Der Fels in der Brandung der Atlaslöwen

Zum ersten Mal seit 20 Jahren ist Marokko bei einer WM-Endrunde dabei. Zentrale Figur bei diesem Erfolg ist Abwehrchef Benatia, der für eine Qualifikation ohne Gegentore gesorgt hat. Von Bachir Amroune

Von Bachir Amroune

Abidjan am 11. November 2017. Der marokkanischen Auswahl würde ein Unentschieden genügen, um sich für die WM in Russland zu qualifizieren. Die Ivorer selbst haben ein Remis in Marokko erzwungen und hoffen auf die vierte WM-Qualifikation in Folge.

Für die favorisierten Gastgeber kommt es allerdings anders als erwartet: der französische Meistertrainer Hervé Renard lässt die Marokkaner, anders als üblich, offensiver spielen. Bereits in der 25. Minute fällt das erste Tor durch Abwehrspieler Nabil Dirar und nur fünf Minuten später schießt Benatia das 2-0. Es ist das zweite Tor in 45 Auswahlspielen für den Innenverteidiger, der momentan zu den besten Afrikanern auf dieser Position gezählt wird.

In den restlichen 60 Minuten macht Benatia seinem Ruf als abgeklärter Abwehrchef alle Ehre. Die Spieler der Elfenbeinküste versuchen alles, ihr Ballbesitz erreicht fast 60 Prozent. Nur an der solide stehenden Verteidigung um den marokkanischen Kapitän kommen sie nicht vorbei.

Als nach 93 Minuten der Schlusspfiff ertönt, feiert eine ganze Nation. Sogar König Mohammed VI. äußert seine Freude über die große Heldentat der Nationalmannschaft. Für den 31-jährigen Benatia ist es der schönste Moment seiner Karriere, sagt er französischen Medien mit Tränen in den Augen.

Wechselhafte Karriere

Benatias fußballerischer Werdegang war allerdings nicht immer so glorreich. Sein Handwerk lernte der im Großraum Paris geborene Sohn eines Marokkaners und einer Algerierin mit 13 Jahren in der französischen Fußballkaderschmiede Institut National du Football Clairefontaine. Sehr früh werden Manchester United und Chelsea auf sein vielversprechendes Talent aufmerksam.

Doch der junge Mehdi will seine Karriere ruhiger und solider aufbauen. Mit 15 Jahren geht er zum Olympique Marseille, bekommt dort bereits mit 18 seinen ersten Profi-Vertrag.

Jubelnde Spieler Marokkos beim Spiel in Abidjan gegen die Elfenbeinküste. Foto: Getty Images/AFP Foto:
Marokkos Spieler feiern die Qualifikation zur WM 2018: Als nach 93 Minuten der Schlusspfiff in Abidjan ertönt, feiert eine ganze Nation. Sogar König Mohamed VI. äußert seine Freude über die große Heldentat der Nationalmannschaft. Für den 31-jährigen Benatia ist es der schönste Moment seiner Karriere, sagt er französischen Medien mit Tränen in den Augen.

Das bleibt aber auch zunächst für lange Zeit der Höhepunkt seiner jungen Karriere. Der Marseiller Coach José Anigo lässt Benatia nämlich auf der Bank. Nach einer Durstrecke von vier Saisons, die er als Leihgabe bei verschiedenen französischen Clubs fristet, landet er mit 22 Jahren sogar beim Zweitligisten Clermont Foot. Nicht gerade das, wovon ambitionierte junge Fußballprofis träumen.

Im Nachhinein erweist sich aber genau das als Glücksfall für seine Karriere: durch die regelmäßige Spielpraxis zieht Mehdi Benatia wieder die Blicke auf sich. Zwei Jahre später, im Sommer 2010, wechselt er zum italienischen Udinese Calcio. Der 1,90-Meter-Hüne fühlt sich hier sofort wohl und setzt sich als Stammspieler durch.

Im Land des Catenaccio kommen seine Qualitäten als knallharter Verteidiger zur Geltung. Es folgt ein kometenhafter Aufstieg, mehrere englische und italienische Clubs interessieren sich für ihn. Im Sommer 2013 wechselte er schließlich zum AS Rom gegen eine Ablösesumme von 13,5 Millionen Euro.

In der italienischen Hauptstadt entwickelt sich Benatia zum besten Innenverteidiger Italiens und einem der besten Europas. Er ist technisch stark, antizipiert das Spiel sehr gut und ist zudem torgefährlich. An der Seite von Francesco Totti schießt er in der Saison 2013-14 5 Tore und wird italienischer Vizemeister.

Pech trotz Titel bei Bayern

Das ruft die Bayern auf den Plan. Statt seinen Erfolg bei Rom auszubauen, folgt Benatia dem Ruf des Gelds an die Isar: mehr als 28 Millionen Euro haben die Münchner hingeblättert. Doch in München geht es mit Benatia wieder bergab. Er hat Schwierigkeiten mit der bayerischen Mentalität, wird von Verletzungen geplagt und hat keinen guten Draht zum damaligen Trainer Guardiola.

An den beiden deutschen Meistertiteln von 2015 und 2016, die ersten Titel überhaupt in seiner Laufbahn, ist er wenig beteiligt. Die Bayern ziehen die Konsequenz aus ihrer Fehlinvestition und lassen Benatia im Sommer 2016 wieder in die Serie A ziehen. Diesmal als Leihgabe mit Kaufoption an Juventus Turin.

Mehdi Benatia von Juventus Turin bei einer PK; Foto: Getty Images/S.Barbour
Rassismus-Skandal in der italienischen Liga: Nach einer üblen Beleidigung im vergangenen Mai hatte Medhi Benatia, der bei Juventus Turin verpflichtet ist, ein Interview mit dem TV-Sender RAI 2 empört abgebrochen. Während einer Live-Schaltung war plötzlich aus dem Hintergrund eine männliche Person zu hören gewesen, die die Leihgabe von Bayern München als "Scheiß-Marokkaner" beschimpfte. Der 30-Jährige sagte darauf nur noch: "Da beleidigt mich jemand." Dann brach er das Gespräch ab. Der Sender entschuldigte sich in einer Mitteilung für den "bedauerlichen Rassismus-Vorfall".

Aber auch in Turin läuft es nicht gut. Verletzungsbedingt spielt er in der ersten Saisonhälfte gerade einmal einen Drittel der Pflichtspiele. Seine Zukunft scheint Anfang 2017 ungewiss. Nach dem enttäuschenden Ausscheiden gegen Ägypten im Viertelfinale der Afrikameisterschaft im Januar, erklärt er sogar seinen Rücktritt von der marokkanischen Nationalmannschaft, deren Kapitän er seit 2015 ist.

Wenige Monate später lächelt ihm das Glück aber wieder zu: Die Bianconeri machen von ihrer Kaufoption Gebrauch und lösen Benatia gegen 17 Millionen Euro endgültig von den Bayern ab. Zum Ende der Saison gewinnt er mit Juventus das Double und erhält einen Vertrag bis 2020.

Glücksfall für Marokko

In der neuen Saison profitiert Benatia vom Wechsel seines Teamkonkurrenten Leonardo Bonucci zum AC Mailand und wird Stammspieler bei der alten Dame. Von seinem Formhoch profitieren auch die Atlaslöwen: neben der erfolgreichen WM-Qualifikation sind seit einem Jahr und 18 Spielen ungeschlagen. Sein Scheitern mit Juventus im Champions-League-Viertelfinale gegen Real Madrid macht er durch ein erneutes Double wieder wett. Im Pokalfinale steuert in einem überragenden Auftritt gegen den AC Mailand sogar zwei Tore zum 4:0 Sieg bei.

Am Freitag wird es für die Marokkaner ernst: In Sankt Petersburg bestreiten sie gegen Iran ihr erstes WM-Spiel seit 20 Jahren. Ein Sieg ist Pflicht, wenn sie ihre Chancen auf eine Qualifikation für die zweite Runde aufrechterhalten wollen. Die anderen zwei Gruppengegner sind nämlich Portugal und Spanien. Nationaltrainer Renard wird wahrscheinlich wieder mauern und Abwehrchef Benatia kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

Sollte es Marokko in die KO-Runde schaffen, wäre es eine Sensation, aber nicht das erste Mal. 1986, ein Jahr vor Benatias Geburt, qualifizierten sich die Marokkaner als erste afrikanische Mannschaft für das Achtelfinale. Das Abenteuer in Mexiko beendete damals Deutschland mit 1:0.

Bachir Amroune

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