Die beharrliche Literaturvermittlerin

Doris Kilias war die Übersetzerin des Nobelpreisträgers Nagib Mahfus. Mit ihren kongenialen Übersetzungen machte sie seine Romane einem breiten Publikum im deutschsprachigen Raum bekannt – und trug somit zu seinem Weltruhm bei. Am 1. Juni ist Doris Kilias gestorben. Eine Würdigung von Loay Mudhoon

Von Loay Mudhoon

​​"Wir wissen eigentlich gar nicht, was eine Übersetzung sey", konstatierte einst Friedrich Schlegel, deutscher Kulturphilosoph und wichtiger Vertreter der Frühromantik. Auf die deutsche Arabistin und Übersetzerin Doris Kilias traf dieser Satz jedoch nicht zu – sie wusste genau, worauf es bei einer Übersetzung ankam.

Für die begnadete Übersetzerin zahlreicher Romane des ägyptischen Literaturnobelpreisträgers Nagib Machfus war die Übersetzungstätigkeit nach eigenem Bekunden allerdings vor allem eins: harte Arbeit – das insbesondere deswegen, weil literarische Übersetzungen aus dem Arabischen nicht nur sprachliche, sondern auch genuine kulturelle Kompetenz voraussetzen.

Einmalige Chance inmitten der Krise

Es war 1967 als Doris Kilias zum ersten Mal in ein arabisches Land reiste; als post-graduierte Studentin nutzte sie die einmalige Chance, für zwei Semester an die Kairoer Universität zu gehen, obwohl die DDR-Obrigkeit sie nur unter der Bedingung ausreisen ließ, dass sie ihre Tochter Jenny, damals gerade fünf Monate alt, als eine Art "Pfand" in Ostberlin zurück lässt. ​​

Dennoch: Doris Kilias wusste, dass dies die Chance ihres Lebens war. "Ich war eine der wenigen Glücklichen, die das durften", bekannte sie später. Ihre ersten Erfahrungen am Nil hinterließen einen prägenden Eindruck: "Ich kam 1967, kurz nach dem Sechs-Tage-Krieg in Kairo an. Die Stimmung dort war niederschmetternd. Von Berlin aus war es natürlich unvorstellbar, was für eine schreckliche Atmosphäre damals vorherrschte", so Doris Kilias im Rückblick.

Der Bewusstseinschock arabischer Eliten und Kulturschaffender im Zuge des Sechs-Tage-Kriegs entfaltete jedoch so etwas wie heilsame Wirkung auf die Literatur. Zum ersten Mal widmeten sich arabische Autoren den essentiellen und existenziellen Fragen ihrer Gesellschaften: Inmitten der Krise begann man plötzlich, über sich selbst nachzudenken. Wer sind wir und was sind wir? Das arabische Denken nahm durch die Wucht der Niederlage neue, bis dahin nie gekannte selbstkritische Züge an – für die junge, angehende Arabistin war diese Zeit "eine interessante Entwicklung und für die Literatur ein fruchtbarer Impuls".

Ehrfurcht vor dem alten Meister

Obschon Doris Kilias literarische Werke anderer Autoren wie Mohamed Choukri, Gamal Al-Ghitani und jüngst auch Miral al-Tahawi ins Deutsche übersetzt hat, übte Machfus, der Großmeister der arabischen Prosa, die größte Faszination auf sie aus: "Es war sehr schön, ihm zuzuhören und ihn dabei zu beobachten, wie er mit den jungen Schriftstellern ganz geduldig über deren Texte sprach und vorsichtig Ratschläge gab", beschrieb sie ihre erste Begegnung mit Machfus im altwürdigen Café Risch in Kairo. "Ich liebe das Leben an Nagib Machfus' Seite", bekannte sie später freimutig.

Schattendasein der Übersetzer

Wie alle Übersetzer stand auch Doris Kilias im Schatten der Autoren, und die mangelnde und oft ausbleibende Anerkennung der übersetzerischen Tätigkeit brachte sie auf: "Die denken wohl, der schreibt auf Deutsch!", reagierte sie fast ungehalten, wenn Kritiker die Sprache der von ihr übersetzten Autoren gelobt hatten, ohne ihre Verdienste zu würdigen, geschweige denn, ihren Namen zu erwähnen. "Wenn sie gefragt wird, was das Schönste am Übersetzen sei, wird sie sagen: Für eine Zeitlang jemand anders zu sein", erzählt Doris Kilias' Tochter Jenny, die ihre Mutter in der "Berliner Zeitung" auf Schönste geehrt hat. Trotz ihrer Hingabe für den Beruf hat sich Doris Kilias auch ihrer Familie fürsorglich gewidmet.

Hassan Dawud – Schriftsteller und Feuilletonchef der libanesischen Zeitung "Al-Mustaqbal", den mit Frau Kilias eine berufliche Freundschaft verband – erinnerte sich in seinem Nachruf in „Al-Mustaqbal" an die schmerzhafte Phase im Leben der Übersetzerin, in der sie sich um ihren krebskranken Mann kümmerte – weswegen ihr vermutlich die Kraft fehlte, um einige ihrer Übersetzungsprojekte mit der Akribie, die sie lebenslang auszeichnete, zum gewünschten Ende zu bringen.

Erfolgreiche Vermittlung

Man muss sein Thema lieben, um etwas wirklich zu vermitteln", diesen Grundsatz des Dichters Goethe verkörperte Doris Kilias im Laufe ihrer gesamten beruflichen Laufbahn. Und Doris Kilias liebte vor allem Nagib Machfus' literarische Welten und Themen; vielleicht gelang es ihr deshalb, seine Literatur so erfolgreich zu vermitteln. Sie trug somit zu seinem Weltruhm bei.

Begnadete und beharrliche Übersetzer sind es schließlich, die (fremde) Literatur erst zur Weltliteratur machen. Die Lücke, die Doris Kilias hinterlässt, wird im hektischen ost-westlichen Übersetzungsbetrieb nicht leicht zu schließen sein.

Loay Mudhoon

© Qantara.de 2008