Allen Widerständen zum Trotz

Souad Abderrahim ist die erste Frau, die in Tunis ins Bürgermeisteramt gewählt wurde. Ihre Wahl wird zwar von den meisten Einwohnern der tunesischen Hauptstadt unterstützt, allerdings gibt es auch zahlreiche Einwände gegen die Ennahda-Politikerin. Über die Hintergründe informieren Sharan Grewal und Matthew Cebul.

Von Sharan Grewal & Matthew Cebul

Am 3. Juli hatte der Stadtrat der tunesischen Hauptstadt die Kandidatin Souad Abderrahim als erste Frau zur Bürgermeisterin gewählt. Abderrahim, eine 53-jährige Pharmazeutin und ehemalige Parlamentsabgeordnete der Ennahda, ist die erste gewählte Bürgermeisterin einer arabischen Hauptstadt. Weltweit ist sie eine von nur 20 Frauen in diesem Amt.

Der Wahlkampf vor Abderrahims historischem Sieg wurde jedoch auch von offenem Sexismus überschattet. Ein Beispiel dafür gab Foued Bouslema, ein Sprecher der regierenden Nidaa Tounes, der größten politischen Gegnerin der Ennahda. Am 8. Mai behauptete er, in einem muslimischen Land sei Abderrahims Kandidatur "inakzeptabel", da sie als Frau "am Abend der 27. Nacht des Ramadan nicht in der Moschee anwesend sein kann". Damit meinte er die "Laylat al-Qadr", die heiligste Nacht des Ramadan. Traditionell nehmen die Bürgermeister von Tunis – als Ehrenscheichs der Stadt – in dieser Nacht an einer religiösen Zeremonie in der städtischen Zitouna-Moschee teil, auch wenn sie dazu nicht offiziell verpflichtet sind.

Dieser Kommentar Bouslemas stieß in den sozialen Medien auf massive Proteste, was die säkulare Partei Nidaa Tounes schließlich dazu veranlasste, sich von ihm zu distanzieren. Auch der Stadtrat von Tunis wandte sich gegen Bouslemas sexistische Kritik. 21 Vertreter der Ennahda konnten weitere fünf säkulare Ratsmitglieder auf ihre Seite ziehen, und so wurde Abderrahim mit 26 gegen 22 Stimmen zur Bürgermeisterin gewählt.

Gespaltene Bevölkerung

Allerdings ist unklar, inwieweit die tunesische Bevölkerung insgesamt mit diesem Wahlergebnis einverstanden ist oder nicht. Abderrahim wurde nicht direkt vom Volk gewählt, sondern vom Stadtrat, und bei der Kommunalwahl vom 6. Mai – bei denen die Ennahda-Liste, deren Vorsitzende Abderrahim ist, 33 Prozent der Stimmen bekam – war die Wahlbeteiligung sehr gering. Wenn viele Einwohner von Tunis darin übereinkommen, dass eine Frau unfähig ist, die Stadt zu führen, dann könnte Abderrahim in ihrer ersten Amtszeit als Bürgermeisterin auf erheblichen Widerstand stoßen.

Infografik Ergebnisse der "One to One for Research and Polling"-Umfrage zu Souad Abderrahim; Quelle: Sada/Carnegie Endowment for Peace
The face-to-face survey with One to One for Research and Polling was conducted on 488 randomly selected pedestrians in downtown Tunis between 25 June and 3 July. Whilst not representative, the data provide a useful snapshot into how 500 Tunisians viewed Abderrahimʹs candidacy immediately prior to the election. The geographic limitation to downtown Tunis is also appropriate given that Abderrahimʹs jurisdiction covers only downtown

In einer Umfrage, die vor der Bürgermeisterwahl unter knapp 500 Einwohnerinnen und Einwohnern von Tunis geführt wurde, stand die Kandidatur Abderrahims im Mittelpunkt. Laut Umfrageergebnis war die Mehrheit der Befragten – 54 Prozent – mit einer Frau im Bürgermeisteramt einverstanden. Dies bedeutet wiederum, dass die Mehrheit der Einwohner von Tunis die sexistische Kritik Bouslemas an Abderrahim nicht teilt. Damit stehen die Bürger zweifelsohne im Einklang mit der progressiven Einstellung gegenüber Frauenrechten in Tunesien und dem relativ hohen Anteil von Frauen im Parlament.

Allerdings stimmten immerhin 36 Prozent der Befragten der Aussage zu, Abderrahim solle aufgrund ihres Geschlechts keine Bürgermeisterin werden dürfen. Begründung: "Souad Abderrahim sollte keine Bürgermeisterin werden dürfen, da sie eine Frau ist". Angesichts dessen, dass Befragte in Umfragen tendenziell zögern, sexistische Einstellungen offen zuzugeben, ist dies ein überraschend hoher Anteil.

Wichtig ist auch die tatsache, dass diese Einstellung nicht nur auf die Ablehnung der islamischen Ennahda zurückgeführt werden kann, sondern von Tunesierinnen und Tunesiern unterschiedlicher politischer Couleur vertreten wird. Bei den Unterstützern der Partei Nidaa-Tounes (39 Prozent), anderer Parteien (34 Prozent) und Befürwortern keiner Partei (36 Prozent) und sogar der Ennahda selbst (34 Prozent) war die sexistische Opposition gegen Abderrahims Kandidatur relativ gleichmäßig ausgeprägt.

Sexismus über Grenzen hinweg

Dieser Sexismus zieht sich auch über demografische Grenzen hinweg: Zwischen Männern (38 Prozent) und Frauen (32 Prozent) unterschied sich die Opposition gegen Abderrahim nur geringfügig. Auch der Ausbildungsgrad schien dabei kaum eine Rolle zu spielen: Der Anteil kritischer Stimmen lag unter Hochschulabsolventen bei nur 24 Prozent, aber unter Absolventen mit Bachelor-Abschluss bei 39 Prozent und bei solchen, die nur einen Grundschulabschluss oder gar keinen Schulabschluss haben, lag der Anteil bei 42 Prozent.

Tunesier unter 30 Jahren (36 Prozent der Bevölkerung) waren kaum weniger kritisch gegenüber einer weiblichen Bürgermeisterin eingestellt als Befragte über 60 Jahren (42 Prozent). Die sexistische Ablehnung Abderrahims wird zwar glücklicherweise nur von einer Minderheit geteilt, scheint sich aber durch sämtliche politische und soziale Lager zu ziehen.

Angesichts dieser Ergebnisse könnte Souad Abderrahim wohl noch ein schwerer Weg bevorstehen. Als Bürgermeisterin hatte sie versprochen, die Stadt zu erneuern, in Infrastruktur zu investieren und den Zugang zu Dienstleistungen zu verbessern. Dafür will sie die neue Macht nutzen, die ihrem Amt durch das Dezentralisierungsgesetz vom 26. April eröffnet wird. Um diese Ziele zu erreichen, muss sie allerdings mit der herrschenden Frauenfeindlichkeit bei einem großen Teil der Ennahda-Wählerschaft geschickt umgehen, die sie bisweilen als "zu forsch" oder "schwierig" etc. wahrnimmt, ganz gleich wie erfolgreich ihr politisches Reformprogramm auch sein mag.

Allerdings bekommt Abderrahim durch das Bürgermeisteramt auch die einmalige Gelegenheit, die Stimmung in eine positive Richtung zu lenken. Untersuchungen zufolge können Frauen in politischen Führungspositionen "die Wahrnehmung der Effektivität weiblicher Politiker durchaus  verbessern", Geschlechterstereotypen brechen und anderen Frauen, die führende Ämter anstreben, als Rollenmodelle dienen.

Abderrahim hatte versprochen, ihren Wahlsieg allen Frauen zu widmen, "die sich bemüht haben, solche Führungspositionen zu erreichen". Diese Ergebnisse lassen zumindest hoffen, dass sie ihr Versprechen tatsächlich einlösen kann.

Sharan Grewal und Matthew Cebul

© Sada | Carnegie Endowment for International Peace 2018

Sharan Grewal ist PhD-Doktorand an der Princeton University, Matthew Cebul PhD-Doktorand an der Yale University

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff