache".

Anfang der neunziger Jahre wurde Rim Banna bei den Palästinensern in Israel zunächst deshalb bekannt, weil sie zahlreiche wunderschöne palästinensische Kinderlieder aufnahm, die vom Vergessen bedroht waren. Heute werden sie dank Rim Banna wieder in den palästinensischen Familien gesungen.

Traditionelle Lieder und palästinensische Poesie

Rim Banna, &copy www.rimbanna.com
Die meisten Songs von Rim Banna erzählen vom Leiden der Palästinenser – eindringlich, emotional, manchmal hart an der Grenze zum Kitsch

Rim Bannas aktuelles Repertoire umfasst moderne palästinensische Poesie und traditionelle palästinensische Lieder, die sie mit ihrem Ehemann, dem ukrainischen Gitarristen Leonid Alexeienko modern arrangiert: "Tausend Jahre will ich unterwegs sein; behütet von Deinem Blick. Der Kamelhirte sprach: Mein Täubchen; bitter wie Myrrhe ist das Leben unterwegs", heißt es in dem Lied "Ya Jammal" auf ihrer neuesten CD. Musik sei für sie als Palästinenserin ein wichtiges Mittel der kulturellen Selbstbehauptung, erzählt die Sängerin: "Ein Teil unserer Arbeit besteht darin, überlieferte palästinensische Texte zu sammeln, zu denen es keine Melodien gibt.

Damit die Texte nicht verloren gehen, versuchen wir dazu Melodien zu komponieren, die modern und gleichzeitig von der traditionellen palästinensischen Musik inspiriert sind," erzählt Rim Banna. Kennen gelernt hat sich das Musikerpaar in den achtziger Jahren, als Rim Banna in Moskau Gesang studierte. Heute leben die beiden in Nazareth. Die Palästinenser in Israel und den besetzten Gebieten lieben Rim Banna – nicht nur weil sie palästinensische Kinder- und Volkslieder vor dem Vergessen bewahrt, sondern auch weil sie ganz anders ist als die traditionellen arabischen Sängerinnen, moderner: "Die orientalischen Gesangstechniken sind meist ornamental, und man schätzt bei uns starke, scharfe Klänge", erklärt Banna: "Meine Stimme ist aber eher flächig, in die Breite gehend. Ich versuche, Songs zu machen, die zu meiner Stimme passen. Ich will in jeder Hinsicht etwas Neues schaffen. Dazu gehört auch, dass ich den Menschen anderswo die Musik und die Seele der Palästinenser nahe bringe."

"Wiegenlieder von der Achse des Bösen"

In Israel und Palästina ist Rim Banna seit über zehn Jahren ein Star. Dass sie jetzt auch in Europa bekannter wird, verdankt Rim Banna unter anderem der norwegischen Sängerin Kari Bremnes, die bei einem Besuch in Israel auf ihre palästinensische Kollegin aufmerksam wurde und sie spontan nach Oslo einlud. Daraus entstand 2003 die CD "Wiegenlieder von der Achse des Bösen" – eine musikalische Antikriegsbotschaft an US-Präsident Bush, von Sängerinnen aus Palästina, dem Irak, Iran und Norwegen.

Die meisten Songs von Rim Banna erzählen vom Leiden der Palästinenser – eindringlich, emotional, manchmal hart an der Grenze zum Kitsch. Ironie oder Kritik an der palästinensischen Gesellschaft ist Rim Bannas Sache nicht. Sie wolle den Alltag der Palästinenser musikalisch verarbeiten, erklärt sie, und der sei in der West Bank nun einmal von Gewalt undUnterdrückung geprägt.

"Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Soldaten an einem Checkpoint mit Absicht Staub aufwirbelten, um Frauen mit Kindern zu schikanieren", erinnert sie sich zornig. "Die Reifen des Jeeps drehten durch, der Staub flog ihnen ins Gesicht. Und die Soldaten standen da und lachten! Es gibt Leute, die keinerlei Macht haben, und andere, die Macht haben, und die damit tun, was sie wollen."

Nicht nur in den besetzten Gebieten und in Gaza, auch in Israel sind die Spannungen zwischen Juden und Nichtjuden gewachsen. Viele so genannte "Friedensprojekte" liegen auf Eis. Rim Banna hat wenig Kontakt zu jüdischen Kollegen, und sie sucht ihn auch nicht. Wichtiger sei ihr, das kulturelle Gedächtnis der Palästinenser zu stärken.

Die palästinensische Identität will Rim Banna aber nicht nur als eine politische Botschaft verstanden wissen, sondern auch als eine Botschaft der Liebe - wie in diesem Lied auf ihrer neuen CD "Spiegel meiner Seele": "Ich werde Dich willkommen heißen / In meiner Heimat / Gott, sende uns Regen, für nur eine Nacht / lass Wasser durch das Flussbett strömen / und meine Arme sollen die Brücke sein, die das schöne Mädchen zu mir führt."

Martina Sabra

© Qantara.de 2006