Arabische Botschafter russischer Interessen

Der Kreml strebt mit seiner auswärtigen Kulturarbeit nach mehr Einfluss. Im Nahen Osten gelingt das bestens, berichtet Joseph Croitoru.

Von Joseph Croitoru

Aus Russlands heutigem Regierungsdiskurs ist der Begriff vom "Großen Geopolitischen Spiel" nicht wegzudenken. Er bezieht sich auf das von Präsident Wladimir Putin verfolgte Ziel, das Land außenpolitisch wieder als global agierende Weltmacht zu positionieren. Dieses "Spiel" beinhaltet auch die neue Ausrichtung der auswärtigen Kulturpolitik des Kremls, die 2008 in der Umgestaltung der zuständigen Behörde ihren Niederschlag fand.

Das "Russische Zentrum für Internationale, Wissenschaftliche und Kulturelle Zusammenarbeit" (Rossarubeschzentr) wurde damals in die "Föderalagentur für Angelegenheiten der GUS, für Fragen der im Ausland lebenden Mitbürger und für internationale humanitäre Zusammenarbeit" (Rossotrudnitschestwo) umgewandelt, die dem Außenministerium unterstellt ist.

Die staatliche Agentur fährt einen massiven Expansionskurs, mit dem Moskau offensichtlich an die Zeiten anknüpfen will, als die Sowjetunion als Anführerin der sozialistischen Weltrevolution globalen Einfluss besaß. Auf die sowjetische Erfahrung und alte Kontakte wird denn auch, freilich unter Nutzung moderner Methoden und zeitgemäßer Rhetorik, zurückgegriffen.

Bezeichnenderweise hat die seit 2015 amtierende Leiterin von Rossotrudnitschestwo, Ljubow Glebowa, ihre politische Karriere einst in der kommunistischen Jugendbewegung Komsomol begonnen. In der Sowjetzeit spielte diese Kaderorganisation auch bei der internationalen Bildungsarbeit eine wichtige Rolle.

Russische Kulturoffensive in Nahost

Im Nahen Osten, wo Moskau verstärkt militärische Ansprüche geltend macht, ist die russische Kulturoffensive besonders deutlich sichtbar. In arabischen Ländern, in denen noch keine russischen Kulturzentren existierten, sind seit 2009 etliche eingerichtet worden. So in Jordanien, in der Palästinensischen Autonomie (PA) im Westjordanland und zuletzt 2012 in den Vereinigten Arabischen Emiraten. In Ägypten und Syrien bestehen russische Kulturzentren schon seit den sechziger Jahren.

Logo "Rossotrudnitschestwo"
Die Behörde Rossotrudnitschestwo als kulturpolitisches Sprachrohr des Kremls: "Die staatliche Agentur fährt einen massiven Expansionskurs, mit dem Moskau offensichtlich an die Zeiten anknüpfen will, als die Sowjetunion als Anführerin der sozialistischen Weltrevolution globalen Einfluss besaß", schreibt Croitoru.

Die Neuausrichtung der Moskauer Kulturpolitik hatte in Nahost einen Zuwachs und die Professionalisierung des dort eingesetzten Personals nach sich gezogen. Zusätzlich wird Moskaus auswärtige Kulturarbeit seit geraumer Zeit besonders von dem Fernsehsender "Russia Today" und dem Newsportal "Sputnik" medial begleitet, am umfassendsten in ihren jeweiligen arabischsprachigen Versionen.

Dass diese Sprachrohre des Kremls mit der Behörde Rossotrudnitschestwo verwoben sind, zeigt sich auch daran, dass mittlerweile mancherorts im arabischen Raum ehemalige Rossotrudnitschestwo-Mitarbeiter, zumal wenn sie Arabisch sprechen, in den russischen Kulturhäusern Schlüsselpositionen besetzen. Beispielsweise war der Direktor des Kairoer Zentrums, Alexej Tewanjan, in den Jahren 2009 und 2010 Redakteur beim Sender "Russia Today".

Außer der Vermittlung von russischer Kultur in ihrer ganzen Breite – und, wo möglich, auch mit gewissen politischen Akzenten – streben Moskaus Kulturbeamte in den arabischen Ländern obendrein an, sich mit der Schul- und Hochschulsphäre zu vernetzen. So ist in den letzten Jahren an mehreren arabischen Universitäten Russisch als Fach eingeführt worden.

