Ordnung und religiöse Harmonie

Mit sanfter und mitunter mit harter Hand bemüht sich Singapur um Harmonie zwischen den verschiedenen religiösen Gemeinschaften. Das gilt auch für das islamische Viertel, das in vielerlei Hinsicht für Singapur recht untypisch ist.

Manfred Rist informiert

Muslimische Frauen besuchen einen Basar in Singapur während des Fastenmonats Ramadan, Foto: AP
Im Gegensätz zu anderen südasiatischen Städten, wie Kuala Lumpur, ist das Kopftuch in Singapurs islamischem Viertel nur sporadisch anzutreffen

​​Auf die Frage, weshalb in seinem Lokal an der Wand Bilder von Terroristen wie Scheich Ahmad Yassin hängen, reagiert der Besitzer des eleganten Restaurants "Samar" gelassen und mit einem überlegenen Lächeln. Er verweist auf den orientalischen Wandschmuck, die unzähligen Wasserpfeifen und die Konterfeis der Präsidenten Arafat und Nasser.

Ein Blick auf die Speisekarte, wo neben ein paar westlichen Gerichten vorab Spezialitäten aus Jemen angeboten werden, räumt letzte Zweifel über die politische Gesinnung in Singapurs Baghdad Street aus: "Free Palestine", steht da unübersehbar in grossen Lettern geschrieben.

Malaien und Araber

Die Aufmachung des Restaurants, das sich im Herzen des arabischen Viertels befindet und sich auch durch feinstes Lamm auszeichnet, würde in anderen Städten der Region wohl kaum besonders auffallen.

Für Singapur indessen, wo die freie Meinungsäußerung eingeschränkt ist und das Verhältnis zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen von der Regierung besonders aufmerksam kontrolliert wird, erregt das "Samar" Aufmerksamkeit. Der Besitzer, hauptberuflich ein Anwalt, hat denn auch schon diverse Besuche von neugierigen Staatsbeamten erhalten.

Das islamische Viertel entlang der Arab Street, wo sich im 19. Jahrhundert die Händler aus "Westasien" angesiedelt hatten, ist in vielerlei Hinsicht für Singapur recht untypisch. Hier prägen nicht Einkaufstempel, sondern zweistöckige Shop-Houses und die riesige Sultan-Moschee das Bild.

Die Malaien und die Araber, die sonst nur etwa 15 Prozent der Bevölkerung im Stadtstaat stellen, sind klar in der Mehrheit. Und die Stimmung, wie sie im alten Singapur herrschte, als das Land noch zur Dritten Welt und zu Malaysia gehörte, ist mit Händen zu greifen.

Der für den Stadtstaat typische Modernisierungsdruck, der eine strebsame und gehorsame Bevölkerung, letztlich aber auch entpolitisierte Menschen geschaffen hat, ist hier kaum zu spüren.

Unterschiede zu den Nachbarn

Es gibt aber Unterschiede zu den beiden grossen Nachbarländern Indonesien und Malaysia, wo die muslimische Bevölkerung in der Mehrheit ist und der Staat die Säkularisierung weniger konsequent vorangetrieben hat. Die Lautsprecher der Moschee in Singapur, wo der Muezzin das Gebet liest, sind aus Rücksicht auf Andersgläubige leise gestellt.

Das Kopftuch, das mittlerweile zum Stadtbild Kuala Lumpurs gehört und andernorts die Gemüter erhitzt, ist in Singapurs islamischem Viertel nur sporadisch anzutreffen. Englisch, in vielen anderen südostasiatischen Ländern oft Glückssache, wird hier, wenn auch stark mit lokalem Slang versetzt, überall gesprochen.

Singapurs Bemühungen zum Aufbau der Nation und zur Herausformung einer Nationalität muten selbst 40 Jahre nach der Staatsgründung mitunter etwas hektisch und künstlich oder gar chauvinistisch an. Wie in keinem anderen Land bemüht man sich in diesem Zusammenhang aber auch um Harmonie zwischen den verschiedenen religiösen Gemeinschaften und Bevölkerungsgruppen.

