Klezmer goes Pakistan

Klezmer und pakistanische Musikstile scheinen wenig, wenn nicht sogar nichts miteinander gemein zu haben. Doch mit ihrem jüngsten Album "Sandaraa" liefert ein von Michael Winograd und Zeb Bangash geleitetes Projekt den Beweis dafür, wie ein solcher Stilmix gelingen kann. Von Richard Marcus

Von Richard Marcus

Es gab schon viele Versuche, europäische und südasiatische Musik miteinander zu verbinden, einige davon erfolgreicher als andere. Die Unterschiede in den Tonleitern und den Strukturen bildeten hierbei meist die größten Hürden, die es zu überwinden galt. Von Klassik-Musikern wie Yehudi Menuhin bis hin zu avantgardistischen Fusion-Künstlern wie John McLaughlin mit seinem "Mahavishnu-Orchestra" – alle machten sie interessante Streifzüge in asiatischen Gefilden, ebenso wie sich bereits indische Musiker von westlicher Musik inspirieren ließen (so zu hören etwa auf der LP "Miles From the West", auf der die Musik der Jazzgröße Miles Davis von indischen und amerikanischen Musikern interpretiert wurde).

Zwar ist die Idee, Klezmer mit der Musik des Subkontinents zu verbinden, offen gesagt ein wenig weit hergeholt. Doch was beim "Sandaraa"-Experiment letztlich herauskam, reflektiert wohl ein einmaliges Projekt, das im musikalischen Sinn geographische und kulturelle Grenzen aufheben konnte. "Sandaraa" reinterpretierten traditionelle südasiatische Klangwelten unter dem Einfluss der Klezmer-Musik, wobei sie die Fallstricke kultureller Aneignung gekonnt umgehen konnten.

Kultureller Grenzgang

Auch wenn es vielleicht sonderbar klingen mag, wenn auf ihrem Album eine Verbindung mehrerer musikalischer Stile zu hören ist, so gelingt es der Band doch auf überzeugende Art, die Empfindsamkeit der Klezmer-Musik derart kunstvoll herauszuarbeiten, sodass sie den Hörer direkt anspricht und fasziniert.

Cover of "Sandaraa" by Sandaraa
"Mit ihrer Stilfusion hat "Sandaraa" zweifelsohne etwas geschaffen, was aus sich selbst heraus funktioniert und nicht einen einfallslosen Musikhybrid oder neuerlichen Worldmusic-Abklatsch darstellt", schreibt Marcus.

Vielleicht kommt das daher, weil die Mitglieder des Bandprojekts aus verschiedenen Staaten kommen: Die Pakistanerin Bangash ist Sängerin des in ihrem Land so populären Pop-Duos "Zeb and Haniya", während Winograd bereits mit vielen Musikgrößen zusammengearbeitet hat, so auch mit dem klassischen Geiger Itzhak Perlman oder dem experimentellen Klezmer-Musiker Frank London.

Die anderen Bandmitglieder haben einen ähnlich vielschichtigen Hintergrund. So ist Eylem Basaldi eine namhafte Vertreterin der traditionellen türkischen Geigenmusik, während der Perkussionist Richie Barshay und der Bassist David Lizmi erfahrene Jazzmusiker sind.

Beim ersten Hören ihres Albums ist man zunächst geneigt zu glauben, man höre eine Zusammenstellung ganz gewöhnlicher pakistanischer Musik. Doch bei näherem Zuhören erschließen sich einem die Klezmer-Einflüsse der Musik. Selbst das dritte Stück, "Bibi Sanem Janem", das von einem Klarinettensolo eröffnet wird und sich anfangs so anhört, als würde sich gleich daraus so etwas wie "Fiddler on the roof" entwickeln, beschwört schließlich eine dezidiert europäische Musiktradition herauf, obgleich Sprache und Gesang komplett pakistanisch gehalten sind.

Musikalische Symbiose

Der Gesang Bangashs steht im Fokus jedes Songs. Es gelingt der Sängerin mühelos, jedem Lied ihren unverwechselbaren Stempel aufzudrücken: Entweder treibt ihre Stimme die Musik derart an, als reite sie auf einer Klangwelle oder sie führt die Musik auf subtile Art durch bestimmte Arrangements und Kompositionen. Nie aber versucht sie, sich einem Stück zu sehr aufzudrängen. Stattdessen bevorzugt sie gewissermaßen einen symbiotischen Ansatz – indem sie die Musik nährt und sich zugleich von ihr tragen lässt.

Diese Harmonie zwischen Sängerin und Musik – und im weiteren Sinne auch zwischen ihr und den Musikern – trägt viel dazu bei, dass diese besondere Kombination musikalischer Stile so gut funktioniert. Denn selbst bei den Songs, bei denen der Klezmer-Einfluss fast zu verhalten ausfällt, um wirklich noch wahrgenommen werden zu können – so etwa beim ersten Stück des Album "Jegi Jegi Lailajan"– lauschen wir dieser einen Note, dieser einen Phrase, die uns den Unterschied zwischen den beiden musikalischen Welten verrät.

Bei all dem geht es keineswegs nur um irgendeine Kuriosität – nach dem Motto "Fiddler in the roof goes Bollywood" – oder ähnlichen Absurditäten. Im Gegenteil. "Sandaraa" ist eine faszinierende und erfrischende Zusammenstellung von Songs, die für sich genommen etwas ganz Neues verkörpern. Mit ihrer Stilfusion hat die Band zweifelsohne etwas geschaffen, was aus sich selbst heraus funktioniert und nicht einen einfallslosen Musikhybrid oder billigen "Worldmusic"-Abklatsch darstellt.

Richard Marcus

© Qantara.de 2016

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol