Von der Kurzsichtigkeit deutscher Außenpolitik

Kein deutscher Regierungschef trifft sich gerne mit einem Staatsoberhaupt, das mit brutaler Gewalt gegen seine Kritiker vorgeht. In diesem Fall hätte sich Angela Merkel viel Unwohlsein sparen können, wenn sie auf eine mutigere außenpolitische Strategie gesetzt hätte. Von Matthias Sailer

Von Matthias Sailer

Und wieder einmal ist ein deutscher Bundeskanzler in ein Land gereist, das von einem Despoten regiert wird. Die Bundesregierung erhofft sich vom ägyptischen Präsidenten Al-Sisi Unterstützung bei der Abwehr von Flüchtlingsströmen, lukrative Geschäfte für die deutsche Wirtschaft und konstruktives Mitwirken bei den Versuchen, die zahlreichen Krisen In Nordafrika und im Nahen- und Mittleren Osten zu lösen.

Bereits im November 2016 hat das Direktorium des Internationalen Währungsfonds dringend benötigten Krediten über 12 Milliarden US-Dollar für Ägypten zugestimmt. Der vom IWF tatsächlich festgestellte Finanzierungsbedarf für die nächsten drei Jahre liegt sogar bei etwa 35 Milliarden US-Dollar. Eine Voraussetzung für die Gewährung des 12 Milliarden-Kredits war denn auch die finanzielle Unterstützung Ägyptens durch zahlreiche weitere multilaterale und bilaterale Geldgeber (einschließlich Deutschlands), um diese Finanzierungslücke zu schließen. Der IWF, in dem Deutschland, andere europäische Wirtschaftsmächte, Japan und die USA erheblichen Einfluss ausüben, hat maßgeblich daran mitgewirkt, diese Geldgeber für Ägypten ins Boot zu holen.

Der wesentliche Grund für die Hinwendung zum IWF war der abnehmende Wille vor allem Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate, die Sisi-Administration weiterhin mit ihren Milliarden am Leben zu erhalten. Nach dem Sturz von Präsident Mohamed Mursi im Juli 2013 haben die beiden Golfstaaten Kairo bis heute mindestens 30 Milliarden US-Dollar an Krediten und Zuwendungen gewährt.

Überlebende Flüchtlinge nach einem Schiffsunglück im ägyptischen Rosetta; Foto:
Zweckbündnis zum eigenen Nutzen: Merkel hatte Al-Sisi bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Kairo weitere Hilfe bei der Sicherung der langen Grenze zu Libyen zugesagt. Es müsse auch verhindert werden, dass eine neue Fluchtroute über Ägypten etabliert werde. Bei Experten stoßen Flüchtlingsabkommen mit Ländern wie Ägypten allerdings auf Skepsis. Der Migrationsforscher Jochen Oltmer erklärte, damit würden die Europäer autoritäre Regime finanzieren und stabilisieren und gleichzeitig die Opposition und zivilgesellschaftliche Organisationen schwächen.

Die Gründe für das Umdenken am Golf waren vor allem die sich letztlich um Iran drehenden geopolitischen Differenzen mit Ägypten, der niedrige Ölpreis, aber auch Unzufriedenheit über die ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolge der Staatsführung unter Al-Sisi trotz dieser gewaltigen finanziellen Hilfen.

Damit hatte sich für Deutschland, die anderen europäischen Staaten und die USA erstmals seit dem Sturz Mohamed Mursis die Möglichkeit geboten, positiv auf die Entwicklung Ägyptens einzuwirken. Denn ohne weiteres fremdes Kapital wäre die Sisi-Administration schon allein aufgrund des akuten Devisenmangels nicht überlebensfähig gewesen. Daher hatte der Präsident keine Wahl und musste sich neue Geldgeber suchen und sich deren Bedingungen beugen.

Sisis ökonomisches Armutszeugnis

Der Druck unter dem Al-Sisi steht, wird noch deutlicher, wenn man auf die Wirtschaftslage des Nilstaates blickt: so wird die Arbeitslosigkeit bei jungen Erwachsenen in Ägypten auf über 40 Prozent geschätzt, mehr als die Hälfte aller jungen Ägypter lebt unter oder knapp über der nationalen Armutsgrenze. Die Pro-Kopf-Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes liegt bei gerade einmal zwei Prozent, und die Staatsverschuldung ist in den letzten Jahren rapide angestiegen.

Diese wirtschaftlichen Probleme sind eng verknüpft mit Al-Sisis repressiver Innenpolitik: Die Staatsführung unterdrückt nahezu jegliche Äußerung von Kritik. Zehntausende politische Gefangene überfüllen die Gefängnisse, Folter und das Verschwinden von Kritikern sind an der Tagesordnung.

Das repressive Vorgehen hat spätestens seit dem 14. August 2013, als Sicherheitsbehörden unter dem damaligen Verteidigungsminister Al-Sisi an einem einzigen Tag etwa 1.000 Anhänger der Muslimbruderschaft im Massaker von Rabaa getötet haben, in eine Spirale der Radikalisierung und Gewalt gemündet, die bis heute andauert und das Land destabilisiert. Verschlimmert wird die Unsicherheit noch durch die Vermischung dieses Konflikts mit den Aktivitäten regionaler Ableger des IS und anderer Terrorgruppen.

