"Wir schaffen das nicht allein"

Im September 2003 wurde Nabila Espanioly zusammen mit Dr. Reuven Moskovitz der diesjährige Aachener Friedenspreis verliehen. Martina Sabra portraitiert die palästinensische Friedens- und Menschenrechtsaktivistin aus Israel.

Im September 2003 wurde Nabila Espanioly zusammen mit Dr. Reuven Moskovitz der diesjährige Aachener Friedenspreis verliehen. Martina Sabra portraitiert die palästinensische Friedens- und Menschenrechtsaktivistin aus Israel

​​"Wenn es juckt, musst Du selber kratzen" – dieses arabische Sprichwort ist das Lebensmotto von Nabila Espanioly. Nicht in der Opferrolle verharren, sondern aktiv zupacken, die Realität aus eigener Kraft zum Besseren verändern; das fordert sie von sich als Mensch, als palästinensische Bürgerin in Israel und als Frau in der arabischen Gesellschaft. Seit über drei Jahrzehnten setzt die Diplompsychologin sich deshalb energisch für die Bürgerrechte der palästinensischen Minderheit in Israel ein, für Frieden zwischen Israel und Palästina auf der Basis einer Zweistaatenlösung, und für die Gleichberechtigung der Frauen. Für ihre Bemühungen um Menschenrechte und Frieden im Nahen Osten wurde Nabila Espanioly in diesem Jahr zusammen mit dem jüdisch-israelischen Friedensaktivisten und Historiker Reuven Moskowitz der internationale Aachener Friedenspreis verliehen.

Nach der Verleihung Anfang September war sie auf Einladung des Arbeitskreises Israel-Palästina in Bonn zu Gast. Zweieinhalb Stunden berichtete sie dort über den Nahostkonflikt, und die meisten hätten ihr gern noch länger zugehört: denn der Humor, den Nabila Espanioly sich trotz ihres langjährigen, oft nervenzerrenden Engagements für eine gerechte Lösung zwischen Israelis und Palästinensern bewahrt hat, ist einfach mitreißend. Aber auch der Zorn treibt sie an. "Was mich bewegt ist meine Wut. Ich bin oft wütend." Sie sei mit dem Respekt vor den Menschenrechten aufgewachsen. "Meine Eltern und meine Lehrer, wie der Dichter Tawfiq Zayyad haben mir diese Werte vermittelt. Und last not least meine christliche Erziehung," erklärt sie.

Zweites palästinensisch-israelisches Duo

Mit Nabila Espanioly und Reuven Moskowitz wurde in diesem Jahr in Deutschland schon zum zweiten Mal ein palästinensisch-israelisches Duo mit einem medienwirksamen Friedenspreis ausgezeichnet: im Juni erhielten der weltbekannte palästinensische Dichter Machmud Darwisch und der jüdisch-israelische Psychoanalytiker Dan Bar-On den Erich-Maria-Remarque-Preis der Stadt Osnabrück. Wie fühlt es sich an, als Palästinenserin in Deutschland für Friedensarbeit ausgezeichnet zu werden, während die Situation der eigenen Landsleute in den israelisch besetzten Gebieten immer aussichtsloser wird, und die deutsche Regierung wenig für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser und einen lebensfähigen palästinensischen Staat tut? Nabila Espanioly lächelt. "Die Aachener Friedensiniative, die den Friedenspreis vergibt, gehört zu einer noch kleinen Gruppe von Menschen in Deutschland, die versuchen, auch die Stimmen der anderen hörbar zu machen. Deshalb finde ich es völlig in Ordnung diesen Preis zu bekommen." Sie empfinde den Preis keineswegs als Alibi. "Aber ich finde die Ehrung für mich allein viel zu groß, und ich habe sie deshalb auch gleich weitergegeben, an eine Reihe Frauen und Männer, die für ähnliche Ziele kämpfen wie ich. Und ich will den Preis nutzen, um die Stimmen derer hörbar zu machen, die man zum Schweigen bringen will: die Palästinenser in Israel, die Friedensbewegung in Israel, die Frauen, die Kinder, die leidenden Palästinenser, die vernünftigen jüdischen Israelis; alle, die wegen der Besatzung Zorn oder Angst empfinden. Ihnen will ich eine Stimme geben."Benachteiligung der palästinensischen Bevölkerung