In Syrien – einem wichtigen Schwerpunkt der Außenpolitik Russlands in der Region – wird seit 2014 an der Universität von Damaskus ein Studiengang zu russischer Sprache und Kultur angeboten. Erst kürzlich – im Oktober – kam dort ein "Zentrum für russische Sprache" hinzu zu dessen Aufgaben unter anderem die Ausbildung einheimischer Russischlehrer gehört. Sie werden an den immer zahlreicher werdenden syrischen Schulen benötigt, an denen seit 2014 Russisch als Wahlfach unterrichtet wird.

Moskau, der Erbe von Byzanz, verwurzelt sich im Heiligen Land

Die Rossotrudnitschestwo wirbt massiv für ein Studium in Russland und vergibt immer mehr Stipendien an arabische Studenten. Entsprechend steigt das Interesse junger Araber an der russischen Kultur. Dies ist auch deshalb im Interesse Moskaus, weil jene Russisch sprechenden Araber, die in sowjetischer Zeit in Russland akademisch ausgebildet wurden und in ihrer Heimat später bisweilen einflussreiche Ämter bekleideten, inzwischen oftmals pensioniert wurden – obwohl sie weiterhin eine wichtige Stütze bleiben und gern als "Botschafter" russischer Kultur und Staatsinteressen in der arabischen Welt aktiviert werden. Ihr Wissen und ihre Kontakte geben sie an die jüngere Generation nicht nur in den einschlägigen Alumni-Vereinen weiter, sondern auch in Buchpublikationen, die die russisch-arabischen Beziehungen wohlwollend beleuchten.

In diesen, aber auch in Ausstellungsprojekten wird – meist unter weitgehender Marginalisierung der kommunistischen Zeit – versucht, eine möglichst Jahrhunderte währende Kulturverbundenheit von Russen und Arabern zu konstruieren.

Im Fall Palästina spricht man gar von einer jahrtausendealten Verbundenheit Russlands mit dem Heiligen Land. Die Palästinensische Autonomie ist für Moskaus Kulturbeamte ein leichtes Terrain, weil sie dort einen besonders prominenten Freund haben: Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der schon zur PLO-Führung gehörte, als sie von der Sowjetunion unterstützt wurde.

Bei der Eröffnungsfeier der Juma-Moschee in Moskau: Mahmud Abbas neben Recep Tayyip Erdogan und Waldimir Putin; Foto: Reuters
Mahmud Abbas - einn alter Bekannter Moskaus: Die Palästinensische Autonomie ist für Moskaus Kulturbeamte ein leichtes Terrain, weil sie dort einen besonders prominenten Freund haben: Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der schon zur PLO-Führung gehörte, als sie von der Sowjetunion unterstützt wurde.

Abbas hatte in Moskau Geschichte studiert und dort in den achtziger Jahren seine im Geiste des staatlich verordneten Antifaschismus verfasste Dissertation vorgelegt, in der die "geheimen Beziehungen" zwischen den Nationalsozialisten und den Zionisten behandelt werden.

Der russische Präsident Putin hatte Abbas schon 2005 in Ramallah besucht und 2010 erhielt Russland in Jericho aus den alten Besitztümern der Russisch-Orthodoxen Kirche ein großes Grundstück, auf dem ein russisches historisches Museum mit einer großangelegten Gartenanlage entstand. Die Straße, in der es sich befindet, nach dem damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew benannt. Medwedew hatte 2011 Jericho besucht, um das Museum offiziell zu eröffnen.

Wie Russen und Syrer gemeinsam den Terrorismus besiegten

Mit dem Museum wolle man auch die russische Präsenz im Heiligen Land stärken, hieß es bei Putins erneutem Besuch in den Palästinensergebieten im Jahr 2012. Dass diese Verbundenheit schon seit sehr langer Zeit besteht, suggeriert jede der beiden Ausstellungssektionen auf ihre Art.