Gewaltsam geräumtes Protest-Camp Rabaa al-Adawiyya in Kairo; Foto: AFP/Getty Images
Gnadenlose Abrechnung mit dem politischen Gegner: Das repressive Vorgehen des Al-Sisi-Regimes hat spätestens seit dem 14. August 2013, als Sicherheitsbehörden unter dem damaligen Verteidigungsminister Al-Sisi an einem einzigen Tag etwa 1.000 Anhänger der Muslimbruderschaft im Massaker von Rabaa getötet haben, in eine Spirale der Radikalisierung und Gewalt gemündet, die bis heute andauert und das Land destabilisiert.

Krieg gegen die eigene Zivilgesellschaft

Gleichzeitig führt Al-Sisi Krieg gegen jede Form von unabhängiger Zivilgesellschaft. Menschenrechtsorganisationen werden geschlossen und ihre Mitarbeiter mit Prozessen überzogen. Journalisten vegetieren in endloser Untersuchungshaft und Personen, die mit dem Finger auf die überall grassierende Korruption und Vetternwirtschaft zeigen, landen ebenfalls in den Fängen der Justiz. All das sorgt nicht nur für einen explosiven Cocktail aus Armut, Perspektivlosigkeit, Gewalt und Unsicherheit, der jederzeit Feuer fangen kann. Er ist vor allem auch Gift für die Wirtschaft.

Um die Situation zu entschärfen, war es völlig ungenügend nur die üblichen vom IWF verordneten makroökonomischen Reformen zu verschreiben. Denn solche Reformen können ihre Wirkung bestenfalls dann entfalten, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Dazu zählen vor allem Rechtssicherheit, die Bekämpfung von Vetternwirtschaft und Korruption, um fairen Wettbewerb zu gewährleisten und insbesondere das Zurückdrängen der in allen administrativen Entscheidungen involvierten Sicherheitsorgane.

Letztere gehören zu den wichtigsten wirtschaftlichen Akteuren in Ägypten. Kaum ein Unternehmer kann mit ihnen konkurrieren. Damit einhergehend müsste schließlich die Repression im Land zurückgefahren werden und ein Versöhnungsprozess eingeleitet werden, um die Radikalisierungs- und Gewaltspirale im Land zu unterbrechen.

Fehlende politische Auflagen

Es wäre durchaus möglich gewesen, die Kredite des IWF mit in diese Richtung gehenden politischen Bedingungen zu verknüpfen. Denn Maßnahmen zur Verbesserung der Regierungsführung sind von den Regularien des IWF gedeckt. Auch die von Geldgebern außerhalb des IWF vergebenen Finanzmittel hätten entsprechend konditioniert werden können.

Bundeskanzlerin Merkel bei Ägyptens Staatschef Al-Sisi in Kairo; Foto: picture-alliance/Anadolu Agency/Egyptian Presidency
Shake Hands mit Despoten: Hätte man Bedingungen wie gute Regierungsführung, die Gewährung demokratischer Grundrechte sowie die Garantie von Presse- und Meinungsfreiheit an die gewährten Milliarden für Ägypten geknüpft, könnten westliche Politiker heute guten Gewissens nach Ägypten reisen und müssten sich nicht vorhalten lassen, auf Kosten der Menschenrechte mit Diktatoren zusammenzuarbeiten, um die eigenen Interessen durchzusetzen.

Doch obwohl die mangelnde Zahlungsbereitschaft der Golfstaaten bereits Anfang 2016 sichtbar wurde, haben Deutschland und seine westlichen Partner nur unzureichend reagiert und eine einzigartige Chance vertan, indem man ein IWF-Paket geschnürt hat, das an die üblichen IWF-Reformen gebunden wurde, nicht jedoch an Maßnahmen, um die hier beschriebenen Ursachen der ägyptischen Misere zu bekämpfen.

Doch statt solche Gelegenheiten zu nutzen und die tiefsitzenden Probleme Ägyptens endlich anzugehen und so der breiten Bevölkerung des Landes zu helfen, reisen europäische Politiker nun wieder an den Nil und biedern sich unnötigerweise einem Despoten an. Dabei wirkt es regelrecht absurd, dass man ausgerechnet in Al-Sisi einen Akteur sieht, der für Stabilität und die Bekämpfung von Terrorismus stehen soll. Gerade seine repressive Politik ist eine der Hauptursachen für die Instabilität und Unsicherheit in Ägypten.

Fluchtursachenbekämpfung als reine Rhetorik

Hätte man einige der hier angeführten Aspekte mit den an Ägypten gewährten Milliarden verknüpft, könnten westliche Politiker heute guten Gewissens nach Ägypten reisen und müssten sich nicht vorhalten lassen, auf Kosten der Menschenrechte mit Diktatoren zusammenzuarbeiten, um die eigenen Interessen durchzusetzen.

Eine günstige Gelegenheit hat sich geboten, es wurde rechtzeitig auf sie hingewiesen und an guten Analysen der Ursachen der Probleme in Ägypten mangelte es ebenfalls nicht. Doch anstatt diese Gelegenheit beim Schopf zu packen und die ägyptische Staatsführung koordiniert über ein umfangreiches Milliardenpaket zu erfolgsversprechenden Reformen zu bewegen, fallen die westlichen Staaten völlig unnötig wieder in die alten Muster mutloser Außenpolitik zurück.

Fluchtursachenbekämpfung bleibt so -wie in den Jahrzehnten zuvor- reine Rhetorik. Damit schaden sie nicht nur den Menschen in Ägypten, sondern auch sich selbst, indem sie sich abhängig und erpressbar machen von Sisi, Erdoğan & Co.

Matthias Sailer

© Qantara.de 2017

Matthias Sailer ist Promotionsstipendiat in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).