Vergessene Welten

Ein Hauch von Nostalgie durchzieht "Menorahs and Minarets" (Menora und Minarette), den dritten und letzten Teil einer anspruchsvollen Trilogie des ägyptischen Schriftstellers Kamal Ruhayyim. Der Roman schildert den Werdegang eines Mannes aus einer jüdisch-muslimischen Familie im Ägypten der 1970er Jahre. Marcia Lynx Qualey hat das Buch gelesen.

Von Marcia Lynx Qualey

Der dritte Band der Trilogie, der im arabischen Original Ahlam al-′awda  (Träume von der Rückkehr) hat verschiedene Handlungsstränge. Der Roman beginnt damit, dass Galal, der Hauptcharakter, nach zehn Jahren im Ausland Ende der 1970er Jahre nach Kairo zurückkehrt. Galad könnte ein beliebiger Rückkehrer sein: Er verhandelt mit Taxifahrern, ist erschrocken über die Preiserhöhungen und nimmt bestürzt zur Kenntnis, wie sehr sich die Straße verändert hat, in der er wohnte.

Der erste Band aus dem Jahr 2004, der ursprünglich Qulub munhaka: al-muslim al-yahudi  (Erschöpfte Herzen: Der muslimische Jude) hieß, wurde 2014 unter dem Titel "Diary of a Jewish Muslim" auf Englisch veröffentlicht. Er beginnt ganz bezaubernd aus der Perspektive des kleinen Galal, der zu Füßen seiner jüdischen Mutter herumkrabbelt. Galals muslimischer Vater starb bereits vor dessen Geburt im Suezkrieg von 1956 und dieser erste Band beschreibt, wie der  Junge zwischen der kosmopolitischen jüdischen Familie seiner Mutter und der muslimischen Bauernfamilie des Vaters aufwächst. Im Mittelpunkt des zweiten Bandes "Days of the Diaspora" (Tage der Diaspora) stehen dann Galals Abreise aus Ägypten und die Schwierigkeit, sich ein neues Leben in Paris aufzubauen.

Im dritten Band kehrt Galal nun nach Kairo zurück. Hauptthema von "Menorahs and Minarets" sind die Veränderungen im Ägypten der 1970er Jahre. Der Roman richtet seinen Blick darauf, wie sich das Leben der muslimischen Bauern verändert und die einst blühenden jüdischen Gemeinden aus den ägyptischen Städten verschwinden.

Es gibt im Buch keinen fesselnden zentralen Konflikt wie in den beiden ersten Romanen. Einige Ereignisse hätte der Autor dazu benutzen können, um Spannung zu erzeugen, etwa als Galal und sein Geschäftspartner betrogen werden oder als Galals jüdische Mutter nach Ägypten zurückkehrt.

Mit Nadia und Hadeel tauchen auch mögliche Liebespartnerinnen auf. Aber nichts davon bedeutet Galal wirklich etwas. Er findet nie heraus, was er eigentlich will, ob es nun Geld, Familie, Heimat oder Liebe ist.

Wichtige Fragen stellt der Roman nicht

Ruhayyim, der ebenfalls nach Frankreich ausgewanderte Verfasser, ist selbst nicht jüdischer Abstammung. Laut seinem Sohn Ahmed schrieb er diese Trilogie, damit sich die Ägypter an die jüdische Bevölkerung des Landes erinnern "und ihr Andenken für immer bewahren".

Diese Vergangenheit lastet schwer auf "Menorahs and Minarets". Galal ist jetzt ein Mann mittleren Alters, also keine Figur eines Entwicklungsromans mehr. Seine Frau starb während ihrer gemeinsamen Flitterwochen, also hat er keine Kinder, die er aufziehen müsste. Es gibt keinen Zusammenprall zwischen Muslimen und Juden, weil keine jüdischen Gemeinden in Ägypten mehr bestehen.

Buchcover: „Menorahs and Minarets“ von Kamal Ruhayyim
Eine schuldbeladene Beziehung voller Konflikte: „Die Leser werden mit der unbequemen Andeutung zurückgelassen, dass dieses Mutter-Sohn-Verhältnis auch ein Symbol für die Beziehung zwischen Ägypten und seiner jüdischen Gemeinde sein könnte. War diese Beziehung auch eine „Diaspora des Herzens?“, fragt unsere Literaturkritikern Lynx Qualey.

Aber trotzdem sind noch ein paar Fragen offen, die wichtig sein könnten: Kann Galal kulturell betrachtet immer noch gleichzeitig Muslim und Jude sein? Was bedeutet die Vertreibung der Juden für die Zukunft Ägyptens? Aber diese Fragen stellt der Roman nie.

Ständig hat Galal Schwierigkeiten, Entscheidungen zu treffen. Nach seiner Ankunft "vergehen Monate über Monate", und Galal fragt sich, was er als nächstes tun soll. "Zehn Monate bin ich nun wieder in Ägypten und sitze nur herum." Genauso wie er kommt auch die Handlung des Romans nicht von der Stelle. Es gibt fesselnde und manchmal humorvolle Beschreibungen von Menschen und Orten. Aber das Buch kommt nicht recht in Fahrt und lässt Gamal nicht in Aktion treten.

Ebenso wie in den beiden vorherigen Romanen gibt es auch in "Menorahs and Minarets" sympathische jüdische Charaktere. Aber keiner von ihnen ist so liebenswert wie Galals Großvater Zaki, der den ersten Teil der Trilogie dominiert. War Zaki anwesend, traten die Konflikte zwischen den Juden und Muslimen in Ägypten scharf und lebhaft hervor.

Im dritten Roman dagegen senkt sich ein sanfter Nebel über die Vergangenheit. Der einzige jüdische Charakter, der in Kairo bleibt, ist Hazzan. Er erwähnt, die Juden seien in den 1950er Jahren „von den Männern der Revolution schlecht behandelt worden", erläutert dies aber nicht genauer. Und als guter Patriot fügt er schnell hinzu: "Die Zionisten waren noch schlimmer. Sie haben versucht, uns Israel schmackhaft zu machen. Sie sagten, es sei das versprochene Land, in dem gute Dinge auf uns warten."

Was ist geschehen, dass die jüdische Bevölkerung Ägyptens aus dem Land vertrieben wurde, während Galal in Paris war?  Darauf gibt das Buch keine Antwort.

Die Diaspora des Herzens

Sein Werdegang macht Galal zu einem wunderbar komplexen Charakter: Er ist ein Mann der Mittelklasse, der die Armen hasst und gleichzeitig schätzt. Er ist ein Muslim, der nicht recht weiß, was er von seiner jüdischen Familie halten soll. Und er ist ein Sohn, der seine Mutter liebt, wenn sie weg ist, und sie verabscheut, wenn sie in der Nähe ist. Obwohl Galal nicht mehr jung ist, könnte dieser dritte Teil der Trilogie ebenfalls ein Entwicklungsroman sein, da er sich – wie der Hauptdarsteller von Waguih Ghalis Klassiker Beer in the Snooker Club (Bier im Billardclub) – nie entschieden hat, erwachsen zu werden.

Die schuldbelastete und mit Konflikten beladene Beziehung zwischen Galal und seiner Mutter bildet den Kern von "Menorahs and Minarets". Galal fragt sich, ob Camellia eine "unselige Mutter" war und er selbst ein "undankbarer und ungerechter Sohn? Oder ist etwa eine Diaspora des Herzens schuld, für die wir beide nichts können und die uns beide gleichermaßen verletzt hat?"

Dies ist ein bewegender Moment. Aber er hinterlässt beim Leser die unbequeme Ahnung, dass dieses Mutter-Sohn-Verhältnis auch ein Symbol für die Beziehung zwischen Ägypten und seiner jüdischen Gemeinde sein könnte. War auch diese Beziehung eine "Diaspora des Herzens"? Gingen zwei Bevölkerungsgruppen getrennte Wege, ohne dass irgendjemand schuld daran war?

Die Trilogie beginnt hoffnungsvoll: mit dem muslimischen Jungen Galal, der in Kairo von einer jüdischen Familie aufgezogen wird. Sie endet aber ambivalent, in derselben Stadt, mit einer muslimischen Beerdigung für einen jüdischen Heimkehrer. Gegen Ende des Romans leidet die Handlung darunter, dass sie ständig abschweift und nie einen offenen, kritischen Blick darauf wirft, was Ägypten mit dem Exodus seiner jüdischen Bevölkerung verloren hat. Aber sogar dieses ständige Abschweifen passt in das faszinierende Bild, das Ruhayyim entworfen hat. Zwischen Friedensangebot, Lobrede und Nationalismus wird der Roman zusammengehalten von einer Hauptfigur, die sich nie entscheidet, was sie eigentlich will.

Marcia Lynx Qualey

© Qantara.de 2017

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

Kamal Ruhayyim: "Menorahs and Minarets", The American University in Cairo Press 2017, aus dem Arabischen übersetzt von Sarah Enany.