Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

Von Literaturkritikerin Elke Heidenreich empfohlen, hat der Roman "Monsieur Ibrahim" die deutschen Bestsellerlisten erobert. Und auch als Kinofilm feiert Eric-Emmanuel Schmitts Buch inzwischen Erfolge - nicht zuletzt wegen Omar Sharifs glänzender Rolle als Monsieur Ibrahim.

Von Peter Zemla

Foto: Filmausschnitt, 'Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran'
Omar Sharif als Monsieur Ibrahim

​​Es gibt wahrlich schönere, weil behütetere Kindheiten als die des 13-jährigen Moses aus Paris. Seine Mutter hat sich aus dem Staub gemacht, irgendwann ist das gewesen, so dass selbst die Erinnerung an sie schon verblasst ist. Auch der große Bruder ist nicht mehr als ein Phantom. Geblieben ist Moses, genannt Momo, einzig sein Vater, ein verbitterter, verbiesterter Bürohengst, für den Moses den Haushalt zu besorgen hat und im Gegenzug nichts als abschätzige Kommentare einstreicht.

Dabei bräuchte der Junge gerade jetzt Rat und eine Schulter zum Anlehnen. Denn vor seiner Haustür stolzieren die aufreizenden Damen vom horizontalen Gewerbe auf und ab. Und auch von hormonellen Verwirrungen einmal abgesehen, erweist sich die Welt als ein einziges Geheimnis, das entschlüsselt werden muss. Nur gut, dass es da den Lebensmittelhändler Ibrahim zwei Ecken weiter gibt. Bei dem kauft Moses täglich ein, und ab und an langt er auch mal zu, ohne zu bezahlen.

Zunächst will er mit dem grauhaarigen Herrn, den er despektierlich den "Araber" nennt, nichts zu tun haben. Aber nach und nach wird Moses klar, dass dieser Monsieur Ibrahim in seiner ruhigen, listigen, lebensklugen Art vielleicht der beste Wegweiser ist, den er überhaupt finden kann. Und so wird aus dem jüdischen Jungen und dem betagten Moslem ein Gespann, wie es eingeschworener nicht sein könnte, am Ende sogar etwas Miteinander-Verschweißtes, wie es eigentlich nur Vater und Sohn zustande bringen.

Erst Bestseller, jetzt charmanter Film

Elke Heidenreich war hin und weg, als sie in ihrer Sendung "Lesen" den schmalen Roman "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran" des französischen Autors Eric-Emmanuel Schmitt vorstellte. Und weil der Heidenreich-Jubel fast immer ein ansteckender ist, schoss das Buch über Toleranz und Freundschaft, über Güte, Vertrauen und Liebe auf den deutschen Bestsellerlisten steil nach oben. Und hält sich dort seit vielen Monaten mit erstaunlicher Beharrlichkeit.

Dass Schmitt von Kritikern mittlerweile vorgeworfen wird, sein Roman weise starke Parallelen zu einem Buch seines französischen Kollegen Emile Ajar auf, ja ganze Passagen seien schlicht und ergreifend abgeschrieben – die deutschen Leser hat es nicht wirklich gestört. Noch weniger sollten sich die Kinogänger daran stören. Denn die Mann- und Menschwerdung, die Regisseur François Dupeyron da in Szene gesetzt hat, ist in allen Bereichen äußerst charmant, liebevoll und stimmig ausgefallen. Das 50er-Jahre-Couleur etwa ist mit wenigen Oldtimern auf den Straßen, ein paar rauschenden Petticoats und einigen wohlgesetzten Twist-Takten im Grunde nur ganz sparsam angedeutet und doch vollkommen überzeugend.

Omar Sharif – wieder entdeckt

Vor allem aber erweist sich Dupeyrons Hauptdarstellergespann als echter Glücksfall für den Film. Der junge Pierre Boulanger als Moses agiert unbekümmert und natürlich und enthält sich auf wohltuende Weise der dick aufgetragenen Mimik und Gestik, zu denen in letzter Zeit gerade die Jungschauspieler Hollywoods neigen. Sein Moses ist wie ein unbeschriebenes Blatt, das mal hierhin, mal dorthin geweht wird. Und das nur darauf wartet, dass es jemand zur Hand nimmt und zu beschreiben beginnt. Omar Sharif ist dieser Jemand.

Dass der 72-jährige Ägypter noch einmal eine solch reife, runde und abgeklärte Leistung zu zeigen imstande ist, darf als die eigentliche Überraschung von "Monsieur Ibrahim" angesehen werden. Im Grunde ist Sharif, der Held aus den beiden Klassikern "Lawrence von Arabien" (1962) und "Doktor Schiwago" (1965), schon ein Stück Filmgeschichte gewesen. Archiviert und abgeschlossen. Seine Filme der letzten Jahre verschweigt man besser. Was Sharif übrigens ganz genauso sieht: "Ich habe in den letzten dreißig Jahren zu viele schlechte Filme gedreht und den Spaß an der Arbeit verloren." Seine Konsequenz daraus war ein zeitweiliger Rückzug vom Filmgeschäft. Nach eigener Aussage wollte er auf ein Drehbuch warten, über das sich seine Enkel nicht lustig machen könnten.

Als er das Skript zu "Monsieur Ibrahim" in Händen hielt, wusste er, dass er es gefunden hatte. Mit dem fern der Heimat lebenden Lebensmittelhändler freundete er sich sofort an. Sharif: "Wir haben so ziemlich dieselbe Einstellung zum Leben. Wie ich ist Ibrahim ein kleiner Junge, der auf jemanden wartet, mit dem er spielen kann."

Schule des Lebens

Und so beginnen die Spielchen, die für Moses zur Schule des Lebens werden. Wie man einem berühmten Filmstar eine Flasche Wasser für sündhaft teures Geld verkauft, lernt er. Wie man einer Frau richtig Komplimente macht. Wie man sich an kleinen Dingen ergötzen kann. Dass man durchaus schon mal schwindeln darf und nie, nie, nie das Lachen vergessen sollte. Oder warum man nur das wirklich besitzt, was man großherzig verschenkt. Und vor allem, dass es auf Güte und Verständnis im Leben ankommt. Womit klar wird, dass der Film noch eine Klippe, die gefährlichste von allen, zu umschiffen hatte.

Mit dieser literarischen Vorlage, mit so viel Moral von der Geschicht' im Gepäck hätte aus "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran" nämlich leicht eine moralinsaure und also schwer verdauliche Lehrstunde in angewandter Ethik werden können. Doch der Zeigefinger bleibt stets in der Tasche, wenn Sharif verschmitzt-gewitzt zu seinen hintergründigen Zurechtweisungen ansetzt und wenn sein junger Kollege Pierre Boulanger aufmerksam zuhört. Filme über das Erwachsenwerden gibt es viele. Nicht viele jedoch, die so weise daherkommen, ohne naseweis zu sein.

Peter Zemla

© Fluter.de 2004

(Monsieur Ibrahim et les Fleurs du Coran) Frankreich 2003, Regie: François Dupeyron, Buch: François Dupeyron, Eric Emmanuel-Schmitt nach dem gleichnamigen Roman von Eric Emmanuel-Schmitt, mit Omar Sharif, Pierre Boulanger, Gilbert Melki, Isabelle Renauld, Lola Naymark, Anne Suarez, Mata Gabin.