Zwischen Katastrophen- und Hofberichterstattung

Der Journalismus in Ägypten neigt dazu, die Rolle der Regierung in den Mittelpunkt zu stellen und die Zivilgesellschaft zu vernachlässigen. Dagegen eröffnet das Internet neue Möglichkeiten, die aber besser genutzt werden sollten, meint Noha El-Mikawy.

Der Journalismus in Ägypten neigt dazu, die Rolle der Regierung in den Mittelpunkt zu stellen und die Zivilgesellschaft zu vernachlässigen. Das führt bei zivilgesellschaftlichen Kräften zu einem Gefühl von Ohnmacht und Frustration. Das World Wide Web eröffnet neue Möglichkeiten, die besser genutzt werden sollten. Mehr Kompetenzen und Vertrauen sowohl bei den Medien als auch bei der Zivilgesellschaft könnten zu einer besseren Regierungsleistung beitragen. Von Noha El-Mikawy

Foto: AP
Internet-Userin in Alexandria

​​Nahla, eine Mutter von drei Kindern, lebt in einem Wohnviertel des gehobenen Mittelstands von Kairo. Mehrere Tage in der Woche engagiert sie sich in einer Gruppe von Frauen, die sich um allein erziehende Mütter und Waisenkinder kümmert.

Dazu sammelt Nahla Geld bei reichen Freunden, weil das Ausmaß der Armut ihre eigenen begrenzten Mittel überfordert. Ihr Engagement erfährt keinerlei Unterstützung durch die Medien.

"Bad news are good news"

Weder die ägyptischen Zeitungen noch das Fernsehen berichten über Bemühungen von Bürgern, die Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten haben und etwas bewegen wollen.

Stattdessen bringen sie Geschichten über Leute, die auf der Landstraße in ihrem Dorf überfahren wurden. Die Journalisten berichten dann darüber, wie die Dorfbewohner jahrelang ohne Erfolg eine Fußgängerbrücke gefordert haben.

In das Dorf selbst würde ein Reporter nur dann kommen, wenn es einen Aufstand und gewalttätige Proteste gibt, bei dem beispielsweise ein Bus angezündet wird und am Ende tatsächlich eine Brücke gebaut wird.

Die Medienberichte betonen dann üblicherweise, dies sei "mit Unterstützung des Präsidenten" oder der "First Lady" geschehen. Die Moral der Geschichte ist also: Ziviler Einsatz lohnt sich nicht, nur Tod und Vandalismus werden beachtet.

Die Berichterstattung in den konventionellen Medien bewegt sich zwischen Applaus für die Taten der Präsidentenfamilie und Beschämung der Regierung. Die Berichterstattung über den miserablen Zustand des ägyptischen Bildungssystems beschränkt sich beispielsweise auf Klagen und Beschwerden.

Das ist zwar nötig und spiegelt zudem die Position der Zivilgesellschaft. Doch eine solche Berichterstattung ignoriert das zivilgesellschaftliche Engagement für kreative und lokale Lösungen.

Zeitungen und politische Talkshows widmen sich zwar kontroversen Themen und geben die Vielfalt der Meinungen wieder. Die Experten, die sie zu Wort kommen lassen, präsentieren sie aber als Individuen, statt darauf zu achten, ob sie möglicherweise in der Zivilgesellschaft aktiv sind.

"Staatsnah" bleiben

Auch die zivilgesellschaftlichen Akteure neigen dazu, mit dem Staat allzu pfleglich umzugehen. Sie spielen individuelle Initiative und kollektive Solidarität herunter, weil sie mit Behörden zu tun haben, die sich selbst als Vertreter des allgemeinen Interesses verstehen. Regierungsinstitutionen intervenieren in die Zivilgesellschaft auf unberechenbare und spontane Art und Weise.

Daher versuchen NRO-Mitarbeiter die Politik dadurch zu beeinflussen, dass sie "staatsnah" bleiben – zum Beispiel indem sie die Spitze ihrer eigenen Organisation ans Parlament oder die regierende Partei binden.

Das erleichtert zwar den regelmäßigen Kontakt mit der politischen Elite, aber es trägt nicht dazu bei, nichtstaatliche Organisationen aus Sicht der Medien als relevante und eigenständige Akteure zu etablieren.

Zweifellos haben Wirtschafts- und Unternehmensverbände, Handelskammern und Gewerkschaften einiges Talent, die Medien zu mobilisieren. Einige Denkfabriken und einzelne Geschäftsleute beschäftigen sogar Mitarbeiter für Öffentlichkeitsarbeit. Doch das sind Ausnahmen.

Nur sehr finanzkräftige Organisationen können sich solche Mittel leisten. Zudem müssen sie kontinuierlich abwägen, ob sich der Einsatz der Medien wirklich mehr lohnt als die Pflege eines direkten, persönlichen Kontakts zu politischen Entscheidungsträgern.

