Die Türkei macht Europa ein Friedensangebot

Dem türkischen Autor Orhan Pamuk wurde der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. In der Begründung heißt es, Pamuk habe ein Werk geschaffen, in dem Europa und die Türkei zusammenfänden. Aya Bach berichtet.

Orhan Pamuk am 22.10.05 auf der Frankfurter Buchmesse; Foto: dpa-Report
Das Rampenlicht nutzt Orhan Pamuk dazu, um für den EU-Beitritt der Türkei zu werben.

​​Orhan Pamuk richtete kritische Worte in Richtung Türkei und in Richtung Europa, als er am 23. Oktober in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennahm. Er nutzte das Forum zu einem dringenden Appell, die gegenseitige Annäherung zu suchen. Schon lange plädiert der Schriftsteller für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei.

In der Paulskirche trat er nun nochmals vehement dafür ein. Er kritisierte die in Deutschland weit verbreitete Türkei-Skepsis gerade auch in den letzten Bundestagswahlen. Stimmung zu machen gegen die Türkei, so Pamuk, sei genauso gefährlich wie der Konfrontationskurs, den manche türkischen Politiker gegen Europa einschlügen. Mit Blick auf die Stimmungslage in seiner Heimat sagte er:

"In Europa eine Türkenfeindlichkeit zu schüren, führt leider dazu, dass sich in der Türkei ein europafeindlicher, dumpfer Nationalismus entwickelt."

"Schnee" als Spiegel der modernen Türkei

​​Die Psychologie hinter diesen Mechanismen hat Orhan Pamuk immer wieder in seinen Büchern nachgezeichnet - zuletzt in dem Roman "Schnee", der in einer tristen anatolischen Kleinstadt spielt. Dort treffen die verschiedensten Strömungen aufeinander: Westlich geprägte Intellektuelle, muslimische Fanatiker, Frauen, die für und wider das Kopftuch streiten, Atheisten und Nationalisten. Ein Panorama, das vielen westlichen Lesern erst ein Verständnis der Türkei ermöglicht.

Darauf hob auch in seiner Laudatio Joachim Sartorius ab, Intendant der Berliner Festspiele, der drei Jahre in der Türkei gelebt hat:

"Es ist ein unerhörter Glücksfall, dass die unendlich reiche Literatur von Orhan Pamuk der Welt sein Land erklärt. Die sonst darüber reden und berichten, verfolgen alle bestimmte Interessen. Die Politiker - Erdogan, Verheugen, Merkel oder Villepin - die Militärs, die Historiker. Der Schriftsteller ist der einzige, der uns mit diesem Land vertraut macht."

Die Türkei als Garant für Frieden und Sicherheit

Mit einem Land, das - so Pamuk - vor allem Frieden zu bieten hat. Denn auch die Muslime in der Türkei wünschten sich, an Europa teilzuhaben - sie brächten ein Stück Sicherheit und Stärkepotential in die EU ein.

"Wer an die europäische Union glaubt, sollte einsehen, dass es hier um die Alternative zwischen Frieden und Nationalismus geht. Hier liegt die Entscheidung, die wir treffen müssen: Frieden oder Nationalismus. Ich - für mein Teil - bin überzeugt, dass der Friedensgedanke das Herzstück der Europäischen Union ist, und dass das Friedensangebot, das die heutige Türkei Europa macht, nicht ausgeschlagen werden darf. Zur Wahl stehen auf der einen Seite schriftstellerische Phantasie, auf der anderen Seite bücherverbrennender Nationalismus."

Aya Bach

© Qantara.de 2005

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Orhan Pamuk
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