Marokkos Kunstmarkt erwacht

Marokkos Kunst erwacht aus dem Dornröschenschlaf. Gerade ist die "Marrakech Art Fair" zu Ende gegangen, Marokkos erste Messe für zeitgenössische Kunst. Und die Künstler des Landes spüren frischen Wind in der Kunstszene. Von Alexander Göbel

Marokkos Kunst erwacht aus dem Dornröschenschlaf. Gerade ist die "Marrakech Art Fair" zu Ende gegangen, Marokkos erste Messe für zeitgenössische Kunst. Und die Künstler des Landes spüren frischen Wind in der Kunstszene. Von Alexander Göbel

Marrakech Art Fair 2010; Foto: MAF
Marrakech Art Fair 2010 – "Marokko hat Lust auf moderne Kunst", meint Hicham Daoudi.

​​ Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne: Wenn es nach Hicham Daoudi geht, dann gilt das auch für die "Marrakech Art Fair". 40 Galerien aus Europa und Marokko hat der bestens verdrahtete Leiter der Messe im Edelhotel Es Saadi versammelt, über 5.000 zahlungskräftige Besucher kamen allein zur Eröffnung. Für Hicham Daoudi ein klares Zeichen, dass Marokko Lust hat auf moderne Kunst. Und: Dass Marrakesch, die berühmte rote Stadt am Fuße des Atlasgebirges, um eine Attraktion reicher ist.

Mit der Art Fair wollte man Grenzen überschreiten und die Leute überraschen, erzählt Daoudi. "Marrakesch hat ja dieses rosige Image als Stadt der Schönheit, der Verzückung, des Reichtums. Und genau dieses Image wollen wir ändern, denn ich finde, Marrakesch ist im Grunde eine Stadt des Rock'n'Roll, eine Stadt, die herausfordert, die Konventionen über Bord wirft, die Kreativität verleiht."

Kunstmarkt an der Schnittstelle

Der perfekte Ort, um Marokko endlich in der Kunstwelt zu verankern – als glamouröser Kunstmarkt an der Schnittstelle zwischen Orient und Okzident. Die Art Fair in Marrakesch hat die vielen gut betuchten Europäer im Blick, die ihren Wohnsitz unter der marokkanischen Sonne mit Kunst ausstatten wollen; außerdem wächst die heimische Sammlerschicht.

Marktplatz in Marrakesch; Foto: dpa
Marrakesch: "Der perfekte Ort, um Marokko endlich in der Kunstwelt zu verankern – als glamouröser Kunstmarkt an der Schnittstelle zwischen Orient und Okzident", findet Alexander Göbel.

​​ Marokkos Avantgarde steht hoch im Kurs und verkauft sich bestens: die jüngere Künstlergeneration hat längst die internationale Bühne betreten. Mounir Fatmi gehört ebenso dazu wie die Fotokünstlerin Lalla Essaydi. Zwar hat letztere Marokko vor langer Zeit verlassen, aber Essaydi hat immer noch Familie hier. "Die meisten meiner Arbeiten entstehen hier. Ich treffe hier viele marokkanische Künstler, die unglaublich talentiert sind, und das ist wie Nach-Hause-Kommen. Ich entdecke meine Heimat über die Kunst neu. Das ist eine sehr intensive Erfahrung", schildert die Künstlerin.

Lalla Essaydi ist begeistert vom dynamischen, kreativen Chaos der Kunstszene ihrer Heimat – auch wenn sie sich noch viel mehr Kunsthochschulen wünscht. In den letzten zehn Jahren habe sich da schon viel bewegt, beschwichtigt Kulturminister Bensalem Himmich. Dank König Mohammed VI. – der junge Monarch wolle sein Land öffnen, die Kunst zu einem wichtigen Pfeiler der Kulturpolitik machen und der Kunst auch ein Zuhause geben. In den kommenden Jahren seien zahlreiche Museen geplant. Endlich könne man nun nicht nur vergleichen, sondern vor allem erkennen, wie großartig die neue marokkanische Kunst sei, gibt sich der Kulturminister selbstbewusst: "Marokko hat inzwischen internationales Niveau erreicht – und wir müssen uns damit auf keinen Fall verstecken."

"Ich arbeite mit Nacktheit"

Verstecken muss die Fotokünstlerin Lalla Essaydi allerdings immer noch das eine oder andere Bild, denn sie bricht Tabus. Sie spielt mit dem Klischee des Orientalismus, übt subtile Kritik an der Unterdrückung von Frauen. Lalla Essaydi fotografiert Mädchen in traditionellen marokkanischen Kulissen. An Schauplätzen, die die Isolation der fotografierten Modelle spiegeln. Anschließend überschreibt die Künstlerin die Fotos mit Kalligrafie in Henna. Durch den Text treten die Frauen aus ihrer Unsichtbarkeit heraus. Ein stiller Befreiungsakt.

Werk von Lalla Essaydi; Foto: dpa
Manche Bilder muss die Fotokünstlerin Lalla Essaydi immer noch verstecken, denn sie bricht Tabus.

​​ Sie selbst fühle sich frei in ihrer Kunst. Aber, ergänzt Essaydi, sie lebe auch in New York. Und es gebe Werke, die sie in Marokko nicht zeige, weil sie sehr freizügig seien. "Ich arbeite mit Nacktheit, mit Sinnlichkeit, und da gibt es hier eben Grenzen. So lange die Kunst nicht schockiert oder religiöse Gefühle verletzt, ist alles in Ordnung", erklärt die Fotokünstlerin, "Ich weiß nur nicht, wie weit ich hier gehen kann. Ich denke, Marokko ist einfach noch nicht so weit."

Gerade deswegen hoffen die Macher der Marrakech Art Fair auf Erfolg. Denn mit jeder weiteren Messe, jedem verkauften Bild, jeder Podiumsdiskussion könnte die erste Kunstmesse Marokkos zu einer Art Freiheitsbeschleuniger werden. Für die zeitgenössische Kunst und für Marokkos künstlerischen Nachwuchs.

Alexander Göbel

© Deutsche Welle 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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