Mit Karawane und Krummdolch durch die Wüste

Nicht nur die westliche Literatur und Kunst haben sich im Laufe der Jahrhunderte ihr eigenes Bild vom "Orient" geschaffen, auch der Film hat immer wieder Stereotype aufgegriffen. Amin Farzanefar gibt einen Überblick.

​​Anfang des 20. Jahrhunderts wird der "Orientalismus" von Literatur und Kunst vergangener Jahrhunderte auch in das neue Medium überführt. Stummfilmstar Rudolpho Valentino etwa erfährt in Wüsten-Liebesdramen wie "Sheikh" (1921), und ebenso der Fortsetzung, "The Son of the Sheikh" (1926!) geradezu hysterische Verehrung.

Auch nach dem Übergang zum Ton- und später dann zum Farbfilm wird in den Kulissen der Traumfabrik vor allem die Imagerie eines bunten, märchenhaften Orients heraufbeschworen: zahllose Verfilmungen knüpften an die "Märchen aus 1001 Nacht" an, Sindbads und Ali Babas, Diebe, Derwische und Dämonen tummelten sich in den Szenarien.

Die Requisiten, Kulissen und Motive dieses Film-Orients sind zumeist die immergleichen: Karawane, Kalif und Krummdolch, Oase, Fata Morgana und indischer Seiltrick, Fliegender Teppich und Fakir. Schmalhüftige Blondinen führen sonderbare Verrenkungen, genannt Bauchtanz, auf, und die Helden murmeln entzückt: "Bei Aahla", während einäugige Bettler um ein Bakschisch flehen.

Drei unterschiedliche Stereotype

Über die Jahrzehnte hinweg variierte die filmische Darstellung des Orients all jene Bilder, die die westliche Kultur schon seit Jahrhunderten bereichern. Im Wesentlichen lassen sich die Stereotype drei unterschiedlichen Konzepten zuordnen:

Der Orient als Ort der Bedrohung und des finstersten Unglaubens im Mittelalter, der Orient als Ort des Wissens und der Weisheit in der Zeit der Aufklärung und Klassik, der Orient als Ort der Sinnlichkeit und Ausschweifung während der Renaissance, der Romantik und des Vitorianismus.

Große Taten und große Gefühle

Im Kino gibt es das alles zugleich: das Edle neben dem Niederträchtigen, Großmut und Gastfreundschaft neben Heimtücke und Hinterlist. Die Leinwand zeigt alles überlebensgroß, und so wird der Orient der Raum für große Taten und große Gefühle.

Konkretes, historisch und geografisch Stimmiges, lässt sich in den 1001-Nacht-Variationen meist nur im Hintergrund ablesen: die Assassinen und Ummayaden, Saladin, Harun al-Raschid und al-Mansur, Bagdad, Samarkand und Isfahan erscheinen häufig fantastisch überhöht und stilisiert.

Freundschaft unter Weißen

Ein anderer Erzählstrang ist näher dran am Zeitgeschehen, lässt Kolonial-Geschichte durchscheinen: Die viel zitierte "wunderbare Freundschaft" in Michael Curtiz` Kultklassiker "Casa Blanca" (1942) findet ausschließlich unter Weißen statt: kein Marokkaner wurde hier mit einer größeren Sprechrolle belastet.

Die Geschichte des maulig-machistischen Jean Gabin, der sich in Julien Duviviers Meisterwerk "Pepe le Moko"(1937) im Gewirr der Kasbah von Algier versteckt, zeichnet zwar ein realistischeres Bild, bleibt aber zwangsläufig dem Blickwinkel der Besatzungsmacht verhaftet.

Zwei Märtyrertode gestorben

Politik schleicht sich immer unter der Hand in den Film-Orient ein, etwa wenn in den sechziger Jahren die kriegerischen Auseinandersetzungen um die Staatsgründung Israels das Weltgeschehen prägten.

Jetzt war es Zeit für Großtaten, in die Geschichte projiziert: Allen voran Charlton Heston (schon privat bekanntermaßen ein Waffennarr) gibt immer wieder den weißen Mann von Ehre: In Anthony Manns prächtigem Monumentalschinken "El-Cid" (1961) spielt er Rodrigo Diaz de Bivar, den legendären Edelmann und Söldner, der im Andalusien des 11. Jahrhundert spanische Christen und ansässige, "integrationswillige" Mauren zum gemeinsamen Sieg gegen die Invasionsheere der finster-fundamentalistischen Almoraviden führt.

Heston stirbt hier einen durch und durch westlichen Märtyrertod, ebenso wie fünf Jahre später: In Basil Deardens "Khartoum" (1966) mimt er den britischen General "Chinese" Gordon, der 1884 den sudanesischen Mahdi-Aufstand niederschlagen soll.

In dem mit antikolonialistischer Rhetorik und religiösem Fanatismus auftretenden Anführer, dem charismatischen Derwisch Muhammed Ahmad (gespielt von dem Briten Sir Laurence Olivier), findet er einen ebenbürtigen Gegner - 4.000 Briten werden niedergemacht, Gordon verliert den Kopf. Irgendwie erinnern die Konstellationen vieler dieser Werke fatal an die gegenwärtige weltpolitische Lage ...

Sehnsucht und Mission

Gleichfalls konkrete historische Wurzeln hat die wohl komplexeste und bedeutendste Orientphantasie jener Tage: "Lawrence von Arabien" (1962) ging mit westlicher Kolonialgeschichte ebenso kritisch ins Gericht wie mit den durch innere Machtkämpfe unterminierten Befreiungskämpfen der arabischen Stämme.

Sein Protagonist, T.E. Lawrence, eine faszinierende zerrissene Persönlichkeit, verkörpert die ambivalente Haltung des Abendlandes gegenüber dem Orient wie kein Zweiter: den britischen Archäologen und Agenten treibt eine unbestimmte Sehnsucht in die Wüste - und eine handfeste politische Mission.

Fasziniert vom Zauber der Landschaft, von Ethos und Lebensart der Beduinen unterliegt er schließlich den finsteren Seiten der eigenen Seele: In den Befreiungsschlachten gegen die türkischen Heere brechen unterdrückte sexuelle Begierden, unterschwellige sadistische Neigungen, Paranoia und Größenwahn aus und führen Lawrence an den Rand des Wahnsinns - der Orient bekommt eben nicht jedem.

Die Klischees, mit denen diese Filme - und andere Medien – ihre bunten Geschichten erzählen vom Tod auf dem Nil und dem Mord im Orient-Express und, muss man nicht zu Tode analysieren (wie Edward Said in seinem Buch "Orientalismus"). Im Zweifelsfall lassen sie mehr Rückschlüsse auf die jeweilige Befindlichkeit des Westens zu als auf reale Zustände im Nahen oder Mittleren Osten.

Amin Farzanefar

© Qantara.de 2004