"Die EU sollte mit der Hamas sprechen"

Die Europäer finanzieren im Nahostkonflikt eine Situation, die untragbar ist. Damit ist niemandem gedient. Die EU muss die Zweistaatenlösung vorantreiben - und dazu auch mit der Hamas sprechen, schreibt Mattia Toaldo in seinem Kommentar.

Von Mattia Toaldo

An wenigen anderen Orten im Nahen Osten und in Nordafrika ist Europa so wichtig wie in den Palästinensergebieten. Die EU ist der wichtigste Geldgeber der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und des UN-Hilfswerks für Palästinaflüchtlinge (UNRWA). Die EU ist mit fast 30 Milliarden Euro Handelsvolumen außerdem der wichtigste Handelspartner Israels.

Immer wieder wurde sie als "payer, not a player" geschmäht, doch die EU hat wiederholt ihre Vision für die Lösung des Konflikts auf Basis der Zweistaatenlösung dargestellt. Wichtig für eine Zweistaatenlösung ist, die Autonomiebehörde beim Aufbau von Institutionen zu unterstützen - durch Wissenstransfer und Geld. Israel auf der anderen Seite hat sich immer weiter Europa angenähert. Das Resultat war, dass der Staat EU-Regeln und Positionen mehr und mehr berücksichtigen musste. Vor allem die EU-Politik der Unterscheidung zwischen Israel und den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten.

So darf Israel als einziges nicht-europäisches Land am großen EU-Forschungsprogramm Horizont 2020 teilnehmen - aber nur unter der Bedingung, dass keine EU-Mittel an israelische akademische Einrichtungen im besetzten Westjordanland fließen. Deutschland gehörte zu den Ersten, die diese Politik umsetzten. Nur einige Forschungsprojekte außerhalb der besetzten Gebiete bekamen eine Finanzierung.

Militärs lösen einen Siedlerprotest auf; Foto: picture-alliance/landov
Religion gegen Staatsgewalt: Militärs lösen einen Siedlerprotest auf

Die Verteidigung des Status quo?

Trotz dieser Aktivitäten muss man Europa zu denen zählen, die den Status quo des Nahostkonfliktes erhalten. Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben materiell und politisch eine Situation gestützt, in der die israelische Besatzung weiter besteht, während die palästinensischen Institutionen weiter aufgebaut werden, in der Hoffnung, dass es eines fernen Tages einen palästinensischen Staat gibt: Europäische Steuerzahler haben Sozial- und Dienstleistungen finanziert, die nach dem Völkerrecht von der Besatzungsmacht hätten geleistet werden müssen. Auch die immer wiederkehrenden Auseinandersetzungen mit bewaffneten Gruppen in Gaza gehören zum Status quo.

Aber der Status quo ist fragil, aus verschiedenen Gründen. Erstens ist der Nahe Osten viel gefährlicher geworden. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu weiß sehr gut, dass er die Hamas nicht völlig besiegen kann, ohne eine Radikalisierung der Palästinenser zu riskieren. Zweitens wird die Zusammenarbeit zwischen der Autonomiebehörde und Israel in Sicherheitsfragen unter den Palästinensern immer unpopulärer. Drittens haben die vergangenen Jahre gezeigt, dass die Versuche zum Ankurbeln der Wirtschaft für die Palästinenser nur Hirngespinste sind, ohne Souveränität, Kontrolle der Grenzen und einer klaren politischen Perspektive. Zu guter Letzt reagiert die Öffentlichkeit in Europa zunehmend irritiert auf die vielen zivilen Opfer, die die Aufrechterhaltung des Status quo kostet.

Der Grenzübergang in Rafah ist meist geschlossen; Foto: DW/Tanja Krämer
Meist geschlossen: seit 2005 unterstützt die European Union Border Assistance Mission Rafah die Kontrollen am palästinensisch-ägyptischen Grenzübergang.

Was ist zu tun?

Dieser Status quo kann nicht aufrechterhalten werden. Ein Waffenstillstand als Gleichgewicht der Bedrohung wie 2012 kann nicht im Interesse Europas liegen, er würde auch nicht lange halten. Beide Seiten stellen Forderungen, die wahrscheinlich erst in späteren Verhandlungen erreicht werden können: Die Hamas will das Ende der Gaza-Blockade, Israel verlangt die Entmilitarisierung des Gazastreifens. Europa kann dazu beitragen, ein günstigeres Umfeld für die abschließenden Verhandlungen zu erreichen.

Was Israel angeht, sollte Europa seine Politik der immer stärkeren Anbindung Israels fortsetzen. Das Ziel sollte sein, die israelische Regierung zu einer Entscheidung zu zwingen: Entweder festhalten an der Besetzung der palästinensischen Gebiete, oder an einer Zweistaatenlösung arbeiten. Die Europäer sollten sich aber im Klaren darüber sein, dass wichtige israelische Entscheidungsträger der Zweistaatenlösung skeptisch bis ablehnend gegenüber stehen: Der neue Präsident Reuven Rivlin, spricht sich für eine Einstaatenlösung aus, mit einigen Rechten für seine palästinensischen Einwohner. Viele Mitglieder von Netanjahus Koalition lehnen die Gründung eines palästinensischen Staates offen ab.

Auf palästinensischer Seite brauchen wir einen politischen Prozess, der die Hamas und andere an den Rand gedrängten Strömungen einbindet in die wichtigen palästinensischen Institutionen: die Autonomiebehörde und die PLO. Die EU sollte deutlich machen, dass Frieden vorteilhafter ist als Krieg. Letztlich könnte das erfordern, das Gesprächsverbot aufzuheben und wieder mit der Hamas zu sprechen. Wie unangenehm das derzeit auch scheinen mag: Eine effektive Diplomatie braucht Kontakte zu allen Seiten.

Mattia Toaldo vom European Council on Foreign Relations
Mattia Toaldo arbeitet seit 2013 für das European Council on Foreign Relations. Der Fokus seiner Arbeit liegt vor allem auf dem Thema Israel/Palästina und europäischer Politik im mittleren Osten, sowie Nordafrika.

Innerhalb Europas kann Deutschland eine besondere Rolle spielen, denn die langjährige Unterstützung für Israel und den Aufbau der Autonomiebehörde haben Gewicht. Deutschland kann deutlich machen, dass es nicht im Interesse der Steuerzahler ist, einen nicht tragbaren Status quo zu stützen.

Es ist verständlich, dass die Bundesregierung und die EU angesichts der Konflikte in Israel und den Nachbarländern zögern. Doch die Alternative heißt für Deutschland und für Europa: hohe Kosten für einen Status quo inklusive immer wiederkehrender Horror-Bildern wie denen, die wir in den vergangenen Wochen gesehen haben.

Mattia Toaldo

© Deutsche Welle 2014

Redaktion: Michael Hartlep/Deutsche Welle

Mattia Toaldo arbeitet im Nahost und Nordafrika-Programm des European Council on Foreign Relations. Die paneuropäische Denkfabrik berät die EU in außenpolitischen Fragen.