Scharf wie Tequila

Mit ihren schnörkellosen, anarchisch-hedonistischen Protestsongs trifft das junge Rap-Duo "Tigresse Flow" aus Casablanca den Nerv der jüngeren Generation Marokkos, ohne dabei westliche Hip-Hop-Idole zu imitieren. Von Thilo Guschas

Maria und Sofia von Tigresse Flow; Foto: Thilo Guschas
"Wir sind scharf wie Tequila...!": Die Texte des Rap-Duos Tigresse Flow sind hedonistisch-anarchisch angehaucht, auch sozialkritische Bezüge kommen zur Sprache

​​Maria und Sofia staunen mit weit aufgerissenen Augen. Was für Massen von marokkanischen Jugendlichen vor der Sporthalle Complexe Hassan II in Casablanca zusammenströmen! An die vierhundert sind es schon jetzt, die meisten von ihnen Jungs. Nicht alle tragen die obligatorischen tief hängenden Jeans, mit denen sich auch in Marokko die Rap-Fans zeigen. Möglicherweise sind es Anhänger von Maria oder Sofia.

Die beiden sind das Rap-Duo "Tigresse Flow", heute geben sie ihren ersten Auftritt. Ihre bloße Existenz ist schon eine kleine Sensation, denn Frauen sind als Akteure unerwünscht. "Tigresse Flow" ist eine der ersten Rap-Mädchenbands des Landes.

Sozialkritik und Hedonismus

Maria, mit Künstlernamen "MC Flow", schnaubt ins Mikrophon. Sofia, die sich "Destratra" nennt, kreischt den Bandnamen: "Tigresse Flow!" und setzt einen Rap-Schwall frei, in einer "Hier sind wir"-Attitüde, die beim Rap nun mal dazugehört: "Wir sind scharf wie Tequila ...!" Computer-Drums dreschen wild drauf los. So klingt ihr erster Song auf CD, vor kurzem eingespielt.

Die Texte von "Tigresse Flow" haben das Rap-typische Element der Selbststilisierung, sie sind hedonistisch-anarchisch. Aber es gibt auch sozialkritische Songpassagen, etwa über die in Marokko herrschende Armut. Ihre Vorbilder sind amerikanische Künstler, wie die Rapperin Da Brat und der Hip-Hopper Mack 10. Das Duo singt marokkanisch-arabisch und französisch, mit gelegentlichen englischen Einsprengseln.

Noch ist ihr Bekanntschaftsgrad nicht besonders groß. Kein Wunder, denn "Tigresse Flow" gibt es erst seit gut einem Jahr. Von dem Erfolg anderer marokkanischer Rapbands, wie "Casa Crew", die im Staatsfernsehen auftreten, sind sie noch meilenweit entfernt. "Doch wer uns nun gut findet oder nicht, ist uns egal. Wichtig ist, dass wir unsere Botschaft übermitteln können!", meint Maria.

Stärkung der Frauenrechte unter Muhammad VI.

Und das tun sie. In ihren Rap-Songs lässt die Band viel Ärger raus. "Les droits d'une dame marocaine" lautet ein weiteres Stück aus ihrem Repertoire. Das Lied schreit hoffnungsfroh heraus, was sich alles unter dem jungen König Muhammad VI. abspielt, besonders was die Frauenrechte angeht. Die Idee stammt von Maria, die gerade ihre Jura-Abschlussarbeit darüber schreibt, wie sich die marokkanischen Frauenrechte entwickelt haben.

Die mit Abstand einschneidendste Änderung geschah vor rund vier Jahren, als Marokkos junger König Muhammad VI. die "Moudawwana", das Familienrecht, grundlegend änderte. Abgeschafft wurde die Pflicht der Frau, dem Mann zu gehorchen. Die Polygamie wurde erschwert. Frauen erhielten das Recht, selbst die Scheidung einreichen zu können. Das Mindestalter für die Hochzeit wurde von 15 auf 18 Jahre hoch gesetzt.

Auch Maria scheint ein europäisches Frauenbild zu verkörpern – auf den ersten Blick. Sie will promovieren, um Richterin zu werden. "Mit meinem Schwerpunkt wäre ich die Zweite in Marokko", sagt sie. Sie benutzt die gleichen Worte, mit denen sie über ihre Rapband spricht: "Ich will ein Zeichen setzen!"

