Eigeninitiative gefragt!

Immer mehr marokkanische Uni-Absolventen kehren nach ihrem Studium in Deutschland in ihre Heimat zurück, um sich dort eine Existenz aufzubauen. Kein leichtes Unterfangen - doch staatliche und private Organisationen helfen bei der Existenzgründung. Von Martina Sabra

Immer mehr marokkanische Uni-Absolventen kehren nach ihrem Studium in Deutschland in ihre Heimat zurück, um sich dort eine Existenz aufzubauen. Kein leichtes Unterfangen - doch staatliche und private marokkanische Organisationen versuchen, die Existenzgründung zu erleichtern. Von Martina Sabra

Logo der marokkanischen Rückkehrerorganisation MVDAFF

​​Ahmed Muhtaram hat zehn Jahre in Köln gelebt und dort an der Fachhochschule Sozialpädagogik studiert. 1999 kehrte er nach Marokko zurück. Seither arbeitet er in seiner Heimatstadt Casablanca bei "Bayti", einer Organisation für Straßenkinder.

Er ist Leiter eines Berufsbildungsprojektes für Jugendliche. Von seiner Ausbildung in Deutschland profitiere er sehr, sagt Ahmed: "Hier in Marokko hätte ich auch Sozialarbeit studieren können, aber alles bleibt reine Theorie. Das Besondere am deutschen Studium ist die Praxisorientierung."

Praktische Erfahrung gefragt

Ein üppiges Gehalt bekommt Ahmed nicht: umgerechnet rund 400 Euro pro Monat. Aber der 35jährige mag seine Arbeit, und da er im Haus der Eltern eine Wohnung hat, kommt er mit dem Geld zurecht. Er habe Glück gehabt, sagt Ahmed - doch ein wenig hat er dem Glück auch nachgeholfen.

"Meine Diplomarbeit habe ich über Straßenkinder in Marokko geschrieben, und das Anerkennungsjahr habe ich in Casablanca bei einem privaten Verein gemacht. Dann bin ich noch mal nach Deutschland geflogen, um das Examen zu machen, und das war’s. Ich hatte meine Rückkehr ziemlich genau vorgeplant."

Den Kontakt zum Heimatland halten, möglichst viele praktische Berufserfahrungen in beiden Ländern sammeln und die Rückkehr rechtzeitig vorbereiten - das empfiehlt der "Reintegrationsberater" der Rückkehrervereinigung MVDAFF, der in Rabat jungen marokkanischen Rückkehrern Orientierung geben soll.

Denn die meist jungen Rückkehrer stehen vor einer doppelten Herausforderung: sie müssen ihren Einstieg in den Beruf finden, und sich gleichzeitig nach langer Abwesenheit wieder in ihrem Land zurechtfinden, das ihnen oft fremd geworden ist, und wo rund ein Viertel der 25-30jährigen arbeitslos sind.

Staatliche und private Finanzhilfen

Eingliederungshilfen sind gering, zumal die deutsche Bundesregierung ihre Zuschüsse zur Integration marokkanischer Rückkehrer im Jahr 2000 eingestellt hat.

Immerhin: das marokkanische Arbeitsministerium bietet kleine Programme für Existenzgründer an, und die beiden privaten Kleinkreditorganisationen "Zakoura Microcrédits" und "Amana" haben spezielle Programme für junge Arbeitssuchende.

Auf jeden Fall sollten RückkehrerInnen sich frühzeitig - am besten einige Monate vor der Ausreise nach Marokko - bei der zuständigen evangelischen oder katholischen Studentengemeinde in Deutschland erkundigen.

In einigen Städten helfen die Evangelische Studentengemeinde (ESG) und die Katholische Studentengemeinde (KSG) bei Vorlage eines schlüssigen Projektes bei der Organisation finanzieller Starthilfen, um die ersten Monate im Heimatland zu überbrücken.

Ahmed Muhtaram, der Sozialpädagoge in Casablanca, erhielt mit Hilfe der ESG in Köln unmittelbar nach seiner Rückkehr mehrere Monate einen Zuschuss zum Lebensunterhalt.

Vernetzung und Erfahrungsaustausch

Rückkehrer brauchen aber nicht nur Geld - auch Informationen und moralischer Beistand können nützlich sein. Der Rückkehrerverein MVDAFF in Rabat versteht sich als Netzwerk und Kontaktbörse.

Das Goethe-Institut in Rabat stärkt mit Seminaren ebenfalls die Vernetzung und ermöglicht darüber hinaus den Erfahrungsaustausch zwischen den bereits Zurückgekehrten und jenen, die ihr Studium noch vor sich haben.

Wie wichtig dieses Angebot ist, zeigte sich bei einem Seminar Anfang Dezember in Rabat, zu dem rund 250 TeilnehmerInnen aus ganz Marokko anreisten: vom gestandenen 50jährigen Professor aus Agadir bis zur 18jährigen, frischgebackenen Abiturientin aus Tanger.

Neben praktischen Themen - wie Zulassung, Visum und Finanzierung des Studiums - wollten die jungen Leute vor allem wissen, wie es den Rückkehrern in sozialer und kultureller Hinsicht ergangen ist:

Wie kommt man in der deutschen Gesellschaft zurecht, wie findet man Zugang zu Nichtmarokkanern, wie sind die Beziehungen zum anderen Geschlecht? Was passiert mit der eigenen Identität? Und immer wieder: Wie soll man als Muslim/a der zunehmenden Islamfeindlichkeit begegnen, wie ausgeprägt ist der Rassismus?

Die Ethnologin Regine Penitsch, die im Rahmen ihrer Doktorarbeit die Werdegänge und Einstellungen junger marokkanischer Studierender in Berlin erforscht hat, lieferte mit den Ergebnissen ihrer Arbeit einige wichtige Anstöße für die Diskussion:

"Die meisten marokkanischen Studierenden in Deutschland sind jung, und befinden sich in einer sehr wichtigen Lebensphase. Da kommt es fast immer zu Identitätskonflikten. Solche Krisen können durchaus positiv ausgehen. Aber klar ist, dass die jungen Akademiker als ganz neue Persönlichkeiten zurückkommen und sich erst wieder in die marokkanische Wirklichkeit einfügen müssen."

Deshalb sei für Rückkehrer nicht nur die finanzielle Hilfe wichtig, sondern auch die psychosoziale Vorbereitung. Dennoch ist in manchen Fällen einfach nichts zu machen.

Hürdenreicher Start ins Berufsleben

Nabil aus Fes – seinen Familiennamen möchte er nicht preisgeben - war in Deutschland erfolgreicher Stationsarzt in einem Krankenhaus. Trotz fester Stelle wurde er abgeschoben, ist mittlerweile drei Jahre in Marokko und hat dort immer noch keine Zulassung.

Rachida Zoubid, diplomierte Verwaltungswissenschaftlerin und Doktorin der Philosophie, arbeitete nach ihrer Rückkehr mehrere Jahre ohne Bezahlung an der Universität, bis der marokkanische Staat endlich ihre deutschen Abschlüsse anerkannte. Jetzt ist sie ordentliche Professorin an der Uni Casablanca.

"Ich bin mit 38 Jahren gekommen, die Anerkennung hat zwei Jahre gedauert. Da war ich 40, und dann sagte man mir: Sie haben die 'Verwaltungsmenopause' erreicht. Mit 40 Jahren dürfen Sie nicht mehr arbeiten. Ich dachte, was soll das denn? Ich hatte immer geglaubt, es gäbe nur eine Menopause für die Frau!"

Bürokratie und vor allem Korruption machen vielen Rückkehrern in Marokko zu schaffen. Selbst schlecht bezahlte Stellen sind oft nur über Beziehungen zu bekommen.

Einige Rückkehrer aus Deutschland engagieren sich bei der Bewegung der arbeitslosen Akademiker. Die "diplomés chômeurs" veranstalten Sit-Ins und fordern Arbeitsplätze beim marokkanischen Staat. Oft werden ihre Demonstrationen mit brutaler Polizeigewalt aufgelöst.

Der 30jährige Mohammed - Textilingenieur mit Abschluss von der Fachhochschule Mönchengladbach - hält solche Demos für Zeitverschwendung. Er erwartet auch nichts von den Rückkehrervereinen: "Die marokkanischen Vereine, ob in Deutschland oder hier in Marokko, sind immer viel zu passiv. Die machen nichts!", meint er achselzuckend.

Hilf dir selbst - sonst hilft dir niemand!

Mohammed ist überzeugt, dass er sich selbst helfen muss, und dass er das auch kann. Mit guter Bezahlung rechnet er gar nicht erst. "Ich achte nicht auf Löhne, solange ich keine Erfahrung habe. Momentan möchte ich erst einmal meinen Lebenslauf mit ein bisschen Erfahrung schmücken. Erst danach kann ich sagen, ich möchte dies und das verdienen."

Mohammeds Studienkollege Aziz war acht Jahre lang in Deutschland und ist seit drei Monaten zurück in Marokko. Er wäre gern geblieben, aber seine Frau, ebenfalls Marokkanerin, wollte die gemeinsame Tochter gern in der Heimat einschulen. Aziz findet, dass sich Marokko sehr verändert hat:

"Alles ist teurer geworden, die Preise sind jetzt wie in Deutschland. Aber man verdient hier viel weniger", sagt er leicht resigniert. Dennoch findet Aziz auch Gutes: "Wir waren damals so hilflos. Die jungen Leute in Marokko, die jetzt 20 Jahre alt sind, sind viel selbständiger und zielbewusster wir. Das hat sich wirklich verändert."

Professorin Rachida Zoubid appelliert an ihre jungen Landsleute, nach vorn zu schauen und ihre Zukunft in Marokko aktiv anzugehen. Auch wenn das Heimweh nach Deutschland manchmal ganz schön an einem nagt.

"Man ist nur mit dem Körper hier in Marokko, wenn man so lange dort gelebt hat", sagt sie mit einem Anflug von Melancholie: "Ich habe immer Sehnsucht nach Deutschland."

Martina Sabra

© Qantara.de 2004