Die Regierung, die Armeeführung und die Wirtschaft des Landes sind zwar eindeutig chinesisch geprägt; man weiß aber spätestens seit den Rassenunruhen, die im Mai 1964 rasch von Kuala Lumpur auf Singapur übergegriffen haben, dass solche Konflikte existenzbedrohend sind und dass deshalb auch die indische und die malaiische Minderheit bei Laune gehalten werden muss.

Rassismus nicht geduldet

Dass die Behörden bei Störaktionen nicht lange fackeln und bei ersten Anzeichen von öffentlichem Rassismus einschreiten, ist in diesen Tagen zum Ausdruck gekommen. Ein Leserbrief einer muslimischen Frau, die beanstandete, dass Taxis Hunde frei auf dem Rücksitz transportieren, hat den Unmut von zwei chinesischen Hundeliebhabern hervorgerufen.

Deren Kommentare im Online-Forum einer Website, die nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft Animositäten zwischen den Bevölkerungsgruppen schüren könnte, hat zu einer Klage wegen Verhetzung geführt. Unter der Sedition Act von 1948, auf die hier das erste Mal Bezug genommen wurde, droht den beiden eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren.

Wie schwierig manchmal die Balance zwischen den religiösen und ethnischen Gruppen zu halten ist, zeigen zwei weitere Beispiel aus dem modernen Alltag der Stadt. Entgegen einer jahrzehntelangen Tradition, die bis zuletzt vom Gründungsvater Lee Kuan Yew vertreten worden ist, hat die neue Regierung kürzlich den Bau von zwei Kasinos genehmigt.

Damit hat sie wirtschaftlichen Überlegungen, die mit der weltoffenen Positionierung des Landes zusammenhängen, den Vortritt gelassen. Der Entscheid hat aber den Unmut des "Islamic Religious Council of Singapore", der höchsten islamischen Autorität, provoziert.

In einem verbalen Seiltanz forderte der für Religionsfragen zuständige Minister Yaacob Ibrahim seine Glaubensbrüder zur Unterscheidung zwischen privater und öffentlicher Moral auf.

Kompromisslose Haltung

Zu Diskussionen Anlass gab vor geraumer Zeit auch das Kopftuchverbot in den Grundschulen des Landes. Es war von einem Vater zweier Mädchen herausgefordert worden, der darauf bestand, dass seine Kinder den Tudung in der Schule tragen. Die Mädchen wurden von der Schule gewiesen.

Während man diesbezüglich in Malaysia und Indonesien im Schulbetrieb offener ist, sind die Regeln im Stadtstaat klar: Familien, die sich an streng islamische Gebräuche halten wollen, können ihre Kinder in lokale islamische Schulen (Madrasahs) schicken.

Wer hingegen die Schulen des Staats beansprucht, hat bis ins College darauf zu verzichten, Kleider zu tragen, die den religiösen Graben betonen oder vertiefen könnten. Bis zur Hochschulreife werden denn auch Uniformen getragen.

Die mit Abstand größte Herausforderung für das harmonische Nebeneinander der Religionen und Ethnien in Singapur geht indessen von der Terrorbedrohung durch islamische Extremisten aus.

Als faktischer Verbündeter der USA, der über eine relativ grosse muslimische Minderheit verfügt, muss Singapur in der Terrorbekämpfung entschlossen vorgehen, ohne die Gefühle der malaiischen Landsleute zu verletzen.

Während auf der einen Seite die lokalen Religionsführer zur Propagierung eines gewaltlosen Islam an die Kandare genommen werden, geht der Sicherheitsapparat hart gegen mögliche Terrorzellen vor. Als Instrument dient dabei ein Notrecht aus kolonialen Zeiten. Im Rahmen des "Internal Security Act" können Verdächtige ohne Prozess für mehrere Jahre in Haft gehalten werden.

Manfred Rist

© Neue Zürcher Zeitung 2005