Die Mehrheit der nichtstaatlichen Organisationen tut sich schwer damit, gute Pressemitteilungen zu schreiben und die finanziellen Mittel für die Pflege von Medienkontakten aufzubringen. Ein Hindernis für effektive Medienkampagnen besteht zudem darin, dass Journalisten oft nicht in der Lage sind, den "Nachrichtenwert" von komplexen Themen zu erkennen.

Viele beherrschen nicht die nötigen investigativen Techniken, um in einem Umfeld, das den freien Fluss von Informationen behindert, widersprüchliche Informationen zu deuten und relevante Fakten aufzudecken.

Internationale Geber bieten zwar Ausbildungsprogramme für Journalisten an, aber nur wenige enthalten Workshops zu investigativem Journalismus, neuen Recherchemethoden oder ethischer Lobbyarbeit. Und nur wenige bieten Praktika im Ausland. Die meisten Kurse sind im Stil von konventionellem Frontalunterricht mit Vorlesungscharakter gehalten.

Möglichkeiten des Internets

Das Internet trägt dazu bei, dass die Situation sich ändert. Zivilgesellschaftliche Gruppen nutzen zunehmend Internetplattformen. Bislang freilich bieten sie meistens nur journalistisches Material, das konventionelle Medien bereits veröffentlicht haben. Wenige Internetseiten nutzen moderne interaktive Möglichkeiten.

Die wenigen Organisationen, die auf solche Anwendungen setzen, erweitern dadurch den öffentlichen Raum, in dem sie gehört werden. Leider kann das Internet aber auch für dubiose Geschäfte und zur Verbreitung von verschlüsselten Botschaften und Hass-Ideologien genutzt werden, die den Terrorismus fördern. Das zeigt, dass die neuen Medien ein zweischneidiges Schwert sind.

Andererseits trägt das World Wide Web dazu bei, das Vertrauen der Bürger zu stärken, dass sie friedlich etwas bewegen können. Längerfristig kann das die Fixierung der Medien auf die Regierung schwächen.

Das World Wide Web bietet zudem die Möglichkeit, sich mit zivilgesellschaftlichen Organisationen auf internationaler Ebene zu vernetzen. Auch das kann den Fokus weg von der eigenen Regierung verschieben.

Online-Erfolgsmodelle

Zum Beispiel www.Islamonline.net, die Internetseite einer Organisation aus Katar. Ihr Büro in Ägypten, das ungefähr 200 Mitarbeiter hat, ist verantwortlich für den Inhalt, das Konzept und die tägliche Bearbeitung der Seite. Sie bietet Ansätze und Ideen unter anderem von führenden ägyptischen Intellektuellen der "Egyptian Centrist Islamic Movement", die den Islam als Wegweiser hin zu einer modernen Gesellschaft verstehen.

Vor allem aber will Islamonline.net Brücken zu einem breiteren Publikum bauen. Die Seite bietet beispielsweise Frage-und-Antwort-Angebote, die Internetnutzer aus allen Kontinenten anziehen.

Die Plattform organisiert zudem Live-Dialoge, zu denen etwa die Eltern amerikanischer Soldaten im Irak eingeladen waren. Artikel zu Themen wie Entwicklungspsychologie, Film und Theater, Ausbreitung von Wüsten sowie Wiederaufbereitung von Wasser zeigen das Bestreben, an die globale Entwicklungsdebatte anzuknüpfen.

Ein weiteres, viel versprechendes Beispiel ist die Internetseite www.AGEG.net. Im Jahr 2000 wurde AGEG als eine linksgerichtete Bewegung mit dem Ziel gegründet, Hilfsgüter wie Medizin und Kleidung für Palästinenser zu sammeln.

AGEG will die ägyptische Zivilgesellschaft zudem an die internationale Bewegung der Globalisierungskritiker anbinden. Kampagnen gegen die Privatisierung von öffentlichen Versorgungsbetrieben und für die Gründung von Bürgerinitiativen zum Schutz vor hohen Preisen und schlechter Qualität sind Beispiele für zivilgesellschaftliche Aktionen mit Bezug zu globalen Problemen.

Doch in der Regel spielt sich in Ägypten zivilgesellschaftliches Engagement gegen die Armut, wie das von Nahla, weiterhin im Stillen ab und wird von den Medien nicht beachtet. Nur einige wenige, gut ausgestattete Organisationen halten Verbindung zu den konventionellen Medien, noch weniger zu den neuen Medien.

Die Berichterstattung konzentriert sich auf die Regierung und schwankt zwischen Anbiederung und Kritik. Damit nutzen die Medien ihre Möglichkeiten zu wenig, gewissermaßen als "Cheerleader" auf erfolgreiche Beispiele zivilgesellschaftlicher Arbeit hinzuweisen.

Dr. Noha El-Mikawy

© Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit 7/2004

Die Autorin arbeitet als "Senior Researcher" am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) in Bonn.

Mehr Informationen über das Thema Internet und Zivilgesellschaft in der islamischen Welt finden Sie in unserem Webdossier