Kulturarbeit trägt zur Demokratisierung bei

In Kabul wurde das Goethe-Institut als erstes ausländisches Kulturinstitut in feierlichem Rahmen wieder eröffnet. Stefan Weidner sprach mit der Institutsleiterin Renate Elsässer über ihre Arbeit.

Am 22. September 2003 wurde in Kabul das Goethe-Institut als erstes ausländisches Kulturinstitut in feierlichem Rahmen wiedereröffnet. Stefan Weidner sprach mit der Institutsleiterin Renate Elsässer über ihre Arbeit.

Welche Arbeitsbereiche wird das neu eröffnete Goethe-Institut in Kabul genau haben?

Renate Elsässer: Wir werden da fortsetzen, wo wir schon im vergangenen Jahr gearbeitet haben, nämlich im Bereich Film, Theater, Musik, Bildende Kunst und der Ausstattung von Bibliotheken und der Ausbildung von Bibliothekaren. Das sind Schwerpunkte unserer Arbeit, es werden andere dazu kommen, aber es wird eine Weile dauern. Jedes Projekt macht nur Sinn, wenn wir die Arbeit systematisch aufbauen und dazu bedarf es einer längeren Zeit.

Was heißt Theater- und Filmarbeit konkret? Bedeutet das, Sie laden Leute aus Deutschland ein und die verbinden Sie dann mir afghanischen Partnern?

Elsässer: Ja, richtig, wir laden Künstler, Fachleute, Experten aus Deutschland ein, versuchen auch längere Workshops mit den afghanischen Partnern durchzuführen, denn es hat sich im letztem Jahr gezeigt, dass eine Woche für Afghanistan sehr kurz ist, dass wir hier längere Zeit brauchen, um wirklich von Grund an auf den Bereichen wieder aufzubauen und den afghanischen Partnern Kenntnisse zu vermitteln, von denen sie sehr lange Zeit abgeschnitten waren.

Also besteht ihre Arbeit hauptsächlich darin, eine Art Mittler zu sein zwischen deutschen Fachleuten auf kulturellen Gebieten und denjenigen Afghanen, die sich dafür interessieren und die ebenfalls in diesem Bereich arbeiten wollen?

Elsässer: Wissen Sie, es gibt nur noch sehr wenige Anknüpfungspunkte in der Kulturarbeit. Durch den Kontakt mit deutschen Künstlern und Fachleuten versuchen wir, den afghanischen Partnern zu ermöglichen, wieder Anschluss an die Kultur und an die Kunst in anderen Ländern zu bekommen. Wir verstehen unsere Aufgabe vor allem als Hilfe zum Wiederaufbau der afghanischen Kultur. In der nächsten Zeit steht es nicht so sehr im Vordergrund, deutsche Kultur zu präsentieren.

Kino in Kabul

​​Ganz wichtig ist uns auch, dass das, was die afghanischen Künstler schon wieder produzieren im Bereich Film, Theater, Bildender Kunst, auch im Ausland vorgestellt wird, wir holen also auch afghanische Künstler nach Deutschland, hatten schon im April eine afghanische Woche im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, hatten mehrere Filmveranstaltungen mit den neuen Filmen, die hier in Kabul produziert werden. Wir wollen dem deutschen Publikum zeigen, was die Afghanen in diesen Bereichen schon wieder hervorbringen. In Zukunft wird sich erweisen, ob die afghanischen Künstler auch unabhängig von den Projekten arbeiten, die wir Ihnen anbieten, und ob es zu einem wirklichen Austausch kommt. Aber bis dahin ist es noch ein ziemlich langer Weg.

Sie haben also noch keine publikumsoffenen Veranstaltungen wie Filmvorführungen oder öffentliche Diskussionen, Lesungen oder Ähnliches?

Elsässer: Doch, natürlich, wir wollen auch einem allgemein interessierten Publikum etwas bieten, wollen Öffentlichkeitsarbeit machen und bekannt werden. Deshalb werden wir auch Filme zeigen, wobei man da natürlich sehr sorgfältig auswählen muss. Vielleicht eher ältere Filme, auch Stummfilme, diese fanden sehr großes Interesse bei unseren Partnern im Filmbereich, aber wir werden im Moment zum Beispiel keine deutsche Theatergruppe kommen lassen können. Stattdessen wollen wir das, was im Theaterworkshop, der über drei Monate an der Universität im Theaterdepartment stattfindet, am Ende der Öffentlichkeit vorstellen. Drei Stücke sind geplant, die von den afghanischen Studenten im Theaterdepartment gespielt werden. Wir wollen Ausstellungen in der Nationalgalerie zeigen, und wir wollen in einem Kulturzentrum, das es seit drei Monaten wieder gibt und das von der Weltbank für ein Jahr gefördert wird, Konzerte anbieten.Werden Sie deutsche Sprachkurse anbieten?

Elsässer: Ja, die sind schon seit Mai angelaufen. Wir haben jetzt zur Zeit vier Kurse laufen, ab Oktober sollen weitere vier dazu kommen. Das Interesse für die deutsche Sprache ist in Afghanistan sehr hoch, aufgrund der langjährigen guten Beziehungen zwischen beiden Ländern, gibt es immer noch sehr viele Afghanen, die Lust haben, Deutsch zu lernen. Dieser Nachfrage wollen wir natürlich gerecht werden, gerade für jüngere Leute ist es sehr sinnvoll, Deutsch zu lernen, damit sie später eventuell in Deutschland studieren können, oder damit sie eine Chance haben, hier bei den vielen deutschen Institutionen eine Stelle zu finden.

Also kann man sagen, dass das Goethe-Institut in Kabul neben den Workshops, die eine sehr spezielle Form der Kulturarbeit sind, auch das klassische Programm des Goethe-Instituts durchführt?

Elsässer: Ja. Wir sagen ja immer, dass wir auf drei Säulen unserer Arbeit stehen: Die erste Säule wäre die Programmarbeit, d.h. Kulturveranstaltungen, Workshops und Austausch zwischen Künstlern in beiden Ländern.

Mitarbeiter des Goethe-Instituts in Kabul

​​Die zweite Säule wäre die Spracharbeit für Deutschlernende an unserem Institut, aber auch die Zusammenarbeit mit anderen Sprachanbietern. Dazu zählt auch Lehrerfortbildung für Deutschlehrer, wobei es noch nicht sehr viele gibt in Afghanistan, außerhalb von Kabul so gut wie keine mehr. Das versuchen wir langsam wieder zu ändern, indem wir auch in den Provinzstädten wie Herat, Mazar-e-Sharif und vielleicht einmal Kunduz Projekte durchführen. Das ist jedoch schwierig und sehr zeitaufwendig, da man nicht häufig in diese Städte fahren kann. Wir sind daher darauf angewiesen, dort zuverlässige Partner zu finden.

Die dritte Säule ist die Bibliotheksarbeit in unserem Haus. Wir verfügen leider nur über kleine Räume, das ist eine Übergangslösung, für die nächsten zwei Jahre. Wenn sich alles friedlich entwickelt, denken wir daran, später ein größeres Haus zu mieten. Die Klassenräume sind derzeit nur mittelgroß, das reicht zwar vorerst, aber wir haben nur zwei; die Bibliothek ist sehr klein, es ist auch nur eine Präsenzbibliothek, keine Ausleihbibliothek. Dies ist jedoch nicht schlimm, da es im Land fast niemanden mehr gibt, der deutsche Bücher lesen kann. Ich glaube daher, dass wir vorerst mit diesem Institut gut ausgestattet sind, aber wir sind uns bewusst, dass irgendwann ein größeres Haus erforderlich sein könnte.

Mit welchen Partnern arbeiten Sie derzeit zusammen?

Elsässer: Eine ganz enge Zusammenarbeit haben wir mit Partnern aus dem Filmbereich, das ist auch der Bereich, wo noch sehr viele Voraussetzungen da sind, da viele der Filmleute in Pakistan und im Iran im Exil waren und dort ihre Arbeit weiterführen konnten. Die Afghanen, die im Iran oder in Pakistan im Exil waren, kommen auch zum großen Teil zurück. Auf diesem Gebiet haben wir daher sehr tüchtige Partner, mit denen wir auch die Art der Hilfe schon klar umrissen haben – vor allem in Ausstattung und in Workshops. Im Filmbereich geschieht ohnedies am meisten in Afghanistan, es werden schon wieder Filme gedreht, und der Spielfilm von Sidi Gula Bamai zum Beispiel, dem Präsidenten von AfghanFilm hat in Cannes einen Sonderpreis erhalten. Er ist inzwischen in sehr viele Länder verkauft worden und zum Teil schon angelaufen; in Deutschland wird er ab Januar zu sehen sein. Das ist ein erster großer Schritt zu einer eigenständigen kulturellen Aktivität in Afghanistan. Viele andere Regisseure haben Kurzfilme produziert und planen, wieder größere Spielfilme oder Dokumentarfilme zu drehen.

Haben Sie das Gefühl, dass die deutsche Öffentlichkeit und die deutsche Politik hinter Ihnen stehen?

Elsässer: Ja, die deutsche Politik steht hinter unserer Arbeit hier, es ist ausdrücklich vom Auswärtigen Amt gewünscht, dass hier das Goethe-Institut aufgemacht wird, und wir haben dafür ausreichende Gelder aus den Afghanistan-Sondermitteln bekommen. Natürlich kommt oft von Freunden und Journalisten die Frage, ob Kulturprojekte das sind, was Afghanistan am dringendsten braucht. Mir ist klar, am dringendsten braucht Afghanistan sicher nicht die Kultur, dazu ist das Land noch zu arm, leben noch zu viele Menschen weit unter dem Existenzminimum, sind auf Nahrung und ein Dach über dem Kopf angewiesen. Ich denke jedoch, dass beim Aufbau einer Zivilgesellschaft die Kultur eine wichtige Rolle spielt, und dass die Kulturarbeit, wie sie ja das Goethe-Institut versteht, zur Demokratie und zur Bewusstseinsbildung beträgt. Das bestätigen mir auch viele unserer afghanischen Partner.

Das Interview führte Stefan Weidner

Hier finden Sie mehr Informationen über das Goethe-Institut in Kabul.