Geburtstagsgrüsse vom Hisbollah

Am Nahen Osten interessierte Leser dürfte angesichts des Buchtitels "The Media Relations Department of Hisbollah Wishes You a Happy Birthday" wohl die Neugier packen: Die islamistisch-militante Kraft in Libanon assoziiert man nicht unbedingt mit solchen Artigkeiten. Von Angela Schader

Das Mantra, dass der knappste Titel auch der zugkräftigste ist, muss nicht immer zutreffen. Am Nahen Osten interessierte Leser dürfte angesichts der Überschrift "The Media Relations Department of Hisbollah Wishes You a Happy Birthday" wohl die Neugier packen: Die islamistisch-militante Kraft in Libanon assoziiert man nicht unbedingt mit solchen Artigkeiten. Von Angela Schader

Demonstration von Hesbollah-Anhängern mit Postern Nasrallahs in Beirut; Foto: &copy AP
Die Summa, die MacFarquhar aus seinen Begegnungen zieht, fällt immer wieder ähnlich aus: Statt den Geist der Moderne - im vermeintlich Guten oder mit Gewalt - in die arabisch-islamische Welt hineintragen zu wollen, bedürfte es eines geschärften Blicks für die dort existierenden Strukturen.

​​Empfänger des Geburtstagswunsches und Autor des hier vorzustellenden Buches ist Neil MacFarquhar, der zunächst für die Associated Press und später für die New York Times als Berichterstatter im arabischen Raum tätig war.

Seine Erfahrungen hat er in einem Buch zusammengefasst, das sich mit einer geglückten Mischung aus Sachwissen und gesunder Bodenhaftung einerseits an ein interessiertes breiteres Publikum richtet, anderseits auch als Handreichung für die amerikanische Aussenpolitik gedacht ist:

Wiederholt weist MacFarquhar innerhalb der einzelnen Essays fruchtbare Alternativen zum Vorgehen der US-Administration unter Präsident George W. Bush auf und fasst sie im Schlusskapitel zu einigen übergreifenden Reflexionen zusammen.

Kritischer Blick auf den Westen

Der erste Teil des bisher erst auf Englisch erschienenen Bandes widmet sich einzelnen Phänomenen - vom Jihad bis hin zur Frage, wie man in der arabischen Welt ein ordentliches Thanksgiving-Dinner auf den Tisch bringt; der zweite analysiert anhand von sechs Länderbeispielen grundlegende Probleme der arabischen Welt.

"Unverhoffte Begegnungen", wie sie der Untertitel des Buches verheisst, sind Programm: MacFarquhar will vorgefertigte Meinungen aufbrechen und dabei nicht seinerseits Thesen liefern, sondern - wo immer möglich - die Leserschaft auf Augenhöhe an seine arabischen Gesprächspartner heranführen.

Öfters werden dabei auch gängige Auffassungen zurechtgerückt; so wirft der Autor durchaus kritische Blicke auf die im Westen als Signal des Aufbruchs wahrgenommene "Zedernrevolution" in Libanon. Als Revolution will sie MacFarquhar insofern nicht gelten lassen, als die bestehenden Machtstrukturen in keiner Weise angetastet oder auch nur in Frage gestellt worden seien.

Weit gefasster Fatwa-Begriff

Brillant in seinem Facettenreichtum ist im ersten Teil des Buches etwa das Kapitel über die Fatwa. Dass unter diesem Begriff nicht nur von finsteren Ayatollahs ausgespuckte Todesurteile zu verstehen sind, sondern religiöse Gutachten zu alltäglichsten Fragen des muslimischen Lebenswandels, dürfte den Lesern, die zu einem solchen Buch greifen, bereits bekannt sein; nicht unbedingt aber die Tatsache, dass viele dieser Sprüche zu Unrecht als Fatwas bezeichnet werden, indem der Begriff im strikten Sinn nur auf wirklich innovative Beschlüsse anzuwenden wäre.

​​ Die Tatsache, dass religiöse Institutionen wie die Kairoer Dar al-Iftaa mit Anfragen nach geistlich-lebenspraktischer Beratung förmlich überschwemmt werden, führen MacFarquhars Gesprächspartner auf die wachsende soziale und politische Frustration der arabischen Gesellschaften zurück: Die Menschen hätten die Hoffnung aufs Diesseits verloren und wollten sich durch frommen Lebenswandel wenigstens ihr Plätzchen im Paradies sichern.

Freilich ist der Weg dorthin so eng nicht, wie man vermuten mag: Mittels "Fatwa-Shopping" bei mehreren Imamen lässt sich notfalls auch für zweifelhaftes Handeln am Ende ein Segensspruch herausschlagen.

