Spiegel abendländischer Koranrezeptionen

Endlich ist die seit langem angekündigte Koranübersetzung des Erlanger Professors für Islamwissenschaft, Hartmut Bobzin, erschienen. Trotz mancher Schwerfälligkeiten erweist sie sich als die derzeit beste deutsche Koranübersetzung, meint Stefan Weidner.

​​Unter den religiösen Gründungstexten von Weltgeltung ist der Koran einer der jüngsten und schwierigsten, kaum übersetzbar. Von den mehr als ein Dutzend deutschen Übersetzungen des Korans, sind die meisten sprachlich und wissenschaftlich veraltet.

Einen wirklichen Zugang zum Heiligen Buch der Muslime liefert keine. Ob soeben erschienene Neuübersetzung des Erlanger Professors für Islamwissenschaft, Hartmut Bobzin, Abhilfe schafft?

Schon eine erste Stichprobe macht die Problematik klar, die auch diese Neuübersetzung prägt. In der ersten regulären Sure, der zweiten nach der gebetsformelhaften Eröffnungssure, heißt es in Bobzins Übertragung: "Dies ist das Buch, in dem kein Zweifel ist – es ist Geleit für Gottesfürchtige".

Die Übersetzung "Buch" ist ein Anachronismus. Wie ein Buch lässt sich der Koran eben nicht lesen, da er keinerlei chronologischen oder sonst wie systematischen Aufbau hat. Gemeint ist hier einfach Schrift, aber Bobzin will sich nicht von der Vorstellung einer islamischen Buchreligion analog zum Christentum und Judentum trennen.

Schlägt man die Stelle Kommentar nach, liest man dort: "Den Vers könnte man auch übersetzen: 'Dieses Buch – kein Zweifel ist in ihm (…)'."

Aufmerksame Leser werden fragen, was es bedeutet, wenn ein Zweifel "in" einer Schrift ist – außer dass sie angezweifelt werden kann? Dann aber hieße der Satz sinngemäß nichts anderes als "Diese über jeden Zweifel erhabene Schrift ist ein Wegweiser für Gottesfürchtige."

200 Seiten Kommentar

Dass sich bei Bobzin auch solche vergleichsweise klaren koranischen Verse so irreführend lesen, hat einen spezifischen Grund: Bei Bobzins Übersetzung schwingt die ganze Geschichte der abendländischen Koranrezeption mit.

Hartmut Bobzin; Foto: &copy Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald
Dr. Hartmut Bobzin ist Professor für Islamwissenschaft und Semitische Philologie an der Friedrich-Alexander Universtität Erlangen. Im Mittelpunkt seiner Forschungsarbeit steht die Koranforschung und die Rezeptionsgeschichte des Islams in Europa.

​​ Daher ist die Rede vom "Buch", obwohl der Koran kein Buch ist, daher die um Genauigkeit an falscher Stelle bemühte Halbherzigkeit bei der syntaktischen Einordnung des "Zweifels". 200 Seiten philologischer Kommentar hängen an den 600 Seiten der Übersetzung von Bobzin.

Es ist ein kluger, von Gewissenhaftigkeit, Problembewusstsein und größten Kenntnissen zeugender Kommentar. Aber er dient weniger dem Leser als dem Übersetzer zur Absicherung gegen Kritik und als Dialog mit anderen Koranwissenschaftlern.

Wenn Bobzin "Schranken Gottes" übersetzt, steht im Kommentar, dass es wörtlich "Grenzen Gottes" heißt. Wer nicht ganz so gebildet ist wie Bobzin, denkt bei Schranken vor allem an Bahnübergänge, nicht an – ein schöneres deutsches Wort! – Grenzbäume. Beides ist natürlich nicht falsch, aber die Anmerkung sät eben den Zweifel an der Übersetzung, den sie austreiben will.

Poetische Gestaltung

Mit diesen 200 Seiten soll es übrigens sein Bewenden nicht haben. Der Kommentar des Kommentars ist bereits angekündigt! In diesem Superkommentar werden laut Bobzin aber genau die Informationen stehen, ohne die eine solche Koranübersetzung kaum vernünftig gelesen werden kann.

Koranausgabe aus dem 13. Jahrhundert; Foto: AP
Bei Bobzin besteht die poetische Gestaltung des von Arabern als Gipfel sprachlicher Meisterschaft empfundenen Korantextes hauptsächlich im Reim, den er dort verwendet, wo es sich fügt, dezent, aber dafür in aller Regel sehr gelungen.

​​ Wer jetzt Sure 96 bei Bobzin liest, bekommt mit keinem Wort auch nur einen Hinweis darauf, dass dies nach muslimischem Verständnis die erste aller offenbarten Suren ist, in jedem Fall eine der frühesten.

Die poetische Gestaltung des von Arabern als Gipfel sprachlicher Meisterschaft empfundenen Korantextes besteht bei Bobzin hauptsächlich im Reim, den er dort verwendet, wo es sich fügt, dezent, aber dafür in aller Regel sehr gelungen.

Störend macht sich manchmal Bobzins Zug zur Wörtlichkeit bemerkbar. Die berühmte 96. Sure heißt bei Bobzin denkbar unschön "Das Anhaftende". Aber nicht Tesafilm ist gemeint, sondern etwas, aus dem der Mensch gemacht sein soll: "Trag vor im Namen deines Herrn, der (…) den Menschen aus Anhaftendem schuf." Gemeint ist ein Blutklecks oder Samenflüssigkeit, wie leider erst der Kommentar erklärt.

Versöhnung der Extremvarianten

Bobzin will in seiner Übersetzung die beiden Extremvarianten deutscher Korane, den bis zur Unlesbarkeit wörtlichen von Rudi Paret aus den 70er Jahren und die poetische Übertragung von Rückert aus dem 19. Jahrhundert miteinander versöhnen. Von allen bisherigen Koranübersetzern hat Bobzin es sich damit am schwersten gemacht.

Zu dem Gelungenen dieser Ausgabe, allen anderen deutschen Koranen weit voraus, zählt die Gestaltung. Die Koranverse sind auch als Verse angeordnet. Es gibt Luft zum Durchatmen zwischen diesen Zeilen.

Wie leicht wäre es indes gewesen, dieses Prinzip konsequenter anzuwenden und die Sinneinheiten innerhalb der aus Versatzstücken zusammengestellten Suren durch Absätze von einander abzutrennen und so dem Leser, noch vor jedem Kommentar, zu vermitteln, dass er sich nicht wundern soll, wenn manches nicht zusammenpasst und viele Zusammenhänge unklar sind.

Trotz ihrer konservativen Herangehensweise beeindruckt die Übersetzung Bobzin am Ende durchaus und sei von allen deutschen Koranen gegenwärtig als der beste empfohlen, auch wenn er am Ende mehr durch philologische Fleißarbeit besticht als dadurch, wirklich neue Wege in der Koranübersetzung zu beschreiten.

Stefan Weidner

© Qantara.de 2010

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

Der Koran: Neu übertragen von Hartmut Bobzin unter Mitarbeit von Katharina Bobzin. Verlag C.H. Beck, München 2010, 825 S.

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