Jenseits der alten Heimat

Noch immer werden rund 90 Prozent der muslimischen Migranten in ihren Herkunftsländern beigesetzt. Doch mittlerweile richten sich vermehrt Länder und Kommunen auch nach den religiösen Bedürfnissen ihrer muslimischen Bürger und richten Grabfelder für islamische Bestattungen ein. Von Canan Topçu

Von Canan Topçu

Ihr Tod kam nicht unerwartet. Auf den Abschied konnten sich der Ehemann und die erwachsenen Kinder im Verlauf ihrer Krankheit lange vorbereiten. Und in dieser Zeit hätten die Söhne und Töchter mit der Mutter auch über ihren Wunsch nach der letzten Ruhestätte sprechen können: Sollte sie in Marokko, ihrer Heimat, bestattet werden oder doch hier im Geburtsland ihrer Kinder?

Doch diese Fragen tauchten in den Gesprächen mit der Sterbenskranken nie auf. Nicht deshalb, weil es die Familienangehörigen als unangenehm empfunden hätten, sie danach zu fragen. "Uns kam es überhaupt nicht in den Sinn", stellt Abdassamad El Yazidi rückblickend fest.

El Yazidis Mutter starb 2002 in einem deutschen Krankenhaus. Beigesetzt wurde die 55-Jährige schließlich in ihrer "geliebten Heimat". Das sei auch ohne Aussprache völlig klar gewesen, sagt der heute 37jährige Sohn. Seine Mutter wollte ihr Grab in keinem anderen Ort als in dem marokkanischen Küstenstädtchen Kebdana – dort also, wo sie zur Welt gekommen war und aufwuchs, dort, wo sie sich geborgen und wohl gefühlt hatte.

Nach mehr als einem Jahrzehnt sieht Abdassamad El Yazidi die Situation nun anders. Er beschäftigt sich, im Gegensatz zu seinen Eltern, intensiv mit den Fragen rund um Beisetzungsort und islamische Bestattungsrituale. Und das nicht nur aus persönlichen Gründen, sondern auch aufgrund seiner ehrenamtlichen Tätigkeit. Denn El Yazidi ist Vorsitzender des Deutsch-Islamischen-Vereinsverbands (DIV), dem 25 Moscheegemeinden aus dem Rhein-Main-Gebiet angehören.

Muslimische Grabfelder auf einem Friedhof in Hessen; Foto: Canan Topçu
Nach dem Tod zurück in die alte Heimat? Inzwischen entscheiden sich immer mehr jüngere Muslime dafür, ihre verstorbenen Familienangehörigen in Deutschland islamisch bestatten zu lassen, auch wenn es noch zahlreiche Probleme hinsichtlich der Bestattungsgesetze und der Friedhofsatzungen gibt.

Als Vorstandsmitglied bekommt er immer öfter mit, dass es unter den Muslimen Gesprächsbedarf über islamische Bestattungen in Deutschland gibt. Früher hätten sich Menschen aus den Anwerbeländern damit kaum befasst– genau wie seine Familie. Es sei für alle selbstverständlich gewesen, dass die Toten in der Heimaterde ruhen sollen.

Bestattungen ohne lange Wege

Inzwischen wachsen die Nachkommen der Arbeitsmigranten in dritter oder gar vierter Generation auf, und der Gedanke, dass sich die Gräber der Verstorbenen, der Großeltern oder Eltern, womöglich an einem fernen Ort befinden könnten, lässt sie nicht kalt.

Die Realität sieht inzwischen so aus: Der Besuch am Grab, das Gebet an hohen islamischen Feiertagen für die Seele der Verstorbenen – ein für fromme Muslime unverzichtbares Ritual – wird nahezu unmöglich, denn die Heimat der Angehörigen ist, wenn überhaupt, nur noch ein Urlaubsland.

"Die Imame und Moscheevorstände müssen also auf Fragen der Gemeindemitglieder vorbereitet sein, sie müssen zeitgemäße Antworten geben können", meint El Yezidi. Daher hat er sich selbst informiert und plant nunmehr eine Gesprächsrunde für Prediger und Vorstände der im DIV vereinten Moscheegemeinden.

Den religiösen Bedürfnissen muslimischer Bürger kommen mittlerweile immer mehr Bundesländer und Kommunen entgegen und richten Grabfelder für islamische Bestattungen ein. Doch die Regeln für islamische Bestattungen werden mal mehr, mal weniger korrekt umgesetzt, da sich die Bestattungsgesetze und die Friedhofsatzungen zu sehr voneinander unterscheiden. In Hessen können seit kurzem die Toten auch ohne Sarg beigesetzt werden – also nur im Leichentuch, wie es dem islamischen Gebot entspricht.

In Hamburg ist das bereits seit 1997, in Schleswig-Holstein seit 2005 und in Niedersachsen seit 2006 möglich. Nordrhein-Westfalen überließ es bislang den Friedhofsverwaltungen, über die Sargpflicht zu entscheiden. Jetzt ist das Bundesland einen Schritt weiter gegangen: Das Kabinett verabschiedete vor kurzem ein Gesetz, das demnächst in den Landtag eingebracht wird und Anfang 2014 in Kraft treten soll.