Fast, als wäre das ehrgeizige Berufsziel nur Nebensache. Aber wird sie sich wirklich in dieser Männerdomäne durchbeißen können? Im Augenblick zögert sie vor einer Hürde, die vergleichsweise niedrig wirkt: ihren Eltern zu beichten, dass sie Rapmusik macht. Das weiß bislang niemand aus ihrer Familie.

Singlesein in Marokko

Als wir uns zum Interview treffen, ist gerade die neue "TelQuel" erschienen, Marokkos liberale Oppositionszeitung. Aufmacher des Blattes ist "ein neues Phänomen, das täglich an Bedeutung gewinnt: Singles." Es geht um Selbstbestimmung, unehelichen Sex, das Abwägen zwischen Familie und Karriere – und damit auch um ein selbstbewusstes und selbst bestimmtes Frauenbild, für das "Tigresse Flow" eintreten.

Singlesein ist in Marokko ein Tabuthema. Bislang findet das marokkanische Leben in Großfamilie und Nachbarschaft statt. Gut 60 Prozent der Marokkaner sind Landwirte, Fischer oder Bauarbeiter. Diese Berufsstruktur will die Regierung ändern, denn Marokko soll eine moderne Dienstleistungsgesellschaft werden. Unausweichlich bedeutet dies mehr Mobilität – und eine Lockerung der sozialen Kontrolle.

Der Traum von einem solchen, urbanen Leben schwingt mit, wenn "TelQuel" wirbt: "Wer als Single lebt, verzichtet auf einen Partner. Dafür kann man mehr als einen haben!"

Ja, den Single-Artikel haben Maria und Sofia gelesen, natürlich! Beide sprechen aufgewühlt: "Wir wollen das Vertrauen unserer Eltern nicht missbrauchen! Eine Frau hat ihre Ehre!", meint Maria, und umschreibt damit das Unaussprechliche – Sex vor der Ehe. Für die beiden ist das undenkbar.

Ich bemerke, dass ich mir die beiden Rapperinnen vorgestellt habe als deutsche junge Frauen, die in ein arabisches Land verpflanzt worden sind. Junge, europäisch-liberale Menschen, die im Clinch liegen mit den Altvorderen. Eine naive Annahme.

Zweifelhafte Emanzipation

Die beiden sind hier in Marokko aufgewachsen, haben hier ihre Haltungen entwickelt. Ich frage Sofia: Warum gelten Verbote wie das Fremdgehen nur bei Frauen? "Einige Verbote sind durchaus positiv", kontert sie. "Etwa das Rauchverbot. Was verlieren wir denn dabei? Rauchen macht nur den Körper kaputt."

Tanzen, Rauchen, Sex – wahrlich keine zuverlässigen Anzeichen für "Freiheit", und als kulturelle Errungenschaften machen sie, für sich genommen, kaum Sinn. Sie sind oft willkürliche Symbole einer westlichen "Ideologie". Müssen Sofia und Maria auf genau diese Symbole zurückgreifen, um sich zu emanzipieren?

Die Youngsters, die schon seit einer Stunde auf den Einlass zum Hip-Hop-Konzert warten, sind mittlerweile an die 600 Personen. Ein Tumult entsteht. Der Direktor der Sportanlage hält eine der Eintrittskarten in die Luft: "Die sind gescannt, die sind nicht echt. Es waren 300 Gäste angekündigt. Mehr kann ich nicht verantworten!"

"Das Konzert ist abgesagt, basta!" Einige aus der Menge pfeifen mit den Fingern. "Typisch Marokko!", ruft Maria erregt. "Alles beschissen organisiert!" Es ist unterdrückte Wut zu spüren, aber sie entlädt sich nicht. Sicherheitsbeamte in braunfarbenen Uniformen schieben die Masse vom Eingangstor weg, langsam, routiniert. Die Jugendlichen spuren, merkwürdig lautlos, wie Komparsen in einer Choreografie.

Thilo Guschas

© Qantara.de 2007

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