Die weitverzweigte Sippe der Espaniolys existiert seit Jahrhunderten in Nazareth, und hat einem ganzen Stadtviertel den Namen gegeben. "Hay Spanioly", das "spanische Viertel" bildet einen Teil der malerischen Altstadt von Nazareth. Nabila wurde 1955 geboren, als siebtes Kind einer Familie mit acht Töchtern und zwei Söhnen. Zu jener Zeit stand Galiläa noch unter Militärverwaltung. Um von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt zu gelangen, brauchten die Bewohner der palästinensischen Gebiete schriftliche Genehmigungen der israelischen Armee, die nur bei politischem goodwill erteilt wurden. Das palästinensische Land, einst Lebensgrundlage, wurde vom israelischen Staat nach und nach fast vollständig enteignet. Viele Palästinenser, vor allem die Menschen der älteren Generation, fühlten sich hilflos, und versuchten, sich zu arrangieren.

1966 wurde die Militärverwaltung in Galiläa aufgehoben. Doch die palästinensische Minderheit, die im offiziellen israelischen Sprachgebrauch "israelische Araber" hieß, wurde weiterhin auf vielfache Weise benachteiligt: bei der Vergabe kommunaler Entwicklungsgelder, in der Bildung, im Berufsleben. Die zweite Generation, zu der auch Nabila gehörte, wollte sich damit nicht abfinden. "Bei mir machte es klick, als ich mich in Haifa zum Studium der Sozialarbeit einschreiben wollte. Ich wurde abgelehnt. Als ich meine Schwester fragte, sagte sie zu mir: Nabila, ist Dir nicht klar, dass Du um alles kämpfen musst?" Nabila beschloß, sich zu wehren, und bekam schließlich ihren Studienplatz, und später sogar eine Stelle als Sozialarbeiterin im öffentlichen Dienst. Doch wegen ihres Eintretens für die Rechte der Palästinenser bekam sie bald Probleme. "Dreimal habe ich meine Stelle verloren, und ich bin sicher, der israelische Inlandsgeheimdienst hatte seine Finger im Spiel", sagt sie. Anfang der achtziger Jahre ging Nabila Espanioly zum Studium nach Deutschland.

"Man muss erst mal selbst existieren"

1987 kehrte sie zurück und gründete in Nazareth ein Zentrum für Frauen und Kinder, "At-Tufula". Ziel war unter anderem, die frühkindliche Erziehung in den palästinensischen Gebieten Israels zu verbessern. Eine Hauptaufgabe des Zentrums, das heute von der Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt wird, sieht Nabila Espanioly darin, Kinder Al-Tufula Center
POB 2404
Nazareth
16000 Israel
Tel/Fax +972 6 656 6386
e-mail: altufula@rannet.com bei der Entwicklung ihrer persönlichen und kulturellen Identität zu unterstützen. "Wir entwickeln Kinderbücher und Schulmaterial, die den Kindern erlauben, ihre palästinensische Identität wahrzunehmen und zu reflektieren. Denn wenn man mit dem anderen, dem jüdischen Israeli koexistieren will, muss man erst mal selbst existieren." Nabila Espanioly ist auch Mitbegründerin der in Haifa ansässigen palästinensisch-israelischen Organisation "mosawa" (Gleichberechtigung). Mosawa setzt sich für die Bürgerrechte der Palästinenser in Israel ein, die heute mit 1,2 Millionen Menschen etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung des jüdischen Staats ausmachen und sich immer noch weitgehend als Bürger zweiter Klasse fühlen. "Die palästinensischen Städte und Dörfer sind im Durchschnitt weit weniger entwickelt, obwohl wir Steuern zahlen wie alle anderen," sagt Nabila Espanioly. "Es gibt ganze Dörfer, die die israelische Regierung für illegal erklärt hat. Sie haben keinen Strom, kein Wasser, keine sozialen Dienste." Palästinensische Eltern, so Espanioly, bekämen in Israel weniger Kindergeld, obwohl sie dieselben Sozialabgaben zahlten, die palästinensischen Schulen seien weit schlechter ausgestattet, und der Zugang zur Universität sei für Palästinenser sehr schwierig. "Mosawa" kämpft auch gegen ein neues israelisches Gesetz, demzufolge Palästinenser aus der West Bank und Gaza nicht mehr eingebürgert werden, wenn sie Palästinenser aus Israel heiraten: "Das heißt, dass die Ehepaare nicht mehr in Israel zusammenleben können, sondern in die besetzten Gebiete oder ins Ausland ziehen müssen. Davon sind 21.000 Einzelpersonen betroffen, das heißt rund 100.000 Menschen, wenn man die Familien einrechnet!"Nabila Espanioly fordert die Anerkennung der Palästinenser in Israel als nationale Minderheit. "Ich bin keine israelische Araberin, sondern Palästinenserin," sagt sie. "Aber die reaktionären Kräfte in Israel weigern sich, von Palästinensern zu sprechen. Denn das hieße, einzugestehen, dass dieses Land einmal Palästina war, und dass auch Nichtjuden ein Recht haben, hier gleichberechtigt zu leben." Israel müsse anerkennen, dass die Vertreibung von 750.000 Palästinensern und die Zerstörung fast sämtlicher palästinensischer Dörfer und Städte 1948 ein historisches Unrecht gewesen sei und die Verantwortung übernehmen. "Ohne diese Anerkennung können wir nicht in die Zukunft schauen," sagt Nabila Espanioly. Ihre persönliche Zukunft sieht sie jedoch in Nazareth, wo sie eine Wohnung gekauft hat. "Wenn es einen palästinensischen Staat geben wird, würde ich gern einen palästinensischen Pass haben. Aber ich würde Nazareth nicht verlassen. Ich will in Israel leben, aber als gleichberechtigte Bürgerin."

Einmischung von USA und Europa gefordert

Seit den achtziger Jahren engagiert sich Nabila Espanioly nicht nur als Palästinenserin, sondern auch in feministischen Zusammenhängen. "Wir Palästinenserinnen in Israel sind dreifach diskriminiert," sagt sie, "als Angehörige der palästinensischen Minderheit, als Frauen in der israelischen Gesellschaft und als Frauen in der konservativen palästinensischen Gesellschaft." Heute kämpft sie zusammen mit jüdischen Israelinnen und Palästinenserinnen gegen Gewalt gegen Frauen und für mehr Rechte am Arbeitsplatz. Zusammen mit den internationalen "Frauen in Schwarz" und der israelisch-palästinensischen "Frauenkoalition für Frieden" koordiniert Nabila Espanioly Aktionen gegen die israelische Besetzung des Westjordanlands und des Gazastreifens und Hilfstransporte für die Menschen in den abgeschnittenen Gebieten. "Der Terror von Hamas und Jihad gegen Zivilisten ist schrecklich, und ich bin absolut gegen diese Anschläge. Aber Sie müssen sehen, dass auch Israel Terror ausübt. Ariel Scharon glaubt immer noch, dass er den Wunsch der Palästinenser nach Selbstbestimmung mit militärischen Mitteln liquidieren kann. Hamas und Jihad spielen ihm dabei in die Hände." Nabila Espanioly sieht nur eine Lösung: zwei unabhängige Staaten Israel und Palästina. Und sie fordert, dass die USA und Europa sich aktiver einmischen als bisher: "Wir schaffen das nicht allein. Wir brauchen Druck von außen." Auch von Deutschland, betont sie. Selbstbestimmung zu verweigern.

Martina Sabra

© 2003, Qantara.de

Aachener Friedenspreis
www.aachener-friedenspreis.de

Frauen in Schwarz/Women in Black
www.frauen-in-schwarz.de

Deutsch-Palästinensischer Frauenverein:
www.dpfv.org

Verein Mosawa (für Bürgerrechte der Palästinenser in Israel)
Mosawa@rannet.com

Verein Adala (für Menschenrechte in Israel)
www.adalah.org

Allgemeine Informationen über Friedensgruppen in Israel
www.boell.org.il