Während dieses Kapitel das im Westen gängige Verständnis des Begriffs Fatwa erweitert und auflockert, zögert der Autor, sich im Kapitel über den Jihad dem von moderaten Muslimen oft vorgebrachten Argument anzuschliessen, mit dem Begriff sei primär das spirituelle Ringen um ethische Lebensführung gemeint.

Zwar treffe es zu, dass von den vier sunnitischen Rechtsschulen einzig die dem saudischen Wahhabismus unterliegende hanbalitische Denktradition den offensiven Jihad befürworte; doch sei es praktisch unmöglich, radikalen Fundamentalisten durch den Verweis auf andere, gemässigte Lesarten beizukommen, da sie sich allein im Besitz des "wahren" Glaubens wähnten.

Mit welch fürchterlicher Selbstverständlichkeit solches Gedankengut selbst in gebildeten Köpfen lagert, beweist dem Autor das freimütige Bekenntnis eines saudischen Geschichtsprofessors: Natürlich hasse er MacFarquhar, weil dieser Christ sei, aber er wolle ihn deswegen nicht töten.

Säkulare Polizei- und Überwachungsstaaten

Jordaniens König Abdullah II.; Foto: AP
Personifizierung der neuen bleiernen Zeit: Jordaniens König Abdullah II. regiert sein Land mit zahlreichen Sonderbefugnissen auf der Basis von Notstandsregelungen, auf die das Parlament keinerlei Einfluss hat.

​​ Den säkularen Polizei- und Überwachungsstaat führt der Autor im zweiten Teil anhand der Beispiele Jordanien und Syrien vor. Die beiden Länder weisen nicht nur hinsichtlich der Reglemente für öffentliche Kundgebungen - dank denen in Jordanien sogar ein Protestmarsch wie eine Huldigung ans Königshaus wirken würde - verwandte Züge auf, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass hier auf eine kurze Phase der Öffnung eine neue bleierne Zeit folgte.

Die Bilanz des jungen marokkanischen Königs Mohammed VI. sieht auf den ersten Blick besser aus, doch auch hier verstellt die monolithische Macht des Königshauses und seiner Günstlinge der Bevölkerung den blossen Gedanken daran, ihr Geschick in die eigenen Hände zu nehmen.

Entgegen den realen Verhältnissen stellt der Autor in diesem zweiten Teil aber nicht die Machthaber, sondern die Oppositionellen in den Vordergrund.

In Marokko begegnet er Ahmed Marzouki, der seine grausame Kerkerhaft unter König Hassan II. in "Tazmamart, Cellule 10" unvergesslich geschildert hat; in Saudi-Arabien einer Professorin, die aufzeigt, wie gerade der übermäßige Glaubenseifer die Religion auf reine Äußerlichkeiten reduziert; in Ägypten einem Kandidaten der Muslimbrüder, dessen zupackendes soziales Engagement den Rückhalt der Islamisten bei der armen Bevölkerung plausibel macht - dessen religiöse Parolen und schillernde Stellungnahmen sich aber ganz ohne Zutun des Autors desavouieren.

Diskrete Unterstützung der Zivilgesellschaft

Die Summa, die MacFarquhar aus seinen Erfahrungen und Begegnungen zieht, fällt immer wieder ähnlich aus: Statt den Geist der Moderne - im vermeintlich Guten oder mit Gewalt - in die arabisch-islamische Welt hineintragen zu wollen, bedürfte es eines geschärften Blicks für die dort existierenden Strukturen.

Die noch fragilen zivilgesellschaftlichen Bewegungen müssten mit der nötigen Zurückhaltung und Diskretion unterstützt werden; dagegen könnte sich der Westen seinerseits mächtige Player wie den Fernsehsender Al-Jazira zunutze machen, über den sich eigene Positionen wirksamer verbreiten liessen als etwa durch den von den USA lancierten und weitgehend erfolglosen arabischsprachigen Kanal Al-Hurra.

Auch wenn der Autor die Formulierung solcher konkreter Ratschläge riskiert - Belehrung, Rechthaberei oder die Verkürzung der höllisch komplexen Realitäten des Nahen Ostens sind ihm fremd. Darin liegt nicht nur der Wert, sondern auch die besondere Bannkraft seiner Darstellung.

Angela Schader

© Qantara.de 2010

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

Neil MacFarquhar: The Media Relations Department of Hizbollah Wishes You a Happy Birthday. PublicAffairs, New York 2009

Qantara.de

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