Internationale Trends und lokale Integration

Vor kurzem fand in der marokkanischen Stadt Assilah ein Kongress mit Musikexperten aus aller Welt statt, der sich mit den verschiedenen Klangwelten im islamischen Kulturraum beschäftigte. Manfred Ewel berichtet.

&copy Fondation du Forum d'Assilah (Assilah, Maroc),  Maison des Cultures du Monde (Paris, France)
Musik erweist sich in islamischen Ländern, trotz der religiös begründeten Ablehnung durch manche konservative Muslime, als zentrales Element für die kulturelle Identität der Menschen.

​​Konferenzen über die Musikkultur in der islamischen Welt blicken auf eine lange Tradition zurück: Bereits 1932 fand in Kairo unter Beteiligung von Musikexperten und Musikern aus Europa sowie den wichtigsten arabischen Ländern der erste Kongress über arabische Musik statt.

Fokus auf Musikkonsum und Kulturpolitik

Aufgrund der grundlegenden Veränderungen, denen auch die islamisch geprägten Länder seither ausgesetzt sind, wurde das Thema auf der Konferenz im marokkanischen Assilah dieses Mal auf die gesamte islamische Welt und auf Phänomene wie die Verbreitung von Musik durch Massenmedien, globale Trends im Musikkonsum oder den Einfluss staatlicher Kulturpolitik ausgeweitet.

Veranstaltet wurde das Treffen von der Stiftung "Assilah Forum", einer marokkanischen Kulturinitiative, die seit beinahe 30 Jahren ein Kulturfestival mit Workshops, Ausstellungen, Konzerten und einer Sommeruniversität zu kulturpolitischen Themen organisiert, sowie vom "Maison des Cultures du Monde" in Paris, das durch seine Förderung der Weltmusik und Ethnomusikologie einen ausgezeichneten Namen genießt.

Musik als Ausdruck von Austausch und Toleranz

Bei genauer Betrachtung erweist sich die Musik in islamischen Ländern, trotz der religiös begründeten Ablehnung durch manche konservative Muslime, als für die kulturelle Identität der Menschen zentrales Element: Musik fehlt bei keiner Hochzeit, sie begleitet die jahreszeitlich bedingten Feste der Bauern, gehört zu den Ritualen der Sufis oder zu privaten Abendgesellschaften im Kreise von anspruchsvollen Musikkennern.

Dennoch wird Musik sowohl oft innerhalb dieser Länder, als auch international zu wenig in ihrem Reichtum und ihren spezifischen Formen wahrgenommen. Dabei stellt sie durch ihre große Vielfalt in Geschichte und Gegenwart sowie durch das überall anzutreffende Phänomen des Austauschs zwischen lokalen musikalischen Traditionen und Einflüssen von außen ein unbestreitbares Beispiel für Offenheit und Kreativität dar.

Übernahme arabischer Musikformen

So haben die nicht-arabischen, islamisch geprägten Länder Asiens oder Afrikas zahlreiche Aspekte der Musik der Araber in Bezug auf Instrumente, Musikformen oder die Rolle der Poesie in ihre eigenen Traditionen übernommen. An der ostafrikanischen Küste Kenias und Tansanias hat sich z.B. der äußerst populäre Tarab aus omanischen und ägyptischen Vorbildern entwickelt.

Seit langem bedienen sich dabei die Musiker und Sänger/-innen zusätzlich auch afrikanischer Rhythmen und neuer Textformen in Kisuaheli anstelle von Arabisch.

Um die Vitalität der Musik in der Welt des Islam zu dokumentieren, wurden während der sechs Kongresstage die unterschiedlichsten Themen und Ansätze präsentiert: Studien über die Geschichte und Eigenheiten der jeweiligen musikalischen Ausdrucksformen, über lokale Entwicklungen auf dem indischen Subkontinent, in Indonesien oder in Nigeria.

Kaum beachtet: globale Weltmusikszenen

Weitere Themen waren die vom Aussterben bedrohten Musikformen, z.B. im Jemen oder im Irak, wobei betont wurde, dass die Weitergabe des musikalischen Reichtums eines Landes im Interesse der globalen Vielfalt und für die kulturelle Identität auch künftiger Generationen liegt.

Insgesamt gesehen kamen durch den akademischen Charakter des Kongresses jedoch viele Fragen zu den aktuellen musikalischen Szenen zu kurz: Außer einem Beitrag über die Geschichte der Rai-Musik wurden urbane Musikformen in den islamisch geprägten Ländern, aber auch in den globalen Weltmusikszenen höchstens am Rande angesprochen.

Die Aneignung internationaler Trends und ihre lokale Integration in die Alltagswelt der Jugendlichen durch audiovisuelle Medien, den Musikkonsum in Diskos, auf schnell zirkulierenden Tonträgern oder durch das Internet und ihre Bedeutung für die vielschichtige kulturelle Identität dieser Musikkonsumenten wurden - außer durch einige Schlagwörter - nicht weiter erhellt.

Auch die Verantwortung der Kulturpolitik bei der Förderung der Musikerziehung sowie bei der Ausbildung von Musikern, die ja eine grundlegende Bedeutung für die Entwicklung der Musik hat, stellte kein zentrales Thema dar.

Die Ergebnisse des Kongresses sollen im Internet veröffentlicht und durch weitere Kongresse alle drei Jahre vertieft werden. Wenn die Möglichkeiten für die Erhaltung und Entwicklung des musikalischen Reichtums in den islamisch geprägten Ländern angesichts der Bedürfnisse vor allem der urbanen Jugend verantwortungsvoll genutzt werden sollen, bleibt für die jeweiligen Experten jedoch noch eine ganze Menge zu tun.

Manfred Ewel

© Qantara.de 2007

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Programm des Kongresses