Blockierte Integration

Der Fall der abgesagten Veranstaltung gegen Homophobie in der Berliner Şehitlik-Moschee ist kein Beweis für die "Rückständigkeit des Islams", wie es in einschlägigen Foren heißt. Er ist allein eine Illustration dafür, dass Muslime in Deutschland nicht die Voraussetzungen haben, um ein selbstbestimmter und gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft zu sein. Von Armin Langer

Essay von Armin Langer

Schwule, Lesben und Transsexuelle besuchen eine Moschee und kommen mit den Gläubigen ins Gespräch: Die islamische Şehitlik-Gemeinde in Neukölln wollte gegen Homo- und Transphobie und unter Muslimen ein Zeichen setzen. Diese Woche sollte das symbolträchtige Treffen im Gotteshaus stattfinden, doch die Veranstaltung wurde wegen politischen Drucks aus der Türkei abgesagt, offiziell "verschoben".

Eine gefundene Steilvorlage für Rassisten, die im wahren und digitalen Leben als "Islamkritiker" nach schneller Anerkennung suchen. So kursierten kurz nach der Absage des queer-muslimischen Dialogs Kommentare und Rundmails durch das Netz: "Ich muss nichts hinzufügen, alles ist gesagt. Nicht vergessen: diese Moschee gilt als SEHR liberal."

Als das Dialogtreffen angekündigt wurde, blieben sie stumm, nun finden die Verfasser solcher reaktionären Kommentare abermals einen Beweis dafür, dass "Muslime nicht in unser Wertesystem passen". Laut dieser Lesart seien natürlich "alle Muslime homophob" und deswegen entdecken die Islamophoben dieser Republik plötzlich ihre schwul-, lesbisch- und transfreundliche Ader.

Aber was hat eigentlich der türkische Staat mit einer Moschee in Berlin zu tun?

Die Şehitlik-Moschee ist Teil der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DİTİB), die vom staatlichen Präsidium für Religiöse Angelegenheiten der Türkei in Ankara per deutsch-türkischen Staatsvertrag abhängig ist. Ohne das Geld aus der Türkei gäbe es die Şehitlik und andere Moscheen nicht.

Fehlendes Privileg

Die sogenannten "Islamkritiker" werfen den Moscheegemeinden in Deutschland also oft vor, dass sie ausschließlich die Interessen und Sitten der jeweiligen Herkunftsländer vertreten. Sie seien weder unabhängig noch integrationsfähig so der Dauervorwurf. Diese "Kritiker" lassen dabei allerdings bewusst außer Acht, dass die Gemeinden vom deutschen Staat dazu gezwungen werden, sich an die finanzielle Unterstützung von anderen Staaten zu wenden.

Deutsche Muslime vor der Mevlana-Moschee in Berlin-Kreuzberg; Foto: DW/A. Almakhlafi
"Unsere fünf Millionen muslimischen Mitmenschen werden erst dann integrierte, vollwertige Bürger sein, wenn Staat und Gesellschaft dies überhaupt zulassen. 'Integrationsdefizite' betreffen in diesem Sinne auch die Mehrheitsgesellschaft", schreibt Armin Langer.

Christen haben die Kirchensteuer, Juden die Kultussteuer – Muslime haben dieses Privileg nicht. Die katholische Kirche hat ein jährliches Einkommen von etwa 5,5 Milliarden Euro nur durch die Kirchensteuer: Für muslimische Gemeinden, die fünf Mal so wenig Mitglieder zählen, bedeutet dies jährlich ein Verlust von mehr als eine Milliarde Euro, die in Dialogprojekte, wie nun von der Şehitlik-Moschee intendiert, investiert werden könnten. Eine Milliarde Euro, die Unabhängigkeit von den Regierungen in Ankara, Riad und Rabat bedeuten würde.

Doch Muslime müssen nicht nur auf dieses Steuerprivileg verzichten. Die staatliche Diskriminierung in Deutschland nimmt auch andere Formen an: Obwohl wir theoretisch in einem säkularen Staat leben, dürfen nur Kirchenglocken läuten, der Muezzin darf nicht einmal zum Freitags- oder Feiertagsgebet rufen.

Fehlende Repräsentanz

Muslimische Bestattungen, die ohne Sarg stattfinden, sind bis auf ein paar Bundesländer verboten. Dabei stammt die Sargpflicht aus dem 17. Jahrhundert, als man Scheintote vor dem Grab schützen wollte, in dem man sie 48 Stunden in einem Sarg aufbewahrte. Muslime sind in den meisten Rundfunkräten nicht vertreten, obwohl sie ebenfalls Gebühren für das öffentlich-rechtliche Programm bezahlen.

Die Exklusion aus dem Steuersystem verursacht eine Abhängigkeit dieser Moscheen von Agenden anderer Regierungen. Die staatliche Nicht-Anerkennung der muslimischen Gemeinschaften und ihrer Bedürfnisse verhindert die Integration der Muslime in Deutschland im Besonderen.

Der Fall mit der abgesagten Veranstaltung gegen Homophobie in der Şehitlik-Moschee ist kein Beweis für die "Rückständigkeit des Islams", wie es in einschlägigen Foren wieder heißt. Er ist allein eine Illustration dafür, dass Muslime in Deutschland nicht die Voraussetzungen haben, um ein selbstbestimmter und gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft zu sein.

Unsere fünf Millionen muslimischen Mitmenschen werden erst dann integrierte, vollwertige Citizens, wenn Staat und Gesellschaft dies überhaupt zulassen. "Integrationsdefizite" betreffen in diesem Sinne auch die Mehrheitsgesellschaft. Solange sich diese nicht selbst überwindet, überlassen wir den Regierungen der Türkei und Saudi-Arabiens die Entscheidung ob zum Beispiel Schwule, Lesben und Transsexuelle in einer Moschee ihren Platz bekommen.

Armin Langer

© Qantara.de 2014

Armin Langer ist Koordinator der Salaam-Schalom Initiative in Berlin-Neukölln.