Auf dem Weg zur "Familienrepublik"

Auch nach fast 30jähriger autoritärer Herrschaft ist Mubaraks Macht am Nil ungebrochen. Vor dem Hintergrund der Nachfolge des alternden Präsidenten setzt das Regime nun auf eine Doppelstrategie, um die Macht im Staat zu sichern. Einzelheiten von Stephan Roll

Gamal und Husni Mubarak; Foto: AP/DW
Eine "dynastische Lösung" als Königsweg? Ein Vater-Sohn-Wechsel im Präsidentenamt ist zumindest ohne die Unterstützung der Militärspitze nicht vorstellbar, meint Stephan Roll.

​​In Ägypten sollen 2010 Parlamentswahlen und 2011 Präsidentschaftswahlen abgehalten werden. Die Spekulationen nehmen deshalb zu, wer das Land in Zukunft regieren wird, sollte der heute 81jährige Staatspräsident Husni Mubarak hierzu gesundheitlich nicht mehr in der Lage sein.

Als wahrscheinlichster Nachfolger gilt Gamal Mubarak, der 47jährige Sohn des Staatspräsidenten, der in den vergangenen Jahren durch seinen Vater in wichtige Führungspositionen innerhalb der regierenden Nationaldemokratischen Partei (NDP) gebracht wurde.

Mehr als zweifelhaft ist indes, ob eine derartige "dynastische Lösung" der Nachfolgefrage in der Bevölkerung mehrheitsfähig wäre. Deshalb hat der Führungszirkel um den Staatspräsidenten eine Doppelstrategie gewählt, um die Macht des Mubarak-Regimes zu sichern:

Zum einen wurden die Handlungsmöglichkeiten der Opposition durch verfassungsrechtliche Änderungen und Repression beschnitten. Zum anderen wurde versucht, die Loyalität des Militärs und der Wirtschaftselite gegenüber der Präsidentenfamilie zu festigen.

Verfassungsrechtliche Modifikationen

Aufgrund des willkürlichen Vorgehens der Regierung wurde das 2007 durchgeführte Verfassungsreferendum von der Opposition boykottiert. So waren die Abstimmungsvorlage mit den Stimmen der NDP durch das Parlament gebracht und der Termin des Referendums kurzfristig vorverlegt worden.

Die Beteiligung der Bevölkerung an der Abstimmung blieb offiziell mit 27 Prozent gering, wobei Beobachter auch diese Zahl als zu hoch erachteten.

In Bezug auf die Parlamentswahlen wurde die Verfassung in drei entscheidenden Punkten modifiziert: Erstens wurde jegliches politische Engagement untersagt, das sich auf einen religiösen Referenzrahmen bezieht, zweitens wurde die Grundlage geschaffen, eine Listenwahl einzuführen und drittens wurde einer Wahlkommission die Überwachung der Wahlen übertragen und damit der in Teilen unabhängigen Judikative entzogen.

Mohamed Badie; Foto: dpa
Kooptierte Opposition: Die Muslimbruderschaft ("Ikhwan al-Muslimun"), die wichtigste Oppositionsgruppe Ägyptens, wird derzeit vom konservativen Flügel unter Mohamed Badie beherrscht, der von einer offenen Auseinandersetzung mit dem Mubarak-Regime absieht.

​​Insbesondere die offiziell verbotene, aber geduldete Muslimbruderschaft, die wichtigste Oppositionsgruppe im Land, dürfte durch diese Änderungen das Nachsehen haben. Die Muslimbrüder haben der Gewalt abgeschworen und bemühen sich um politische Teilhabe innerhalb des bestehenden Systems.

Die Gründung einer eigenen Partei wurde ihnen nun auch verfassungsrechtlich unmöglich gemacht, und sollte es tatsächlich zur Einführung der Listenwahl kommen, könnten Muslimbrüder anders als bei den letzten Wahlen auch nicht als "unabhängige" Kandidaten ins Parlament einziehen.

In Bezug auf die Präsidentschaftswahlen wurden durch die komplizierte Ausgestaltung des Verfassungsartikels 76 die Voraussetzungen für eine Kandidatur stark erschwert.

Da Husni Mubarak seine Bereitschaft signalisiert hat, 2011, dann 83jährig, abermals als Kandidat der Regierungspartei anzutreten, ist davon auszugehen, dass Gamal Mubarak sich erst um das höchste Staatsamt bewerben wird, wenn sein Vater nicht mehr in der Lage ist, die Amtsgeschäfte auszuüben.

In diesem Fall müssten gemäß Verfassung innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen stattfinden – die Opposition hätte keine Zeit, einen aussichtsreichen Gegenkandidaten zu nominieren.

Unterstützung durch Militärführung und Wirtschaftselite

Der Vater-Sohn-Wechsel im Präsidentenamt ist ohne Unterstützung der Militärspitze nicht vorstellbar. Auch wenn es augenscheinlich Vorbehalte im Offizierscorps gibt, ist im Fall der Erbfolge nicht mit offenem Widerstand zu rechnen.

Geheimdienstchef Omar Suleiman soll offenbar die Unterstützung der Militärführung für Gamal Mubarak sicherstellen. Suleiman genießt im Militär und auch in Teilen der Bevölkerung hohes Ansehen und gilt als loyal gegenüber der Präsidentenfamilie.

Omar Suleiman; Foto: AP
Akteur im Dienste Mubaraks hinter den Kulissen: Geheimdienstchef Omar Suleiman soll offenbar die Unterstützung der Militärführung für Gamal Mubarak sicherstellen.