So werden zum einen historische Fotos russischer Jerusalem-Pilger aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert präsentiert, die sich damals etwa auf dem Tempelberg ablichten ließen. Zum anderen sind archäologische Funde, die auf dem Areal des Museums entdeckt wurden und von einer byzantinischen Kirche stammen, zu bewundern. In der Manier des vom russischen Staat propagierten Neobyzantinismus wird so die jahrtausendealte Beziehung der Russen – als den historischen Erben von Byzanz – zum Heiligen Land beschworen. Für russische "Bibelreisende" ist das Museum längst Pflichtstation.

In der Stadt Jericho wurde, ähnlich wie in Damaskus, ebenfalls im Oktober an der dortigen Istiqlal-Universität ein Zentrum für russische Sprache und Kultur gegründet. Veranlasst hat es der Vorsitzende des Universitäts-Kuratoriums Tawfiq al Tirawi.

Russlandstudien in Palästina

Der Fatah-Funktionär und General war Jassir Arafats rechte Hand und der erste Chef des Sicherheitsdienstes der Autonomiebehörde. Er hat zwar nicht in der Sowjetzeit in Russland studiert, dürfte aber als Angehöriger der Fatah-Elite über Kontakte dorthin verfügt haben. Al Tirawi will Russlandstudien zum akademischen Schwerpunkt der Universität in Jericho machen. Auch Angehörige der PA-Sicherheitsorgane sollen dort ausgebildet werden.

Treffen von Assad und Putin im November 2017 in Sotschi; Foto: Reuters/Sputnik/M. Klimentyev
Historische Achse Damaskus-Moskau: Jüngst feierte man die wiederbelebte Waffenbrüderschaft beider Völker und den gemeinsamen Sieg über den "Terrorismus" – etwa in Fotoausstellungen wie "Syrien, das siegen wird", die nach mehreren Stationen in Russland auch kürzlich in Damaskus zu sehen war.

Damit zeichnet sich eine engere Zusammenarbeit zwischen Fatah-Kadern und den russischen Sicherheitsbehörden ab, die zu dem ohnehin regen bilateralen Kulturaustausch noch hinzukommen würde. Neben Jericho hat nämlich auch Bethlehem seit 2012 ein russisches Kulturzentrum, das Putin bei seinem damaligen Besuch mit einweihte.

Im Mai dieses Jahres erhielt die Stadt eine weitere russische Einrichtung: die "Putin-Stiftung für Kultur und Wirtschaft", deren Sitz der russische Präsident und sein palästinensischer Amtskollege per Videoübertragung bei ihrem damaligen Treffen in Sotschi einweihten. Das Gebäude in Bethlehem liegt in der Putin-Straße, die schon 2012 diesen Namen erhielt.

Im gleichen Jahr wurde auch in der Palästinensischen Autonomie das Fach Russisch an einer Hochschule eingeführt worden: an der An-Najah-Universität in Nablus. Der Initiator war der in Israel lebende und einst in Leningrad ausgebildete Ideenhistoriker Amr Mahamid.

Symbol alter russisch-arabischer Freundschaft

Neben seiner Dozententätigkeit in Nablus agiert er seit vielen Jahren auch als inoffizieller kultureller Botschafter Russlands in seinem palästinensischen Heimatort Umm al Fahm (heute Israel), wo er ein kleines russisches Kulturzentrum betreibt.

Mahamid, dessen Vater Gründungsmitglied der israelisch-arabischen kommunistischen Partei im Ort war, hat etliche Bücher zu den russisch-palästinensischen Kulturbeziehungen veröffentlicht. Eines davon behandelt die Geschichte der 1882 gegründeten "Kaiserlichen Orthodoxen Palästina-Gesellschaft", die sich unter ihrem jetzigen Chef Sergej Stepaschin, einem früheren russischen Ministerpräsidenten, seit einiger Zeit als Symbol alter russisch-arabischer Freundschaft geriert.

Im April besuchte Stepaschin Damaskus und kündigte die Eröffnung einer dortigen Niederlassung der Gesellschaft sowie einer russischen Schule an. In der syrischen Hauptstadt herrscht auch sonst im Hinblick auf die russisch-syrischen Kulturbeziehungen Hochstimmung.

Man feiert die wiederbelebte Waffenbrüderschaft beider Völker und den gemeinsamen Sieg über den "Terrorismus" – etwa in Fotoausstellungen wie "Syrien, das siegen wird", die nach mehreren Stationen in Russland auch kürzlich in Damaskus zu sehen war.

Joseph Croitoru

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