Demnach soll es den Kommunen ermöglicht werden, "gemeinnützigen Religionsgemeinschaften oder religiösen Vereinen die Errichtung und den Betrieb eines Friedhofes" zu übertragen. "Ich gehe davon aus, dass sich immer mehr Muslime in Deutschland bestatten lassen möchten, damit sich die Grabstätten in der Nähe ihrer hier lebenden Kinder und Enkel befinden", erklärte die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens.

Reservierte Gräber für Muslime

Die Stadt Frankfurt am Main hat auf die Nachfrage von muslimischen Gemeinden schon Mitte der 1990er Jahre reagiert. Seitdem gibt es auf dem Parkfriedhof Heiligenstock einen Bereich, der allein für Gräber von Muslimen reserviert ist. Dieses Flurstück ist durch Bäume und hohe Hecken sichtbar vom anderen Teil des Friedhofs abgetrennt – wie in anderen Kommunen auch.

Eine Bestattung im Leichentuch hat es nach der Aufhebung der Sargpflicht auf dem Parkfriedhof aber noch nicht gegeben, obwohl es dort seit vergangenem März einige Muslime bestattet wurden. Dies hatte "technische und organisatorische Gründe", wie die Kommune mitteilte. "Wir haben noch keine Lösung dafür gefunden, die Bestattung im Leichentuch so umzusetzen, dass sie pietätvoll ist und zugleich den Vorschriften entspricht", erklärte Harald Hildmann von der Frankfurter Friedhofsverwaltung.

Muslimisches Grab auf einem Friedhof in Hessen; Foto: Canan Topçu
Angekommen in der neuen Heimat: Viele Gräber von Muslimen sind – abweichend von der Tradition der islamischen Herkunftsländer – mit Engeln und Blumen geschmückt sowie von Pflanzen umrahmt.

Das Einbetten des Leichnams im Tuch erweist sich nämlich aufgrund der Enge und der Tiefe des Grabes als schwierig. In Hessen beispielsweise müssen die Särge mit mindestens einem Meter Erde bedeckt werden, so dass die Gräber etwa 1,75 Meter tief ausgehoben werden müssen.

Die "technischen und organisatorischen Probleme" will die Kommune nach Bekunden von Hildmann nicht im Alleingang, sondern mit den Betroffenen gemeinsam lösen. Daher sei ein "Runder Tisch" mit Vertretern aus den Moscheegemeinden geplant.

Noch werden nach Schätzungen der Moscheeverbände rund 90 Prozent der muslimischen Migranten im Herkunftsland beigesetzt. Es gibt Sterbeversicherungen, die beispielsweise in den Moscheevereinen abgeschlossen werden und die dann die Kosten für Überführung, Bestattung und Flüge der Angehörigen übernehmen – nicht aber die Ausgaben für eine Beisetzung in Deutschland.

Nach Auskunft von Erdoğan Tur, Inhaber einer auf muslimische Bestattungen spezialisierten Pietät aus Rüsselsheim, fallen hierzulande für Bestattung und Grabgebühren 4.000 Euro und mehr an. Die Kosten für eine Überführung in die Türkei, wo keine Grabgebühren verlangt werden, betragen hingegen lediglich rund 2.000 Euro.

In alle Ewigkeit

Neben emotionalen und finanziellen Gründen spielt bei der Entscheidung für die Bestattung im Herkunftsland vor allem die Ruhefrist eine Rolle. In Deutschland liegt sie je nach Bundesland und Kommune zwischen 20 und 25 Jahren und kann nur bei Wahlgräbern verlängert werden. Das islamische Bestattungsritual sieht jedoch das ewige Ruherecht vor – wie auch die Beisetzung im Leichentuch und die seitlich liegende Position des Verstorbenen mit dem Gesicht gen Mekka.

Probleme bereitet den Muslimen bei Bestattungen hierzulande, dass das Gebot, Tote innerhalb eines Tages zu beerdigen, nicht umgesetzt werden kann – und das nicht allein aus verwaltungstechnischen Gründen, sondern auch wegen der gesetzlich festgelegten Frist, wonach zwischen Ableben und Beisetzung mindestens 48 Stunden verstrichen sein müssen.

Auch wenn die Bestattung von Angehörigen eingewanderter Muslime nach Deutschland noch nicht selbstverständlich ist: Wie sehr diese Bevölkerungsgruppe hier heimisch geworden ist, macht sich gerade auch in der Grabgestaltung bemerkbar. Charakteristisch für Grabsteine in den islamischen Friedhofsbereichen sind Koransuren und orientalische Ornamente. Viele Gräber von Muslimen sind aber auch – abweichend von der Tradition der islamischen Herkunftsländer – mit Engeln und Blumen geschmückt sowie von Pflanzen umrahmt.

El Yezidi meint, dass eine Ortsbesichtigung helfen könnte, den Muslimen die Hemmschwelle vor einem Friedhof in Deutschland zu nehmen. Solch eine Führung möchte er auch für die Geistlichen und die Vereinsvorstände organisieren.

Und vielleicht hilft auch ihm der Gang zum Grabfeld für muslimische Bestattungen, eine Entscheidung zu treffen. Denn der Sohn von Arbeitsmigranten aus einer hessischen Kleinstadt fühlt sich nach eigenem Bekunden hier zuhause. Inzwischen ist er selber Vater geworden. Auf die Frage, wo sich denn seine letzte Ruhestätte befinden soll, hat er jedoch auch noch keine eindeutige Antwort gefunden.

Canan Topçu

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de