Zwischen Begehren und Tabu

Spricht man von Homosexuellen im Iran, sind damit in der Regel Männer gemeint. Nahezu totgeschwiegen, sind iranische Lesben nicht einmal Gegenstand homophober Witze. Doch die Pfeile des blinden Amor entzünden Leidenschaften auch unter iranischen Frauen – wo und wie auch immer. Von Shirin Soltani

Von Shirin Soltani

Das Rollenbild iranischer Frauen ist von Staat, Familie und Gesellschaft festgelegt: auf die Funktionen als Ehefrau und Mutter. Eine berufliche Karriere wird zwar vom Staat weniger gern gesehen, findet aber gesellschaftliche Zustimmung. Sexuelle Bedürfnisse aber, die von diesen Idealen und Funktionen abweichen, werden verleugnet oder totgeschwiegen. Lesbische Liebe ist im Iran ein Tabu.

Frauen haben es im Iran nicht leicht, Gefühle zu äußern. Es ist ihnen verboten, in der Öffentlichkeit zu singen, zu tanzen oder auch nur die Kleider zu tragen, die sie tragen möchten. Auf außerehelichen Geschlechtsverkehr mit einem Mann stehen Strafen vom Hausarrest bis zur Steinigung. "Widernatürliche Handlungen", wie lesbische Sexualität genannt wird, werden mit 100 Peitschenhieben geahndet. Für Wiederholungstäterinnen ist die Todesstrafe vorgesehen.

Damit es so weit nicht kommt, bietet der Staat lesbischen Frauen die Möglichkeit einer Geschlechtsumwandlung an. Die Beratungsstelle für Transsexuelle gibt ihnen sogar Ausweispapiere, die ihnen gestatten, sich ohne Hijab in der Öffentlichkeit zu zeigen, um sich in der Rolle als Mann auszuprobieren.

Doch damit manövrieren sie Lesben in eine unmögliche Situation: Denn Frauen, die in der Öffentlichkeit keinen Hijab tragen, fallen auf und werden Opfer von Zurechtweisungen aller Art. Der Ausweis der Beratungsstelle zwingt sie, sich öffentlich zu ihrer Homosexualität zu bekennen. Die Frauen werden zwangsgeoutet und so stigmatisiert. Und die Frage, ob sie ihre Sexualität überhaupt als Mann ausleben wollen, wird gar nicht erst gestellt.

Aufklären statt totschweigen

Im Iran gibt es keinen Aufklärungsunterricht in den Schulen und erst recht keine Institutionen oder Nichtregierungsorganisationen, die Frauen auf dem Weg zu ihren individuellen sexuellen Orientierungen zur Seite stehen. Nur wenige illegale iranische Weblogs, die vom Ausland aus betrieben werden, beschäftigen sich mit Homosexualität. In geheimen Chaträumen wagen es Frauen, sich auszutauschen.

Symbolbild Iranische Frauen und Verbote; Foto: Jamejamonline
Unter Männeraufsicht: In der Islamischen Republik haben es Frauen nicht leicht, Gefühle zu äußern. Es ist ihnen verboten, in der Öffentlichkeit zu singen, zu tanzen oder auch nur die Kleider zu tragen, die sie tragen möchten. Auf außerehelichen Geschlechtsverkehr mit einem Mann stehen Strafen vom Hausarrest bis zur Steinigung. "Widernatürliche Handlungen", wie lesbische Sexualität genannt wird, werden mit 100 Peitschenhieben geahndet.

Vor allem im Exil lebende Lesben setzen sich dafür ein, die Geschichten lesbischer Iranerinnen sichtbar zu machen. Eine davon ist die Berliner Lesbenberatung LesMigraS e.V. Sie veröffentlicht ihre Broschüren und Programme auch auf Persisch. Das ermöglicht halbwegs geschickten InternetnutzerInnen im Iran, die Netzzensur der Regierung zu umgehen und sich zu informieren.

Tatsächlich beobachtet Saideh Saadat-Lendle, die LesMigraS, Antidiskriminierungs- und Antigewaltbereich der Lesbenberatung Berlin leitet und sich seit über 25 Jahren für Aufklärung und Unterstützung von Lesben einsetzt, dass ein Wandel eingetreten ist: "Die jungen Menschen der 'Generation Internet', die seit 2009 den Iran verlassen, stehen dem Thema Homosexualität weit offener gegenüber als die Generationen davor. Das Internet und andere Kontakte zu queeren AktivistInnen und TheoretikerInnen außerhalb des Iran haben offensichtlich ermöglicht, dass gesellschaftspolitisch interessierte Menschen im Iran sich mit Zwangsheterosexualität und gleichgeschlechtlichen Lebensweisen auseinandersetzen", so Saadat-Lendle.

Auf dünnem Eis

Iranische Lesben, die in Deutschland aktiv wurden, kommen meistens aus der iranischen Frauenbewegung bzw. schlossen sich zum Teil der iranischen Frauenbewegung an, um ihren Forderungen nach Selbstbestimmung über ihre Körper und Lebensweise Gehör zu verschaffen. So haben sie seit Ende der 1980er Jahre durch Präsenz und Aufklärungsarbeit die Geschichten iranischer Lesben beleuchtet und ihnen Gestalt gegeben.

Ihre Absicht war, "die aktive politische Opposition und die Frauenbewegung als Multiplikatoren zu nutzen und den dort aktiven Personenkreis für die Ignoranz und Intoleranz gegenüber weiblicher Sexualität und Lesben zu sensibilisieren." Dies sei, so Saideh Saadat-Lendle, innerhalb der Frauenbewegung in Deutschland auch gelungen.

Saideh Saadat-Lendle; Foto: privat
"Die jungen Menschen der 'Generation Internet', die seit 2009 den Iran verlassen, stehen dem Thema Homosexualität weit offener gegenüber als die Generationen davor. Das Internet und andere Kontakte zu queeren AktivistInnen außerhalb des Iran haben offensichtlich ermöglicht, dass gesellschaftspolitisch interessierte Menschen im Iran sich mit Zwangsheterosexualität und gleichgeschlechtlichen Lebensweisen auseinandersetzen", sagt Saideh Saadat-Lendle.

Bewege man sich aber aus diesem Kontext heraus, erklärt die Gender-Aktivistin weiter, werde die Schicht, auf der man als engagierte Lesbe agiere, dünn. In dem Teil der iranischen Community, der sich wenig oder gar nicht für gesellschaftspolitische Themen interessiere, stießen Lesben nach wie vor auf Unverständnis. Das Tabu gleichgeschlechtlicher Partnerschaften werde weiterhin gepflegt, so dass nur wenige Frauen das Coming Out wagten.

Die Schocktherapie

Dennoch habe die Arbeit der iranischen Frauenbewegung dazu beigetragen, dass immer mehr Lesben in der Diaspora es wagten, sich öffentlich und in ihren Familien zu outen. Und es sei zu beobachten, führt Saadat-Lendle aus, dass sich die Familien nach anfänglicher Ablehnung und Irritation schnell beruhigten und die Frauen so akzeptierten, wie sie seien.

Hinzu komme, dass Familien in vielen europäischen Staaten sowie in Kanada und den USA die Möglichkeit hätten, Beratungsstellen aufzusuchen. Gleichgeschlechtliche Ehen sind in vielen dieser Länder entweder bereits erlaubt oder, wie in Deutschland, in der Diskussion, so dass Vorurteile und Ängste besorgter Eltern schon durch Standesbeamte, Hausärzte oder Psychotherapeuten relativiert werden könnten.

Die Einsicht, dass Lesben von Gott und der Natur gewollte gesunde Personen seien, setze sich bei den Familien relativ schnell durch. Die gebürtige Iranerin betont allerdings, dass dies nur für Familien, die außerhalb des Irans leben, gelte. Im Iran schützten Lesben ihre Familien vor Scham und gesellschaftlichen Repressalien in der Regel, indem sie ihnen ihre Lebensumstände verschwiegen.

Im "Paradies"

Doch nicht nur politisch aktive Frauen und engagierte Männer bewegen die Schicksale homosexueller Iranerinnen. Auch iranstämmige KünstlerInnen nehmen dazu Stellung. Das spektakulärste Statement in den vergangenen Jahren war das Video "Behesht" (deutsch "Paradies") von 2014, gesungen von der iranischen Pop-Ikone Googoosh.

"Behesht" erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die einen Heiratsantrag bekommt. Doch ihre Liebe zu der Person, die anfänglich nicht gezeigt wird, stößt auf Ablehnung in der Gesellschaft und im Elternhaus. Die junge Frau zieht sich verzweifelt zurück, bis sie ihrer Liebe auf einem Konzert Googooshs wieder begegnet. Daserst ist der Moment, in dem klar wird, dass es sich um ein lesbisches Paar handelt. Das Video endet mit der Botschaft: "Freedom to Love for All".

Der Schauspieler und Regisseur des Videos, Navid Akhavan, rührte mit seinem Tabubruch die Herzen der IranerInnen weltweit. In einem Interview mit Iran Journal berichtete er, dass ihn selbst am stärksten die Reaktionen der LGBTs im Iran berührt hätten: "Viele aus der LGBT-Community im Iran haben uns geschrieben, dass sich ihr Leben mit der Veröffentlichung des Videos positiv verändert hat.“. Ihm sei zum ersten Mal bewusst geworden, so Akhavan, "was für eine Kraft man mit der Kunst hat".

Die Sängerin Googoosh, deren hohes Renommee zur Popularität des Videos beitrug, bezog in "Behesht" klar Stellung. Es war das erste Mal, dass eine KünstlerIn von solchem Format sich des Themas gleichgeschlechtliche Liebe annahm. Die Regierenden im Iran warfen ihr vor, "moralischer Verderbtheit Tür und Tor geöffnet" zu haben. Auch Navid Akhavan blieb von negativem Feedback nicht verschont: "Kommentare, in denen etwa Homosexuelle mit Pädophilen gleichgestellt wurden, haben mich schockiert", erinnert er sich.

Doch genau diese Widerstände sieht Navid Akhavan als Aufforderung, sich weiterhin für die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Partnerschaften einzusetzen: "Wir müssen zeigen, dass wir auf der Seite der Menschen aus der LGBT-Community stehen und sie genauso als Teil unserer Gesellschaft akzeptieren wie jeden anderen Menschen auch."

Es bedarf Hartnäckigkeit und des Engagements auf vielen Ebenen, um sexuelle Tabus zu brechen. Denn die (Homo-)Sexualität iranischer Frauen zu thematisieren, bedeutet auch, an den Normen patriarchaler Systeme wie dem des Iran zu rütteln.

Shirin Soltani

© Iran Journal 2016