Repression als Triebfeder des Extremismus

In den vernachlässigten Gefängnissen der Ex-Sowjetrepubliken gedeiht ein militanter Islamismus, der zur Gefahr für die gesamte Region wird, schreibt Robert Templer, Leiter des Asienprogramms der International Crisis Group, in seinem Essay.

Parlament in Astana, Kasachstan; Foto: RIA Novosti
Paradoxe Politik: Die systematische Inhaftierung islamistischer Aktivisten in den zentralasiatischen Staaten unterstützt diese bei der Rekrutierung von gewaltbereiten Anhängern.

​​In diesem Jahr hat Kasachstan als erster ehemaliger Sowjetstaat den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Eines der Hauptziele der OSZE ist die Einhaltung und Förderung der Menschenrechte.

Doch wenig spricht dafür, dass Kasachstan seinen Vorsitz nutzen wird, um die Menschenrechtsverletzungen auf eigenem Boden anzusprechen, geschweige denn die in der gesamten zentralasiatischen Region.

Allein schon die Gefängnisse Zentralasiens sind Orte des Schreckens. Zwar gibt es wenige, doch ihre Anzahl wächst und was in ihnen geschieht, birgt große, auch politische Gefahren. Nicht nur für diejenigen, die hinter Gittern sitzen, sondern auch für die Außenwelt, und zwar weit über die zentralasiatischen Grenzen hinaus.

Gefängnisse: Keimzellen für militante Islamisten

Radikale, gut organisierte islamistische Missionare treffen hier auf junge und bereits gewalttätige und – willige Rekruten. Die Mehrheit wird wegen religiösem Extremismus inhaftiert.

Hinter Gittern festigen sie ihre Position innerhalb dieser informellen Machtstruktur und können ihren Einfluss unter den Gefangenen verbreiten. So werden die Haftanstalten zu wichtigen Orten der Rekrutierung von Islamisten und bereits zur Trainingsarena. Auf clevere Art und Weise nutzen radikale Islamisten die Schwächen der Gefängnissysteme aus, die von Korruption, Personalmangel und fehlender Unterstützung ihrer Regierungen unterminiert sind.

Die systematische Inhaftierung bestimmter Aktivisten dient also als Chance, um den eigenen Einfluss auszuweiten. Zuerst innerhalb des Gefängnisses, später auch außerhalb. Denn nach der Entlassung kümmern sich die Islamisten um die Ex-Häftlinge und um ihre Zukunft. Der Staat hingegen überlässt sie ihrem Schicksal.

Zwanzig Jahre Haft für eine Demonstration

Doch gerade im Kampf gegen den militanten Islamismus sind diese Gefängnisse und ihre Insassen von essenzieller politischer Bedeutung. Paradox ist, dass den Politikern in Kasachstan und in Kirgisistan bewusst ist, wie sie den Extremismus am besten besiegen könnten: mit der Bekämpfung der elenden sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen so wie des korrupten Systems in der gesamten Region.

Kasachischer Außenminister Kanat Saudabajew; Foto: RIA Novosti
Im Jahr 2010 hat Kasachstan mit Außenminister Kanat Saudabajew den OSZE-Vorsitz. Doch die Menschenrechtslage im eigenen Land wird nicht thematisiert.

​​Stattdessen entscheiden sie sich für eine Politik der Strenge und inhaftieren jeden, der an islamistischen Aktivitäten teilnimmt. So verurteilte zum Beispiel im November 2008 ein kirgisisches Gericht eine große Gruppe von Islamisten zu bis zu zwanzig Jahren Haft wegen ihrer Beteiligung an einer Demonstration im Süden des Landes.

Solch drakonische Maßnahmen verfolgen dem Anschein nach eine effektive Politik und sollen als Machtdemonstration dienen. Doch wahrscheinlicher ist, dass der Schuss nach hinten losgeht. Immer längere Haftzeiten für eher ungefährliche islamische Aktivisten wegen relativ kleiner politischer Aktionen sind am Ende kontraproduktiv.

Kluft zwischen muslimischer Bevölkerung und Machteliten

Auch scheitern die Sicherheitsbehörden bei der Differenzierung zwischen friedlichen religiösen Bewegungen und denen, die offen für den bewaffneten Kampf werben. Das weitet den Graben zwischen der praktizierenden muslimischen Bevölkerung und deren Regierungen in den zentralasiatischen Ländern aus. Eine gefährliche Entwicklung in Zeiten, in denen das Risiko eines bewaffneten islamischen Aufstandes täglich wächst.

Krankenhaus in Tadschikistan; Foto: Edda Schlager
Primitivste Bedingungen in einem tadschikischen Krankenhaus: "Die Regierungen der Region sollten dringend an der Verbesserung der Lebensbedingungen für die Bevölkerung arbeiten", schreibt Robert Templer.

​​Die steigende Anzahl islamistischer Häftlinge in den Gefängnissen zeigt, dass mehr Sträflinge, oft mit gewalttätiger Vergangenheit, von einer islamistischen Ideologie angelockt werden. Was diese Gefängnisse brauchen, ist die Beschaffung von Mitteln, Rat, Betreuung und Aufmerksamkeit. Und zwar von ausländischen Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und internationalen Organisationen. Doch an all dem mangelt es momentan, nicht zuletzt weil die Regierungen vor Ort den Zugang sperren.

Die Razzia in Zentralasien gegen den politischen Islam wird die radikalen Islamisten nicht aufhalten. Im Gegenteil, das Resultat werden mehr Rekruten für die Kampfteams sein. So könnte die Art der Bekämpfung den entschiedenen Unterscheid auslösen zwischen einem eher harmlosen und gefährlicherem Aufstand.

Die Regierungen der Region sollten dringend an der Verbesserung der Lebensbedingungen für die Bevölkerung arbeiten, hart gegen Korruption und Machtmissbrauch durchgreifen sowie den Dialog mit den praktizierenden Muslimen suchen. Vor allem Letzteres wird aber von den Oberhäuptern der Region abgelehnt. Ein fataler Fehler, der ihre eigene Position und die Zukunft ihrer Länder unterminiert.

Robert Templer

© Die ZEIT 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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