"Ich wollte spüren, dass ich existiere"

Etwa 60.000 zum Islam konvertierte Franzosen leben in Frankreich. Aus welchen Beweggründen sie eine andere Religion angenommen haben, hat Salih Diab in Gesprächen erfahren.

Etwa 60.000 zum Islam konvertierte Franzosen leben in Frankreich. Aus welchen Beweggründen sie eine andere Religion angenommen haben, hat Salih Diab in Gesprächen mit ihnen erfahren.

Der Eiffelturm in Paris
Der Eiffelturm in Paris

​​Ihre Unterwerfung unter den Willen Gottes – so die Bedeutung des arabischen Wortes "Islam" – und der Beginn eines spirituellen Lebens geschah bei den meisten Konvertiten ohne jegliche Vorkenntnisse der Inhalte der islamischen Religion. "Die Faszination und Anziehungskraft des Islam selbst ist es, die uns in seinen Bann schlägt", konstatiert einer der Konvertiten.

Zum Teil wird mit der Konvertierung dem Bedürfnis entsprochen, die eigene Abgrenzung zu betonen. Oder es ist einfach ein Ausbruch aus dem Gefängnis von Konventionen und Routine. Manchmal aber ist es einfach der Wunsch zu revoltieren, der diese Menschen dazu bewegt, den Islam anzunehmen.

Der Franzose Piere von senegalesischem Ursprung und mit islamischem Namen genannt Abdallah, der im Alter von 18 Jahren zum Islam konvertierte und schließlich Sufi wurde, beschreibt es für sich folgendermaßen: "Ein ganz besonderes Gefühl bemächtigte sich meiner, ich wollte spüren, dass ich existiere, dass ich mich zusammen mit einer Milliarde Muslimen auf dieser Erde bewege."

Auf alles ein Antwort

Ein weiterer Grund, zum Islam zu konvertieren, mag das Bedürfnis sein, den rationalen Zweifel, einen der Grundpfeiler der Moderne, auszuschalten, um statt dessen eine Illusion von Frieden zu erlangen, vor dessen Hintergrund nichts in Frage gestellt werden muss.

Der Islam hat auf alles eine Antwort bereit, so empfindet dies Brigitte, die nun Fatima heißt und von den tunesischen Sandstränden und Dattelpalmen begeistert ist. Sie berichtet, wie sie den Islam für sich entdeckte:

"Eines Tages kleidete ich mich gemäß den Vorschriften des Islam, um eine Moschee betreten zu dürfen. Dort hörte ich zum ersten Mal eine Koranrezitation. Dabei überkam mich das Gefühl, dass all meine Zweifel ausgemerzt sind und ich nicht länger allein auf dieser Welt bin."

Ebenso empfindet auch der 24jährige Gerome, der sich nun Faisal nennt: "Als ich eine Lesung aus dem Koran hörte, fragte ich mich, wie es möglich ist, dass diese Rede mich derart beeindruckt und so große Wirkung auf mich hat. Ich war einsam und hörte von da an täglich Koranrezitation. Ich habe nichts verstanden, aber ich empfand einen inneren Frieden."

Ehe als Beweggrund

Viele andere konvertierten zum Islam, weil sie eine Muslimin heiraten wollten. Zwar ist dem Muslim die Heirat mit einer Jüdin oder Christin gestattet, die Muslimin hingegen darf weder einen Anhänger der christlichen noch der jüdischen Religion ehelichen.

Ein Großteil der konvertierten Ehemänner hat sich für die islamische Religion entschieden, um die Beziehung zu der geliebten Partnerin aufrecht zu erhalten.

Jean Jaques, verheiratet mit einer Algerierin, liegt viel an seiner Ehe. Seine Frau möchte einen Bruch mit ihrer Familie vermeiden, die Jean Jaques als ihren Ehemann nur unter der Bedingung akzeptierte, dass er zum Islam übertrat. Da er die Beziehung nach seinem Übertritt fortsetzen konnte, sei es ihm, wie er berichtet, sogar leicht gefallen:

"Ich bin kein religiöser Mensch und habe mich in dieser Hinsicht auch nicht geändert. Ich fände es verrückt, nun zu glauben, ich könnte mehrere Ehefrauen haben, oder die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Frage zu stellen."

Anpassen an das Umfeld

Wieder andere haben einen langfristigen Arbeitsvertrag in einem der Golfländer geschlossen. Der Wunsch, sich in die neue Umgebung zu integrieren, hat sie zum Übertritt zum Islam bewogen, um so Problemen aus dem Weg zu gehen.

Claude, inzwischen Universitätsprofessor, hat lange für eine Erdöl produzierende Firma in Saudi-Arabien gearbeitet und trat zum Islam über, um in Ruhe in der neuen Gesellschaft leben zu können, besonders da "die Bezahlung sehr gut war und ich möglichst sämtlichen Konflikten mit meiner Umgebung aus dem Weg gehen wollte".

Die Anzahl der Frauen, die zum Islam übergetreten sind, ist allerdings wesentlich geringer als die der Männer. Am auffälligsten konnte man die Islamkonvertitinnen während der Demonstrationen gegen das Kopftuchverbot an französischen Schulen sehen.

Bei den meisten Frauen war es die Heirat mit einem Muslim, die ihr Interesse für den Islam geweckt hat. Viele bringen dieses Interesse durch das Anlegen des Schleiers zum Ausdruck, andere wiederum tragen ihn, weil ihre muslimischen Ehemänner dies von ihnen verlangen.

Für andere wiederum geht es dabei nur um eine symbolische Geste. Die Studentin Virginie, die mit einem muslimischen Ingenieur verheiratet ist, kommentiert: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es etwa meiner Glaubensüberzeugung entsprechen soll, einem Mann seien mehrere Ehefrauen erlaubt oder die Steinigung sei eine akzeptable Strafmaßnahme. Eigentlich habe ich mein gewohntes Leben kaum geändert."

Gemeinsamer Alltag

Die meisten Islamkonvertiten in Frankreich stammen aus der Mittelschicht, haben überwiegend einen durchschnittlichen Bildungsgrad und leben in den Vororten gemeinsam mit den nordafrikanischen Muslimen. Ihren Alltag bestreiten sie in ganz ähnlicher Weise wie ihre muslimischen Nachbarn, sind also den gleichen sozialen und ökonomischen Bedingungen ausgesetzt wie diese.

Mitunter haben sie es sich zur Gewohnheit gemacht, auf den Verzehr von Schweinefleisch zu verzichten, manche fasten sogar im Ramadan, aus Solidarität mit ihren Nachbarn, mit denen sie schließlich auch Gespräche und Diskussionen führen über die wichtigen Angelegenheiten ihres Lebens.

Letztendlich scheinen sich in diesen Vororten auch die Beziehungen zwischen nichtmuslimischen Männern und Frauen nicht von denen zu unterscheiden, wie sie muslimische Paare gemäß den Regeln ihrer Religion führen.

Daniel, oder Husain, wie sein Name inzwischen lautet, ist mit 25 Jahren zum Islam übergetreten und beschreibt das Leben in den französischen Vororten folgendermaßen: "Wir haben immer alles miteinander geteilt, die Armut, die Ansichten, die Politik, die Nöte, da scheint es einfach natürlich, auch die Religion miteinander zu teilen."

Saleh Diyab

Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell

© Qantara.de 2004