​​Das Offizierskorps wird Suleiman voraussichtlich folgen, zumal fraglich ist, ob es eine attraktive Alternative zum Vater-Sohn-Wechsel sieht. Das Militär will insbesondere seine zahlreichen materiellen Privilegien bewahren, die es vor allem aufgrund der jährlichen Militärhilfe aus den USA besitzt. Diese Leistungen scheinen auch durch eine Präsidentschaft Gamal Mubaraks nicht gefährdet, da dieser seit Jahren gute Kontakte zur US-Administration unterhält.

Auch die aufstrebende ägyptische Wirtschaftselite wird kaum Schwierigkeiten mit dem geplanten Wechsel an der Staatsspitze haben. Weil sich Gamal Mubarak innerhalb der NDP für die Wirtschaftsreformen der vergangenen Jahre nachdrücklich einsetzte, konnte diese Elite übermäßig profitieren und unterstützte im Gegenzug Gamal Mubaraks politischen Aufstieg.

Heute dominieren wenige Unternehmerfamilien wichtige Bereiche des privaten Sektors und nehmen zumeist im Sinne der Präsidentenfamilie Einfluss auf die Politik: direkt, indem sie Regierungsämter oder Führungsämter in der NDP übernehmen; indirekt durch Beziehungen zu politischen Entscheidungsträgern oder indem sie Printmedien und Fernsehsender betreiben.

Zahnlose Opposition

Die Opposition hat der Strategie des Regimes kaum etwas entgegenzusetzen. Nicht nur, dass sie ständigen Repressionen des Regimes, insbesondere in Form willkürlicher Verhaftungen, ausgesetzt ist, sie ist zudem zersplittert und durch Streitigkeiten in den einzelnen Parteien und Bewegungen gelähmt.

Mit dem Bündnis "Gegen die Erbfolge" versuchen bislang vergeblich insbesondere Teile der säkularen Opposition an die öffentliche Aufmerksamkeit anzuknüpfen, die die Oppositionsbewegung "Kifaya!" ("Genug!") zwischen 2004 und 2006 erreicht hatte.

Aus oppositionellen Kreisen ertönt in letzter Zeit auch der Ruf nach einem überparteilichen Präsidentschaftskandidaten. Zwei prominente Namen werden hierbei genannt: Mohammed al-Baradei, ehemaliger Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde, und Amr Moussa, Generalsekretär der Arabischen Liga und ehemaliger ägyptischer Außenminister.

​​Beide hätten allerdings aufgrund der restriktiven Regelungen des Verfassungsartikels 76 keine Aussichten, als Kandidaten zugelassen zu werden. Innerhalb der Muslimbruderschaft wiederum kam es in den vergangenen Monaten zu Auseinandersetzungen über die politische Ausrichtung, wobei sich der konservative, eher apolitische Flügel durchsetzen konnte.

Diesem ist auch der neu gewählte Führer (Murshid) der Organisation, Mohamed Badie, zuzurechnen Die zumeist jüngeren Vertreter des städtischen, liberaleren Flügels, die eine stärkere politische Ausrichtung und mehr Zusammenarbeit mit anderen oppositionellen Gruppen und Parteien fordern, werden es künftig noch schwerer haben, innerhalb der Bruderschaft Gehör zu finden.

Stagnation statt Wandel

Das Fortbestehen des Mubarak-Regimes würde nicht nur ein autoritäres Herrschaftssystem fortschreiben Auch die sozioökonomische Entwicklung des Landes, die in der fast dreißigjährigen Amtszeit Husni Mubaraks sehr zu wünschen übrig ließ, würde voraussichtlich weiter stagnieren.

Bei den 1991 eingeleiteten Wirtschaftsreformen wurden die größten Entwicklungshemmnisse wie Korruption und eine unzureichende Wettbewerbsordnung systematisch ausgeklammert. Mehr noch: Weite Teile der Bevölkerung wurden vom ohnehin langsamen wirtschaftlichen Fortschritt ausgeschlossen.

Dadurch haben sich die sozialen Spannungen im Land verschärft. Sie werden sich auch weiter zuspitzen, insbesondere angesichts des starken Bevölkerungswachstums und der fortschreitenden Umweltzerstörung.

Deutschland und die EU sind an politischer Stabilität in Ägypten, dem bevölkerungsreichsten südliche Mittelmeeranrainerland interessiert. Langfristige Stabilität setzt aber nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und Verteilungsgerechtigkeit voraus.

Beides ist in Ägypten ohne politische Gewaltenteilung und -kontrolle nicht vorstellbar. Daher sollte auf eine Öffnung des politischen Systems gedrungen werden. Für die Wahlen bedeutet dies, größtmögliche Transparenz und dafür die Zulassung von Wahlbeobachtern zu fordern – und zwar nicht erst unmittelbar vor dem jeweiligen Urnengang.

Vor allem aber ist eine Lockerung der restriktiven Wahlordnung anzumahnen. In diesem Zusammenhang sollten Deutschland und die EU nachdrücklich einfordern, dass die Muslimbruderschaft die Möglichkeit erhält, sich am politischen Prozess zu beteiligen. Ohne sie wird politische Teilhabe in Ägypten nicht ausgeweitet werden können.

Stephan Roll

© Qantara.de 2010

Stephan Roll ist Forschungsstipendiat bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin mit dem Forschungsschwerpunkt Ägypten.

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