Demokratische Zäsur

Die Wahl von Pakistans neuem Premierminister Syed Yusuf Raza Gilani bedeutet eine Zäsur in der modernen Geschichte Pakistans. Es steht ein demokratischer Neuanfang für das Land an. Thomas Bärthlein kommentiert.

Premierminister Syed Yusuf Raza Gilani; Foto: AP
Gilani setzt sich für die Freilassung von mehreren Richtern an, die nach Ausrufung des Ausnahmezustands durch Präsident Musharraf unter Hausarrest gestellt worden waren.

​​Pakistan setzt große Hoffnungen in die neu gewählte Regierung, die auf mehr als acht Jahre Militärherrschaft folgt. In den vergangenen Wochen ist Erstaunliches passiert: Die Pakistan People's Party der ermordeten Benazir Bhutto und die Muslim-Liga von Nawaz Sharif - in den 1990er Jahren noch bittere Rivalen - haben sich auf eine Große Koalition verständigt.

Sie werden gemeinsam am Kabinettstisch sitzen, und es ist ihnen gelungen, praktisch alle Politiker, denen das irgendwie möglich war, zu sich herüberzuziehen. Sie werden somit auch in allen Provinzen regieren und im Bundesparlament über eine solide Zweidrittelmehrheit verfügen.

Grundkonsens der Demokraten

Nawaz Sharif und der Bhutto-Witwer Asif Zardari treten gemeinsam betont harmonisch und souverän auf. Zum ersten Mal in Pakistan ist so etwas wie ein Grundkonsens der Demokraten zu erkennen, dem die Politiker ihre Eigeninteressen unterordnen. Nicht zuletzt die Ermordung von Benazir Bhutto ist es gewesen, die den Parteiführern ihre Gemeinsamkeiten und ihre Verantwortung für die Demokratie noch einmal klar gemacht hat.

Zwar hat es innerhalb der People's Party ein hässliches Tauziehen um das Amt des Premierministers gegeben, aber das scheint bereits wieder vergessen, und der gefundene Kandidat genießt weithin Ansehen. Besonders der faktische Parteichef Asif Zardari, der bislang keinen besonders guten Ruf hatte, hat mit seinem staatsmännischen Auftreten alle Kritiker verblüfft.

Während manche Beobachter jetzt einen Machtkampf zwischen der neuen Regierung und dem Präsidenten vorhersagen, dürfte das Tauziehen in Wirklichkeit schon längst entschieden sein: Präsident Musharraf ist in den vergangenen Wochen immer mehr an den Rand des politischen Geschehens gedrängt worden. Er musste am Montag mit ansehen, wie selbst das Staatsfernsehen die Anti-Musharraf-Parolen im Parlament übertrug.

Benazir Bhutto  und Nawaz Sharif 2007; Foto: AP
Mehrheit für die Gegner Musharrafs: Seit der Wahl am 18. Februar bilden die Pakistan People's Party und die Muslim-liga in einer großen Koalition die Mehrheit.

​​Er musste auch hinnehmen, dass der gewählte, aber noch nicht einmal amtierende Premierminister Gilani entschied, den von Musharraf abgesetzten und unter Hausarrest gestellten Richter Iftikhar Chaudhry freizulassen – und die zuständigen Behörden dem sozusagen in vorauseilendem Gehorsam Folge leisteten. Dass die alten Richter auch in die Gerichte zurückkehren, ist nur noch eine Frage der Zeit.

Zeit für die lame duck?

Und dann wird auch die juristische Überprüfung der Wahl Musharrafs zum Präsidenten auf den Tisch kommen. Wie lange Musharraf unter diesen Umständen noch als “lame duck” im Amt bleiben will, ist seine Sache, dürfte der neuen politischen Führung angesichts ihrer überwältigenden Mehrheiten aber keine schlaflosen Nächte mehr bereiten.

Die neue Regierung tritt ein schwieriges Erbe an. Das Hauptproblem der nächsten Monate wird die Sicherheitslage in Pakistan sein, wo Selbstmordanschläge landesweit zur Bedrohung geworden sind. Die Regierung Gilani hat insofern ein ureigenes Interesse, entschieden gegen den Terrorismus vorzugehen.

Aussicht auf bessere Zeiten

Bedenken dagegen im Ausland sind unbegründet. Besonders Nawaz Sharif wird sich allerdings dagegen wehren, einfach als Marionette der USA zu agieren – und damit könnte es durchaus zu Konflikten zwischen Washington und Islamabad kommen. Langfristig ist es aber im Interesse der internationalen Gemeinschaft, wenn die Pakistaner selbst darüber entscheiden, wie sie den Terrorismus bekämpfen – zum Beispiel nicht dadurch, dass Menschen einfach in den Verliesen der Geheimdienste "verschwinden".

Bislang hatte der Westen Musharraf sozusagen das Monopol und die Wahl der Mittel bei der Terrorbekämpfung überlassen. Das hat nicht funktioniert: Musharraf hat dieses “Mandat” für seine eigenen Zwecke missbraucht und in vielen Bereichen den Terrorismus erst recht geschürt. Es kann nur besser werden.

Thomas Bärthlein

© Deutsche Welle 2008

Qantara.de

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