Umstrittener Kampf gegen den Terror

Tunesien versucht mit einem neuen Antiterrorgesetz, den Sicherheitsproblemen im Land Herr zu werden. Doch Kritiker meinen, das Gesetz sei nicht ausreichend und berge die Gefahr eines Rückschritts zu autoritären Strukturen. Aus Tunis informiert Sarah Mersch.

Von Sarah Mersch

Seit mehr als zwei Jahren wurde die Abstimmung über das „Gesetz zum Kampf gegen Terrorismus und Geldwäsche“ immer wieder verschoben. Nach dem Anschlag auf das Bardo-Museum im März mehrten sich die Stimmen, die forderten, das umstrittene Gesetz jetzt so schnell wie möglich fertigzustellen. Unter Zeitdruck formulierte der zuständige Ausschuss den Text, der am 24. Juli verabschiedet wurde. Während sich fast alle Volksvertreter darüber einig waren, dass angesichts der Sicherheitsprobleme im Land ein neues Gesetz zur Terrorbekämpfung dringend nötig sei, gab es in anderen Fragen große Meinungsverschiedenheiten.

174 der 217 tunesischen Parlamentarier stimmten nach drei Tagen Debatte für den Gesetzentwurf, der das alte Antiterrorgesetz aus dem Jahr 2003 ablöst. Gegenstimmen gab es nicht. Zehn Abgeordnete hatten sich am Ende enthalten, mehr als dreißig Abgeordnete waren gar nicht erst zur Abstimmung erschienen. Sie seien, so warf ihnen die regierungsnahe Zeitung „La Presse“ vor, „weitgehend deckungsgleich mit den hartnäckigsten Gegnern des Gesetzes und den Unterstützern des Terrorismus“.

Tunesien befinde sich im „Krieg gegen den Terror“ und müsse deshalb besondere Maßnahmen treffen, hatte Regierungschef Habib Essid bereits vor der Abstimmung erklärt. „Das Antiterrorgesetz gibt den Ermittlern die Möglichkeit, unter guten Bedingungen ihre Arbeit zu machen. Wir erhoffen uns viel davon“, so der Premierminister. Tunesische und internationale Organisationen der Zivilgesellschaft hatten dagegen deutliche Kritik an dem Text geäußert.

Größerer Spielraum für die Polizei

Das Gesetz räumt sowohl der Polizei als auch der Justiz einen wesentlich größeren Spielraum in ihrer Arbeit ein – zu viel Spielraum, meinen Kritiker. Es sei eine große Herausforderung, „ein Gleichgewicht zu finden zwischen dem Kampf gegen den Terrorismus und der Einhaltung der Menschenrechte“, so Amna Guellali, Leiterin des Büros der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch (HRW) in Tunis. Dieses Gleichgewicht sieht die Juristin in dem neuen Antiterrorgesetz nicht. Es bestehe deshalb die Gefahr, dass die Menschenrechte, die die Tunesier seit der Revolution erkämpft hätten, auf der Strecke blieben.

Polizist am Strand von Sousse. Foto: picture-alliance/dpa/M. Messara
Sicherheitsmaßnahmen am Strand von Sousse: Ein tunesischer Polizist hält unweit vom Anschlagsort Wache.

Die Kritik an dem Gesetz beginnt bereits bei der Überschrift. Die Definition von „Terrorismus“ ist nämlich ungewöhnlich weit gefasst. Kommt es zum Beispiel am Rande einer Demonstration zu Auseinandersetzungen und entstehen dabei Schäden an öffentlichen oder privaten Gebäuden, dann können die dafür Verantwortlichen nach dem Antiterrorgesetz verurteilt werden.

„Das Gesetz kann dadurch gegen jegliche soziale Protestbewegung verwendet werden“, warnt der linke Abgeordnete Amr Amroussia aus der Bergbauregion Gafsa. „Es kam doch überhaupt erst zur Revolution, weil die Bürger Freiheit, Würde und wirtschaftliche Entwicklungen im Landesinneren gefordert haben“, erklärt er. Diese Ziele seien bis heute nicht realisiert, deshalb hält er neue Auseinandersetzungen jederzeit für möglich. Kurz nach dem Attentat auf ein Hotel in Sousse am 26. Juni hatte sich der tunesische Präsident Beji Caid Essebsi in einer Fernsehansprache explizit gegen Streiks und Demonstrationen vor allem im Landesinneren ausgesprochen, da diese Tunesien und seiner Wirtschaftskraft schaden und die Regierung am Arbeiten hindern würde.

