Ein Stückchen Heimat in der Fremde

Einige deutsche Seniorenheime entdecken die interkulturelle Vielfalt ihrer Bewohner als Erfolgskonzept für das Zusammenleben der Kulturen unter einem Dach. Annalena Junggeburth hat sich im „Haus Andreas“ des Clarenbachwerkes in Köln umgesehen.

Von Annalena Junggeburth

Mittlerweile sind knapp 60 Jahre vergangen, seitdem zuerst ausländische Arbeiter und dann ihre Familien nach Deutschland kamen. Viele Gastarbeiter aus der Türkei, Italien oder Portugal dachten anfänglich, nach ihrer Arbeit in Deutschland wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Doch viele sind bis heute geblieben. Finanzielle Gründe, aber auch die Tatsache, dass in ihren Herkunftsländern inzwischen keine Familienangehörigen mehr waren, um sich um die ältere Generation zu kümmern, waren hierfür ausschlaggebend.

Umso wichtiger ist für die ältere Einwanderer-Generation ein Stückchen Heimat in der „Fremde“. Zum Beispiel in Köln: Die Bewohner des Clarenbachwerkes genießen im Heimalltag nicht nur ihre eigene Kultur, sondern erfreuen sich an einem breiten Spektrum kultureller Vielfalt, welches nicht nur von den Bewohnern, sondern auch vom multikulturellen Pflegepersonal gelebt wird.

Der im Iran geborene Leiter des „Haus Andreas“, Mohammed Pourmirzaie, erzählt, wie das Konzept der kultursensiblen Altenpflege hier realisiert wird: „Uns standen bereits im Vorfeld räumliche sowie personelle Ressourcen zur Verfügung. Mit einem Migrantenanteil von etwa 70 Prozent ist unser Pflegepersonal kulturell extrem vielseitig. Wir haben 14 Muttersprachler verschiedener Nationalitäten unter einem Dach.“

In den freistehenden Räumlichkeiten wurde neben einer christlichen Kirche unter anderem ein Gebetsraum für Muslime eingerichtet.

Dr. Davud Moschiri und Hausleiterin Narumon Phokphoon; Foto: AJ
Hier fühlt er sich zuhause: Der ehemalige Kölner Arzt Dr. Moschiri ist im Iran geboren und kam zum Medizinstudium nach Deutschland. Für ihn ist es von unschätzbarem Wert, im „Haus Andreas“ das kulturell vielfältige Angebot wahrnehmen zu können. Sein Lob gilt vor allem dem Personal, wie hier der thailändischen Hausleiterin Narumon Phokphoon.

Basmati statt Reis von Uncle Ben’s

Die Idee den Menüplan im Heim umzustellen, stammte von einem früheren Heimbewohner indischer Herkunft, der beanstandete: „Warum immer dieser Uncle Ben’s-Reis?!“. Die Heimleitung fand schnell einen Ersatz, mit dem alle Bewohner wesentlich zufriedener waren. Der langkörnige Basmati-Reis, der sogleich iranische, indische und pakistanische Heimbewohner viel zufriedener stimmte.

Neben dem Angebot von Schweinefleisch wird eine abwechslungsreiche Menüvariation aus wahlweise Rindfleisch, Fisch oder Hähnchen offeriert. Ob das Essen auch „halal“ ist? „Davon distanzieren wir uns in unserem Heim entschieden“, betont Pourmirzaie. „Wir wollen verhindern, dass sich nur eine kulturelle und religiöse Praxis durchsetzt.“

Der Ausländeranteil der Heimbewohner des Clarenbachwerkes liegt derzeit bei etwa 25 Prozent. Dabei ist es der Heimleitung überaus wichtig, dass der Anteil von Migranten und Deutschen etwa gleich ist. Denn es gäbe wohl nichts Abschreckenders, als den Stempel „Ausländerhaus“ aufgedrückt zu bekommen, meint Heimleiter Mohammed Pourmirzaie.

Trotz der überwiegend positiven Resonanz auf das Heimkonzept, lassen sich kulturell bedingte Schwierigkeiten nicht immer problemlos meistern. Vor allem in den morgenländischen Kulturkreisen ist es bis heute Brauch, die ältere Generation im Kreise der Familie eigenständig zu pflegen, was gerade die jüngere Generation vor eine schwierige Aufgabe stellt. Denn nicht zuletzt stoßen sie zeitlich mit ihrem Beruf und ihren eigenen Kindern an die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit. Die Scham, ihre Eltern in einem Altenheim unterzubringen, ist dennoch groß. Die Angst rührt in vielen Fällen aus diesbezüglich abfälligen Bemerkungen und Missachtungen durch Verwandte.

Hinzu kommen oft Ängste der Betroffenen, die sich vor Sprachbarrieren, religiös-basierter inkorrekter Behandlung oder mangelnder kultureller Praxisgestaltung fürchten. Doch dieser Befangenheit  begegnet das Team des Clarenbachwerkes mit kultureller Offenheit. So ist es selbstverständlich, dass insbesondere muslimische Frauen ausschließlich von weiblichem Pflegepersonal betreut werden. Genauso wird darauf geachtet, dass Muslime bevorzugt freitags ihren Waschtag haben und türkische Heimbewohner es bevorzugen, nach dem Bad, ähnlich wie im Hamam, mit dem Handtuch abgerieben zu werden.

Keywan und Fereidoon Tonokraboni; Foto: AJ
Der iranische Schriftsteller, Fereidoon Tonokraboni kam 1983 nach Deutschland. Die deutsche Sprache beherrscht er allerdings kaum. Deswegen profitiert er seit seinem Einzug ins „Haus Andreas“ vor einigen Monaten vor allem von dem persisch-sprachigem Pflegepersonal. Nicht nur sein Sohn, Keywan Tonokraboni ist froh, dass sein Vater nur mit geringen sprachlichen Barrieren zu kämpfen hat und sich hier wohl fühlen kann.

Kulturelle Differenz als Bereicherung

Kulturell bedingte Konflikte gibt es im Heim eher selten. Alle Bewohner können dem vielfältigen Angebot etwas abgewinnen – sei es das Essen, die Programmgestaltung oder die besonderen Feierlichkeiten. Neben Ostern feiert man im „Haus Andreas“ auch das persische und kurdische Norouz-Fest zum Frühlingsanfang. Und beim alljährlichen Sommerfest sorgen sogenannte „Themen-Buffets“ für kulinarische Neuentdeckungen.

Der Migrationshintergrund und die langjährige Erfahrung des Heimleiters ist zweifelsohne für die Heimbewohner ein Vorteil. „Klar ist das ein Pluspunkt!“, meint Pourmirzaie. „Ich erlebe beispielsweise Angehörige von Migranten, die sich mit den deutschen Gesetzen nicht besonders gut auskennen. Sie haben Fragen zu Versorgung und Finanzierung und fürchten sich davor, als Deutsche nicht genug geachtet zu werden. Da ich selbst aus dem Ausland komme, kann ich ein besonderes Vertrauensverhältnis schaffen und helfen, den Bürokratie-Dschungel zu lichten.“

Für viele iranische Migranten heißt es, mindestens das zweite Mal in ihrem Leben von einem Ort zum anderen zu ziehen, heimatlos werden, wenn sie in ein Heim ziehen. „Denn zuerst werden sie von ihren Kindern nach Deutschland geholt, sobald sie im Iran in den Ruhestand getreten sind“, erzählt Pourmirzaie. „Hier leben sie einige Jahre mit der Familie zusammen, erfreuen sich der Gesellschaft der Enkelkinder und schätzen die Geborgenheit innerhalb der Familie, auf die sie im Iran im Zweifel verzichten mussten. Doch dann, wenn sie pflegebedürftig werden, müssen sie erneut ihre Sachen packen, um in ein Altenheim zu ziehen.“

Umso schöner ist es dann für Familie und Betroffene, wenn ihnen die Möglichkeit gegeben wird, ihre Kultur mit einziehen zu lassen. So rückt die ferne Heimat wenigstens doch ein wenig näher.

Annalena Junggeburth

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