Irans junge Weblog-Szene im Aufbruch

In ihrem Buch "Wir sind der Iran. Aufstand gegen die Mullahs - die junge persische Weblog–Szene" vermittelt Nasreen Alavi dem Leser einen tiefen Einblick in die vielseitigen iranischen Internet-Protestkulturen. Von Golrokh Esmaili

In ihrem Buch "Wir sind der Iran. Aufstand gegen die Mullahs - die junge persische Weblog–Szene" vermittelt Nasreen Alavi dem Leser einen tiefen Einblick in die vielseitigen iranischen Internet-Protestkulturen gegen die Mullahs. Golrokh Esmaili informiert

Notebooks in Teheran, Foto: Hossein Derakhsahn
Blogger werden in der iranischen Öffentlichkeit immer präsenter. Persisch ist inzwischen eine der am häufigsten verwendeten Sprachen im World Wide Web

​​Derzeit sorgt der Iran mit immer neuen Meldungen für negative Schlagzeilen: Antiisraelische und radikalislamistische Parolen, als auch die Diskussionen um das Atomprogramm stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit.

Was sich aber unter dem Deckmantel des fundamentalistischen Regimes abspielt, gerät außer Sichtweite. Und wer glaubt, dass der Iran ein rückständiges Land sei und die Menschen dort aus Angst vor Unterdrückung ihre politische Meinung nicht äußern, irrt sich gewaltig.

Internet als Drehscheibe der freien Meinungsäußerung

Im September 2001 löste Hossein Derakhschan eine kleine Revolution aus, indem er als einer der Ersten im Iran ein so genanntes Weblog – ein elektronisches Tagebuch – zu schreiben begann. Mit einer Aufforderung und Anleitung zum Verfassen eines eigenen Weblogs auf seiner Website ist er wohl mit dafür verantwortlich, dass mittlerweile mehr als 70.000 Iraner ein eigenes Weblog führen.

Nachdem die Reformpresse im Iran nahezu ausgeschaltet ist und die audiovisuellen Medien fest in der Hand der konservativen Regierung, haben nicht nur reformorientierte Journalisten ihren Fokus auf das World Wide Web ausgerichtet. Das Internet wurde mehr und mehr zum Forum für unzensierte Informationen und Meinungen.

Die überwiegend jungen Webautoren – etwa 70 Prozent der iranischen Bevölkerung sind unter 30 Jahre alt – schreiben und diskutieren täglich mit viel Witz, Charme und Poesie über Themen wie Musik, Kultur und Liebe.

Gleichzeitig lassen sie sich dort aber auch kritisch über politische Themen aus, wie die Situation der Frauen, Repression und Widerstand im eigenen Land. Viele Autoren nutzen ihre Blogs, um die strikte staatliche Zensur zu umgehen und ihre Arbeiten online zu veröffentlichen.

"In einer Zeit, in der unserer Gesellschaft die berechtigte, freie Meinungsäußerung versagt und eine Zeitung nach der anderen verboten wird - und Schriftsteller und Journalisten in unseren Gefängnissen zusammengepfercht werden - , ist die Blogsphäre der letzte Raum, der die Redefreiheit achten und gewähren kann." So wird z.B. der Blogger Bijan Safsari in Alavi's Buch zitiert.

Mit "Wir sind der Iran" hat die ehemalige Managerin, ein Buch veröffentlicht, in dem sie die vielschichtigen Gedanken und Meinungen der Iraner aus unzähligen Weblogs übersetzt und präsentiert. Farsi – die iranische Landessprache – ist mittlerweile die vierthäufigste Sprache, die in Internettagebüchern benutzt wird – noch vor Spanisch, Chinesisch und Deutsch.

Die klug ausgewählten Blogeinträge kommentiert Alavi, die im Iran aufgewachsen ist, mit Begleittexten – alle mit Quellenangaben versehen – über die Geschichte, Kultur und Politik des Iran.

