Ägyptens Meinungsfreiheit weiterhin auf dem Tiefpunkt

Trotz der jüngsten Freilassung des prominenten ägyptischen Bloggers Alaa Abdel-Fattah steht es um die Meinungs- und Pressefreheit im Land am Nil denkbar schlecht, wie der ägyptische Filmemacher und Aktivist Omar Hamilton im Gespräch mit Sella Oneko berichtet.

Von Sella Oneko

Welche Bedeutung hat Ihrer Meinung nach und der anderer Journalisten sowie Aktivisten die Freilassung von Alaa Abdel-Fattah?

Omar Hamilton: Natürlich ist das erstmal eine sehr gute Nachricht, aber die Leute sind deswegen sicher nicht allzu enthusiastisch. Vielleicht kann man von einer gewissen Atempause sprechen. Die Vorwürfe gegen ihn werden ja aufrechterhalten und der Prozess dauert an. Der Richter hat sich aus dem Verfahren zurückgezogen. Warum wissen wir auch nicht genau. Bis alle Anklagepunkte fallen gelassen werden und bis das rigide Demonstrationsgesetz annulliert ist, gibt sich wohl niemand in Ägypten der Illusion hin, dass das Land bereits auf bestem Weg zum Rechtsstaat ist.

Alaa Abdel-Fattah (l.) und Mohamed el-Shahed in einem Gefängniskäfig in einem Gerichtssaal in Kairo; Foto: Getty Images/AFP
Im Gefängnis: Alaa Abdel-Fattah (l.) ist am 6. August 2014 mit anderen Gefangenen auf dem Weg zum Gericht. Er und 24 weitere Aktivisten werden beschuldigt, illegale Proteste organisiert und abgehalten zu haben. Außerdem wird Ihnen vorgeworfen während einer Demonstration im November 2013 einen Polizisten angegriffen zu haben. Grund dafür soll das harte militärische Vorgehen gegen Zivilisten gewesen sein.

Welche Botschaft wollen Justiz und Regierung mit der Freilassung vermitteln?

Hamilton: Es ist sehr schwierig, sich in ihre Gedanken hineinzuversetzen. Auch Alaas Schwester, Sanaa, befindet sich seit dem 21. Juni in Haft, ebenfalls wegen ihrer Teilnahme an einer Demonstration. Seit 20 Tagen befindet sie sich im Hungerstreik; ihr nächster Gerichtstermin wurde für den 11. Oktober 2014 festgesetzt.

Drei Tage später zog sich der Richter auch in diesem Fall aus dem Prozess zurück. Möglicherweise versucht der Staat, mit der einen Hand zu geben und mit der anderen wieder etwas zu nehmen. Es könnte eine ganze Reihe von Gründen hierfür geben – dass ein strengerer Richter eingesetzt werden soll, oder dass es ihnen selber peinlich war, als die Anklage ein privates Video von Alaas Ehefrau zeigte, welches beschlagnahmt wurde, als deren Haus ohne rechtliche Basis mitten in der Nacht durchsucht wurde. Diese Geschichte hatte weltweit für Schlagzeilen gesorgt.

Hat denn die Haltung der Regierung gegenüber ihren Kritikern Ihre berufliche Tätigkeit als Journalist beeinflusst?

Hamilton: Es hat alles noch sehr viel schwieriger gemacht. Der Autoritarismus ist derzeit auf einem Höhepunkt - ein trauriger Höhepunkt, der noch nicht einmal unter Mubarak erreicht worden war. Es gibt massive Versuche, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen - so etwa an den Universitäten, innerhalb der Medien, der NGOs oder der Menschenrechtsorganisationen. Es handelt sich dabei um ein rigides und systematisches Vorgehen. Diese Personene wissen sehr genau, in welchen Kreisen die Revolution ihren Anfang nahm und welche Netzwerke sie am Leben erhielt. All dies soll nun Stück für Stück ausgeschaltet werden. Das macht unsere Arbeit im Moment sehr schwierig. Man kann eigentlich für alles verhaftet werden: dafür, irgendwo Aufkleber anzubringen oder auch dafür, den Brief eines Gefangenen in seiner Tasche zu tragen.

Die Mutter Abdel-Fattahs, Laila Soueif (l.), gemeinsam mit dem Anwalt Khaled Ali; Foto: picture-alliance/AP/Ravy Shaker
Große Erleichterung: Im Kairoer Gerichtssaal am 15. September 2014, unmittelbar nach der Freilassung auf Kaution, ist die Freude bei der Mutter Abdel-Fattahs, Laila Soueif und seinem Anwalt Khaled Ali groß. Anstelle der ursprünglichen 15 Jahre darf der prominenteste Blogger Ägyptens nun das Gefängnis verlassen, berichteten Angehörige der Familie.

Wurden auch Sie schon mal unter der neuen Regierung inhaftiert?

Hamilton: Nein. Ich wurde einmal für kurze Zeit festgesetzt und bei einer Demonstration hat man Teile meiner Ausrüstung beschlagnahmt.

Der ägyptische Präsident Abdul Fattah al-Sisi ist nun seit über 100 Tagen im Amt. Welche Note würden Sie ihm auf einer Skala von 1 bis 10 geben für seinen Einsatz für die Meinungsfreiheit?

Hamilton: Null. Das Erste, was die Regierung unternommen hat, nachdem sie an die Macht gekommen ist, war, alle unliebsamen Fernsehstationen abzuschalten und dann sukzessive alle anderen noch verbleibenden Kanäle der Dissidenz zu schließen. Außerdem verdichten sich hier die Meldungen, dass ein elektronisches System entwickelt werden soll, mit dem das Umgangsarabisch in den sozialen Netzwerken durchforstet werden soll. Auch wurden alle bislang unabhängigen Satellitenkanäle auf Staatslinie gebracht. Es gibt 25 Menschen, die die Medien kontrollieren und wenn man es schafft, diese Leute auf seine Seite zu bringen, sind alle Probleme für die Regierung gelöst. Die unabhängigen Zeitungen, die es noch wagen, kritisch über die Regierung zu berichten, kennen die roten Linien, die von den Redakteuren keinesfalls überschritten werden dürfen. Alles in allem ist die Meinungsfreiheit also auf ihrem absoluten Tiefpunkt angelangt.

Welche Schritte müssten Ihrer Ansicht nach sofort eingeleitet werden, um der Meinungs- und Pressefreiheit wieder zu ihrem Recht zu verhelfen?

Hamilton: Ganz einfach, die Regierung müsste nur damit aufhören, das zu tun, was sie im Moment tut. Das mediale Umfeld, das nach dem Sturz Mubaraks existierte, war ja relativ lebendig, die unabhängigen Medien trauten sich noch frei ihre Meinung zu sagen. Die Regierenden müssten eigentlich gar nichts tun,  um die Meinungsfreiheit zu garantieren. Sie müssten nur damit aufhören, sie immer weiter auszuhöhlen.

Omar Robert Hamilton ist ein ägyptischer Filmemacher und schreibt für ägyptische wie für internationaler Zeitungen wie "The Guardian". Er gehört zu den Gründern des ägyptischen Aktivisten-Medienkollektivs "Mosireen".

Das Interview führte Sella Oneko.

© Qantara.de/Deutsche Welle 2014

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol