Daumenschrauben für Medienmacher

Mit einer Festnahmewelle ist die türkische Justiz gegen regierungskritische Medienvertreter vorgegangen. Beobachter sprechen von einem schwarzen Tag für die Pressefreiheit in dem EU-Bewerberland. Aus Istanbul berichtet Thomas Seibert

Von Thomas Seibert

Ekrem Dumanli wurde gefeiert wie ein Held. Beifall und Sprechchöre von Mitarbeitern und Unterstützern brandeten auf, als der Chefredakteur der türkischen Zeitung "Zaman", der nach eigener Darstellung größten Tageszeitung des Landes, am Sonntag (14.12.2014) kurz nach Mittag von Polizisten aus dem Redaktionsgebäude in Istanbul geführt wurde. Dumanli war zum prominentesten Betroffenen einer landesweiten Festnahmewelle der Polizei geworden.

"Zaman" zählt wie der ebenfalls von den Festnahmen getroffene Fernsehsender "Samanyolu TV" zur Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen. Dieser war lange ein Anhänger des heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, überwarf sich aber im vergangenen Jahr mit dem starken Mann der Türkei. Seitdem herrscht Krieg zwischen den beiden Lagern. Erdogan wirft Gülens Bewegung vor, den Staat unterwandern zu wollen. Dumanli und mehr als 20 weiteren Journalisten, Fernsehleuten und Ex-Polizisten, die am Sonntag festgenommen wurden, wird die Bildung einer bewaffneten Terrororganisation vorgeworfen.

"Racheaktion"

Wie ein Zeitungsmann zum bewaffneten Terroristen geworden sein soll, behielt die Staatsanwaltschaft am vergangenen Sonntag (14.12.2014) zunächst für sich. Die Anwälte der Festgenommenen hätten die Anschuldigungen gegen ihre Mandanten nicht einsehen dürfen, meldete "Zaman".

Der türkische Präsident Erdogan; Foto: dpa/picture-alliance
Abrechnung mit dem politischen Rivalen: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte am 12. Dezember angekündigt, er werde die Gülen-Anhänger "bis in ihre Schlupfwinkel" verfolgen. Gülen war lange ein Verbündeter und Weggefährte Erdogans, brach jedoch mit ihm, als die Regierung versuchte, das vom ihm betriebene Netzwerk von Schulen und Nachhilfeeinrichtungen unter ihre Kontrolle zu bringen.

Die meisten Beobachter waren sich einig, dass die Erdogan-treue Justiz und Polizei mit den Razzien und Festnahmen ein Zeichen kurz vor dem 17. Dezember setzen wollten: An diesem Tag jährt sich das Bekanntwerden der Korruptionsvorwürfe gegen Erdogans Regierung. Damals hatten Gülen-treue Staatsanwälte mit Enthüllungen über Bestechlichkeit in höchsten Regierungskreisen für Schlagzeilen gesorgt.
 

Bei "Zaman" sieht man diese Aktion als unmissverständliche Antwort des Erdogan-Lagers: "Es ist eine Racheaktion vor dem ersten Jahrestag der Korruptionsvorwürfe", erklärte "Zaman"-Journalist Mustafa Yilmaz. Dass die Polizei bei einer Zeitung auftauche, um den Chefredakteur festzunehmen, geschehe sonst nur bei Staatsstreichen. Yilmaz sprach von einem "schweren Schlag gegen die Pressefreiheit" in der Türkei.

Razzien mit Ansage

Schon seit Tagen wurden die Festnahmen erwartet. Ein Twitter-Nutzer, der sich "Fuat Avni" nennt und nach eigenen Angaben im Machtzentrum um Erdogan sitzt, berichtete seit Donnerstag (11.12.2014) über die geplante Aktion. Der bekennende Erdogan-Gegner "Avni" hatte in den vergangenen Monaten bereits mehrmals ähnlichePolizeioperationen korrekt vorhergesagt, weshalb seine Mitteilungen auch von Politikern in Ankara aufmerksam verfolgt werden.

Die Festnahmen markieren gleichwohl eine neue Dimension im Umgang der Regierung mit tatsächlichen oder angeblichen Widersachern. Es handele sich um eine "neue Phase beim Anziehen der Daumenschrauben gegen Medien und freie Meinungsäußerung", sagte der Journalist Yavuz Baydar.

Baydar und andere Beobachter rechnen mit weiteren Schritten der Regierung, der von Kritikern autoritäre Tendenzen vorgeworfen werden. Angesichts geplanter Oppositions-Kundgebungen rund um den Jahrestag am 17. Dezember wolle die Regierung ihre Kritiker einschüchtern, sagte Baydar. "Zaman"-Journalist Yilmaz erwartet weitere Festnahmen. Baydar hält sogar eine Enteignung von "Zaman" und "Samanyolu" für denkbar. Beide Medien richten sich an ein vorwiegend islamisch-konservatives Publikum und damit an potenzielle Wähler von Erdogan und dessen Regierungspartei AKP.

Die Ereignisse in der Türkei könnten in Kürze auch Thema des EU-Außenministertreffens werden, schreibt der ehemalige EU-Botschafter in Ankara, Marc Pierini, auf Twitter. Auch der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, zeigt sich besorgt und nennt die Polizeiaktion gegen Dumanlis Zeitung "sehr beunruhigend".

Thomas Seibert

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