Schreiben gegen politische Ohnmacht

Dabei werden die Widersprüche der islamischen Revolution genauso aufgegriffen, wie das "Paradox der unentgeltlichen Ausbildung". Damit beschreibt sie die Bildungspolitik des Landes, die auf der einen Seite eine unentgeltliche Ausbildung für das Volk ermöglicht, auf der anderen Seite jedoch ihnen dadurch zu einer hervorragenden Ausbildung, entsprechenden Kenntnissen über verschiedenste Medientechniken und einer Politisierung verhilft.

​​Die Regierung der Islamischen Republik reagierte auf die neusten Entwicklungen, die sich im World Wide Web abzeichneten, mit einem entsprechenden Gesetz, das schließlich im Oktober 2004 erlassen wurde.

Darin heißt es, dass jeder, der Propagandistisches gegen das Regime veröffentlicht, die nationale Sicherheit gefährdet, die öffentliche Ordnung stört und religiöse Empfindungen verletzt - und für diese Zwecke Computer oder Telekommunikation verwendet - bestraft wird.

Obwohl das Regime mittlerweile Blogger wahllos verhaften, foltern und inhaftieren lässt, bleiben Teherans Tugendwächter gegenüber dem Anwachsen der Blogger- Szene machtlos, schreibt die Autorin. Auch weiterhin äußern Dissidenten ihre Meinung.

"Ich blogge…also…bin ich!"

So schreibt z.B. ein Blogger über seine Motivation ein Blog zu führen: "Mein Blog gibt mir die Gelegenheit, mir Gehör zu verschaffen – ein kostenloses Mikrofon, dass ohne Lautsprecher auskommt…eine leere Seite (…) ich denke… ich lebe…ich blogge….also…bin ich."

Allein die Tatsache, dass Studentengruppen und Nichtregierungsorganisationen ihre Blogs zur Koordinierung ihrer Aktivitäten nutzen, ist Grund genug, an die politische Dimension von Weblogs im Iran zu glauben.

Mit ihrem Buch zeigt Alavi dem Leser eine völlig andere – bisher unbekannte – Seite des Irans auf: ein Iran das nicht den gängigen Klischees entspricht, die man aus den Medien kennt – wild skandierende Ayatollahs, schwarz verschleierte, trauernde Frauen und bewaffnete, bärtige Männer.

Im Gegenteil: Alavi analysiert eine neue junge Generation, die sich kritisch mit vielen gesellschaftspolitischen und sozialen Fragen auseinandersetzt. Ein Volk, das dieselben Bedürfnisse, Träume und Sehnsüchte derer hat, die in Freiheit leben.

Mit ihrem Buch fängt Alavi die Stimmung einer Generation ein, die lachen, tanzen, weinen und frei von Repression sein will. Der Leser erhält einen tiefgehenden Eindruck von der Lebens- und Gedankenwelt junger Iraner und ein authentisches Bild der Zivilgesellschaft.

Hat man dieses Buch gelesen, wird einem bewusst, welche entscheidende und wichtige Rolle Weblogs im anhaltenden Kampf des Irans um Meinungsfreiheit und Demokratie spielen können. Mit "Wir sind der Iran" verleiht Alavi der jüngeren Generation eine Stimme, die es vielleicht sogar schaffen könnte, sich gegen eine Regierung zu behaupten, die ihnen vor langer Zeit die Freiheit genommen hat.

Golrokh Esmaili

© Qantara.de 2006

Nasrin Alavi ist im Iran aufgewachsen, hat in London studiert und an britischen und nordamerikanischen Universitäten gelehrt. Sie gab ihre Manager-Karriere in London auf, um in Teheran für eine nichtstaatliche Initiative zu arbeiten.

Nasrin Alavi: "Wir sind der Iran. Aufstand gegen die Mullahs - die junge persische Weblog-Szene", Kiepenheuer & Witsch Verlag 2005

Qantara.de

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