Sorge vor polizeilicher Willkür

Das neue Antiterrorgesetz erlaubt neben weitreichender Überwachung mutmaßlicher Terroristen außerdem, Verdächtige zwei Wochen lang in Untersuchungshaft zu behalten, ohne dass diese einen Anwalt kontaktieren dürfen. Dort seien sie polizeilicher Willkür ausgesetzt, so Amna Guellali von Human Rights Watch. In Tunesien kam es auch nach dem politischen Umbruch 2011 immer wieder zu Fällen von Folter in Polizeigewahrsam und in Gefängnissen.

Kritiker fürchten außerdem, dass mit dem neuen Antiterrorgesetz die Todesstrafe in Tunesien wieder angewandt wird. Verschiedene Verbrechen sollen laut dem neuen Text mit dem Tod bestraft werden, während das Gesetz von 2003 lediglich eine lebenslängliche Haftstrafe vorsah. Seit 1991 werden in Tunesien keine Todesurteile mehr vollstreckt; die Todesstrafe wurde jedoch nie abgeschafft. Souhail Alouini, Abgeordneter von Nidaa Tounes, der stärksten Kraft im Parlament, glaubt, Tunesien sei „noch nicht bereit für eine Abschaffung der Todesstrafe“. Er hofft darauf, dass sie nur eine symbolische Strafe bleibe, die zur Abschreckung dient, und das Moratorium aufrechterhalten wird.

Marsch gegen den Terror in Tunis. Foto: picture-alliance/dpa
Protestmarsch gegen den Terror: Nach dem Anschlag auf das Bardo-Museum schließen sich Tausende Tunesier einer Demonstration in der Hauptstadt an.

Während das neue Antiterrorgesetz den strafrechtlichen Rahmen vorgibt, in dem Tunesien in Zukunft den Terrorismus in den Griff kriegen will, fehlt es nach wie vor an einem umfassenderen Ansatz, um zu verhindern, dass sich zunehmend vor allem junge Tunesier extremistischen Gruppierungen anschließen. „Die Regierung hat keinen Plan, der Präsident hat keinen Plan und – und das ist katastrophal – auch die Mehrheit dieses Parlaments hat keinen“, schimpft Amr Amroussia.

Umfassenderes Konzept fehlt noch

Er wirft der Regierung vor, im Kampf gegen die Terroristen zu defensiv vorzugehen und Fragen der Bildung und der wirtschaftlichen Situation außen vorzulassen. Im September soll ein sogenannter Nationaler Kongress gegen den Terrorismus erstmals Entscheidungsträger verschiedener Bereiche wie Bildung, Kultur, Wirtschaft und Sicherheit zusammenbringen und ein umfassenderes Konzept zur Terrorbekämpfung beschlossen werden, kündigte die Regierung an.

Unterdessen wächst vor allem in der tunesischen Zivilgesellschaft die Angst vor einem Rückschritt hin zu autoritären Strukturen unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung. „Es gibt einige beunruhigende Elemente in der aktuellen Situation“, so Amna Guellali. Neben dem Antiterrorgesetz wurde im Juli in Tunesien der Ausnahmezustand verhängt, der der Polizei mehr Freiheiten erteilt und es ermöglicht, die Presse- und Meinungsfreiheit sowie das Demonstrationsrecht einzuschränken. Außerdem dürfen Tunesier unter 35 Jahren nicht mehr in bestimmte Länder reisen, zum Beispiel nach Libyen, Serbien oder in die Türkei. Diese gelten als typische Durchgangsstationen für Extremisten, die in Syrien oder dem Irak der Seite des selbst ernannten „Islamischen Staates“ kämpfen wollen.

„Die Bauteile für einen Rückschritt sind vorhanden, aber ob es tatsächlich dazu kommt, wird von vielen kleinen Auseinandersetzungen der verschiedenen Kräfte in den politischen Gruppierungen und Ministerien abhängen“, glaubt Amna Guellali von Human Rights Watch in Tunis. Regierungschef Essid wiegelt hingegen ab. „Der Übergang zur Demokratie ist unumkehrbar. Tunesien ist heute ein Rechtsstaat, in dem die Gesetze und die Verfassung respektiert werden.“ Allerdings, schiebt er nach, müssten einige der erkämpften Freiheiten im Kampf gegen den Terror eingeschränkt werden, um das tunesische Gesellschaftsprojekt langfristig vor Extremisten zu schützen.

Sarah Mersch

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